Beim Bau des Durchgangsbahnhofs ab 2030 für mindestens zwölf Jahre eine Grossbaustelle: der Luzerner Bahnhofplatz. Bild: Thomas Demuth
Gegenwind in der Untiefe
Ein Durchgangsbahnhof Luzern (DBL) – von der Politik gefordert und sicher gut gemeint – hätte (zu) drastische Auswirkungen auf das Stadtgefüge und den Regionalverkehr. Eine Analyse.Von Sepp Rothenfluh*
Zum Auftakt eine Erinnerung an den Auftritt der Luzerner Ständerätin Andrea Gmür zum Schluss einer Informationssendung im Schweizer Fernsehen SRF von Mitte Mai 2024: Das finale Statement beinhaltete den grossen Wunsch, dass sie die Eröffnung des Durchgangsbahnhofs Luzern (DBL) doch schon noch persönlich erleben möchte ... Die politisch motivierten Promotoren des DBL (oder des Tiefbahnhofs) betonen jedoch laufend, dass das ambitionierte Unterfangen ein Werk für die nächsten Generationen sein werde und wir uns in diesen Tagen – wir sind immer noch im Mai 2024 – nicht zu viele Sorgen zu machen bräuchten.
Trotz der Tatsache, dass sich zwischenzeitlich viele Leute in Luzern mit der Erkenntnis der weitreichenden Umstände tatsächlich sehr grosse Sorgen machen, wie der Tiefbahnhof und die beiden etappiert geplanten Untertunnelungen (Neustadt- und Dreilindentunnel) realisiert werden sollen, ist seit diesem Mai ausserordentlich viel proaktives Bild- und Textmaterial veröffentlicht worden. An der LUGA diesen Frühling wurde in einer gross angelegten Sonderschau mit viel Aufwand der Projektstand des DBL präsentiert. Gemäss Eigensicht des Kantons, mitgeteilt in einer Medienmitteilung vom 6. Mai 2024, war das Interesse der 130'000 Besucherinnen und Besucher überwältigend (zirka 8600 Personen unterschrieben eine Petition, die später dem Bundesrat und der Bundesversammlung übergeben wurde).
Beeindruckende Informationsflut
All diese Informationen sind seither auf der Website des Kantons übersichtlich dargestellt und könnten zum Verständnis des Jahrhundertbauwerks insofern beitragen, den gigantischen Aufwand der Infrastruktur logistisch zu verstehen und die Vorteile des als Meilenstein betitelten Grossprojekts zu prüfen. Die Grafiken zeigen glaubhaft, dass die Überlegungen der Planer nicht von der Hand zu weisen sind und der Gewinn von Fahrzeit und Geleisen einen entsprechenden Nutzen bringen würden.
Der immense Aufwand des ganzen Unterfangens wird jedoch verharmlosend mit Zahlenreihen zu den Kosten und einem relativ vagen Zeitplan dargestellt. Dabei beruft sich der Kanton auf den Planungsstand der SBB, die ebenso eine vielfältige Website bewirtschaftet, die sich mit einer wohlwollenden generellen Erklärung zum DBL und weiterführenden bebilderten Informationen präsentiert (Kostenstand heute: 3,3 bis 4,5 Milliarden Franken gemäss Bundesamt für Verkehr).
Auch die Stadt Luzern als Eigentümerin des Grundstücks Nr. 93, das die ganze Bauparzelle des Bahnhof- und Europaplatzes beinhaltet, war nicht untätig und hat eine umfassende Website aufgeschaltet, die mit beeindruckender Informationsflut alles Wissenswerte zum Grossprojekt aufzeigt und vor positiven Verlautbarungen nur so strotzt. Kein Wort mehr von der letztjährigen Medienmitteilung von Manuela Jost, der bis Ende August amtenden Baudirektorin der Stadt Luzern, die vormals versprach, dass die Stadt sich dafür einsetzen werde, dass während der Bauzeit «Freiräume erhalten und stadtverträglich gestaltet bleiben» würden.
Untaugliches Verkehrskonzept
Hatte man bisher nur spärlich weiterführende Informationen aus dem Medienspiegel zur Kenntnis nehmen können, bewegte sich in den vergangenen Monaten einiges. Der in letzter Zeit eher zurückhaltend agierende Kanton hat sich mit den städtischen Amtsstellen verständigt und versucht nun, Goodwill hinsichtlich der zentralen Fragen zum Verkehr zu Land und zu Wasser beim neuralgischen Verkehrsnotenpunkt im Bahnhofsraum zu schaffen. Trotz den heute bekannten mageren Eckwerten über die mutmasslichen Kosten und langfristigen Termine bleibt noch viel Unverbindliches und Fragwürdiges offen. So mochte Bundesrat Albert Rösti bei seinem letzten Besuch in Luzern im Juni 2024 noch keine Zusagen zum Ablauf des Verfahrens machen.
Heute ist von einem «Masterplan Bahnhof 2040» die Rede, der einerseits Vorstudien zum Bahnhofsraum Nord (seeseitig) sowie die Bahnhofsbereiche Ost und West erfasst. So sind – ebenfalls diesen Sommer – Konzepte für den Bereich West vorgestellt worden, in dem die Zentralstrasse zum Bus-Hub werden soll, da ja der Bahnhofplatz schätzungsweise ab 2030 während 12 bis 13 Jahren eine Grossbaustelle sein wird und kein ÖV an dieser Stelle Platz finden kann.
Anhand des völlig untauglichen und fehlerhaften Verkehrskonzeptes wird augenscheinlich, wie sich die negativen Folgen des DBL für den Gesamtverkehr auswirken werden. Man muss sich schon fragen, in welcher Schönwetterfärbung sich die Planer und Planerinnen bewegen oder ob sie die signifikanten Problemfelder in ihren Konzepten wirklich nicht erkennen können. Dabei sind die Linienführungen von ÖV und MIV nicht das einzige Unausgegorene: Dass ganze Quartierteile umgepflügt werden sollen, stellt ein veritables Horrorszenario dar.
Weder nachhaltig und ökologisch
Die von Stadt und Kanton veröffentlichten Studien zeigen exemplarisch das Dilemma auf, das die Grossbaustelle des Jahrhundertbauwerks auslöst: Für die ungefähr zwölf Jahre dauernde riesige Brache des Bahnhofplatzes müssen nun weitere Hoch- und Tiefbauprojekte für den ÖV als kostspielige zusätzliche Baustellen eröffnet werden. Wo diese zurzeit budgetiert sind und wann und wo für diese Massnahmen deren Baukredite und die Volksmeinung eingeholt werden, ist bei den verschiedenen Online-Veröffentlichungen an keiner Stelle erwähnt.
Als weitere Nachteile der unheimlich grossen Eingriffstiefe rund um den Bahnhof als Folge der langjährigen intensiven Bauerei sind die Auswirkungen auf das gesamte geschundene Areal der näheren Umgebung zu erwähnen, womit die Nachhaltigkeitsziele der umweltgerechten städtischen Politik bei Weitem nicht mehr eingehalten werden können. Die Beanspruchung des Seegrunds und die schweren Eingriffe in das Ökosystem werden für die Menschen im Umkreis des Bahnhofs zur folgenschweren Belastung und Teile der Region bis zur Mündung von Reuss und Emme beeinträchtigen. Auch für den Tourismus sind die Auswirkungen kaum vorstellbar.
Nun kommt Weibel
Wo so viel Gutes zusammenkommt, müssen unweigerlich auch tieferschürfende Fragen auftauchen, die zuerst in ziemlich ernst zu nehmenden Leserbriefen klar und deutlich aufgeworfen und schliesslich auch von Fachleuten kritisch, aber sachlich erhärtet, vorwiegend in der Sonntagspresse formuliert wurden.
Die prägnanten Äusserungen des ehemaligen SBB-Chefs Benedikt Weibel zur Gigantonomie der teuren Infrastrukturprojekte sind denn auch sehr deutlich von den Verkehrslobbyisten zurückgewiesen worden, obwohl er als Fachmann lediglich auf die immensen Kosten der diversen Megaprojekte hingewiesen hatte, welche die Gelder für den Basisbetrieb der SBB längerfristig einschränken würden. Auch eine zweite Stellungnahme Weibels mit klarer Begründung des Irrsinns der Milliardenausgaben wollten die politischen Exponenten nicht wahrhaben und stellen seine fundierten Aussagen in ein schiefes Licht.
Zu guter Letzt kommen nun diesen Sommer auch besorgniserregende Stimmen aus dem Lager der SBB-Führung. Die Verwaltungsratspräsidentin der Bundesbahnen sowie Spezialisten des Fahrverkehrs der Bahnen sind sich nicht mehr sicher, dass sich der gigantische Aufwand mit dem Ertrag, den die Vorteile der errechneten Planungen mit sich bringen sollen, rechnen könnte. Die Argumente, welche die SBB-Leute in die Waagschale werfen, sind insofern überzeugend, als dass die schwierig abzuschätzenden Folgekosten zu wenig aussagekräftig sind und die schon heute gewaltigen Unterhaltskosten ins Unermessliche steigen könnten. Das wäre gemäss kürzlich erfolgten Aussagen von SBB-internen Spezialisten der Transportkapazität und der Abwicklung eines reibungslosen Fahrverkehrs abträglich. Auch personelle Mutationen deuten aktuell auf die Unsicherheiten bei den SBB und dem Bundesamt für Verkehr (BAV) hin. Und die gerade landesweit in verschiedenen Interviews erschienenen Aussagen von SBB-Chef Vincent Ducrot zur Zukunft der Bahnhofausbauten klingen für Luzern auch nicht sehr hoffnungsvoll.
Riesiges Zerstörungspotenzial
All diese Fakten werden den politischen Weg begleiten, der seit mehreren Jahren aufgegleist ist und vom Eidgenössischem Parlament Ende 2026 oder sogar erst im Jahr 2027 debattiert werden wird. Ob das Luzerner Projekt dann in der Abstimmung im Bundeshaus dank dem unermüdlichen Einsatz von Andrea Gmür Gnade neben anderen kostspieligen gesamtschweizerischen Infrastrukturprojekten finden wird, sei dahingestellt.
Die drei nicht primär der Bauwirtschaft, sondern dem ÖV verpflichteten Luzerner Herren Nationalräte (Hasan Candan/SP, David Roth/SP, Michael Töngi/Grüne) werden sich bis dahin hoffentlich für einen gut funktionierenden Gesamt-ÖV im Raum Luzern und auf ein gut unterhaltenes schweizerisches Bahnsystem besonnen haben. Auch wegen ihrer politischen Überzeugung werden sie hoffentlich ihre Meinung zum DBL korrigiert haben.
Zusammenfassend darf davon ausgegangen werden, dass das Zerstörungspotenzial weit grösser ist als der effektive Nutzen eines Durchgangsbahnhofs, der nur einseitige Verbesserungen zu Lasten der Allgemeinheit bringen wird. Mit gutem Gewissen kann gesagt werden, dass der immense Aufwand der Bauarbeiten am Bahnhof- und Europaplatz und an der Mündung des Sees zur Reuss auch vielversprechenden einfacheren Lösung im Wege steht. Würden die Redaktionen der Luzerner Regionalmedien die Leserbriefe und Kommentarspalten ihrer jeweiligen eigenen Medien etwas besser beachten, würde beispielsweise ein sogenannter Faktencheck (LZ vom 27.5.2024) gemäss den Vorbehalten ihrer Leserschaft eine andere Gewichtung erhalten.
*Sepp Rothenfluh, geboren 1955 in Luzern, Architekt, altgedienter Heimatschützer und aktueller Baumfreund.
21. September 2024 – thomas.demuth@luzern60plus.ch