Bei der Badeanstalt Tribschen initiierte Pius Stadelmann 1993, dass die Betontreppen mit Kies und Sand zugedeckt wurden. Erst mit dieser Ufersanierung verdiente das Seebad den Namen «Strandbad Tribschen».
Mach es wie die Forelle!
Pius Stadelmann ist ein Pionier des Luzerner Umweltschutzes, ein Grüner, noch bevor es diese gab. Als erster Biologe im kantonalen Gewässerschutzamt erkannte er vor 50 Jahren, was das Luzerner Wasser krank machte. Stadelmann konnte wichtige Verbesserungen in die Wege leiten, doch dann wurde er den politischen Vorgesetzten zu tüchtig.Von Beat Bieri (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Klimawandel, Artensterben, Gletscherschwund und so fort – der Zustand der Umwelt kann mutlos machen. Doch es gibt auch gute Nachrichten, zumindest hierzulande: den Gewässerschutz. Wenn ich jeweils die Reuss runterschwimme, kommen mir die Bilder meiner Kindheit sehr fern und fremd vor. Die Reuss war eine Kloake, an den Schlachttagen angereichert mit Abfällen des städtischen Schlachthauses. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, hier ins Wasser zu steigen. Das Wasser der Seen war veralgt, stank, die vielen Bäche der Luzerner Landschaft überdüngt, massenhaftes Fischsterben, der Sempachersee fast tot.
Pius Stadelmann, heute 83 Jahre alt, wirkte als einer der Pioniere des Luzerner Gewässerschutzes. Aufgewachsen mit Entlebucher Namen in der Stadt Luzern, trat er 1974 nach einem Biologiestudium an der ETH (Doktorarbeit: «Der Stickstoffkreislauf im Vierwaldstättersee und Rotsee») und einem drei Jahre dauernden Forschungsaufenthalt an den Grossen Seen in Kanada in die Dienste des Kantons Luzern. Er war der erste Biologe bei der Gewässerschutzstelle, zuvor war der Gewässerschutz eine bauliche, handfeste Sache von Ingenieuren. Bei seinem Stellenantritt lag der Schwerpunkt beim Bau von Abwasserkanalisations- und Kläranlagen.
Belüftung der Seen noch heute notwendig
Doch der Biologe wollte es genauer wissen: Was versteckt sich Belastendes in den Fliessgewässern, den Seen und im Grundwasser? Er beschaffte sich vom Kantonschemiker bislang wenig beachtete Messresultate zum Phosphorgehalt der Luzerner Gewässer, eine Messreihe, die bis 1954 zurückreicht. Und Stadelmann, dessen wichtigstes berufliches Kleidungsstück die Gummistiefel wurden, richtete neue, chemisch-physikalische Messstationen an den Zuflüssen der Luzerner Seen ein. So stellte er fest, dass der Phosphorgehalt in den Luzerner Gewässern in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen war. Die Folgen waren ein starkes Algenwachstum, das den Sauerstoff in der Seetiefe schwinden liess.
Der 65 Meter tiefe Baldeggersee war im Sommer unterhalb von zehn Metern ohne Sauerstoff, das Wasser roch nach faulen Eiern, für Fische kein Lebensraum mehr. Der Sempacher-, der Baldegger- und der Hallwilersee waren massiv überdüngt. Zwar hielten die neuen Kläranlagen die häuslichen Abwässer von den Seen fern, und doch verblieb der Phosphorgehalt der Luzerner Mittellandseen hoch. Stadelmann erkannte, dass der grosse Rest der Phosphorzufuhren, bis zu 90 Prozent, weiter aus den landwirtschaftlichen Böden in die Gewässer abgeschwemmt wurde.
Stadelmann war nun als Abteilungsleiter Gewässerschutz mit 20 Mitarbeitern für die Rettung der Luzerner Gewässer zuständig. Und da gelang einiges, was auch heute noch gültig ist – dank einer optimalen Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft: Es entstand ein neues Gewässerschutzgesetz, das die Beschränkung der Tierbestände um die Seen verlangte. Ausserdem war Güllen fortan im Winter verboten. Stadelmann initiierte als Nothilfe die Belüftung der drei Luzerner Mittellandseen mit Sauerstoff – was heute noch notwendig ist.
Dann wurde es hochpolitisch
Stadelmann tat, was er konnte. Ich war damals Redaktor bei den LNN, zuständig auch für den Kanton Luzern. Stadelmann erschien mir als besonders beharrlicher Gewässerschutzbeamter, ein unermüdlicher Anwalt der Gewässer – ein Grüner, bevor es diese überhaupt gab, wobei er sich lieber als «Blauen» bezeichnet: Einer, der für das Wasser steht. Stadelmann nahm seine Aufgabe ernst, für einige wohl zu ernst.
Der Gewässerschutz im Kanton Luzern war von einer technischen Angelegenheit zur hochpolitischen geworden. Schliesslich musste die Regierung auch von der Landbevölkerung gewählt werden, in einem Landwirtschaftskanton mit der (immer noch) höchsten Schweinedichte im Land. So kam 1991 für Stadelmann eine Wende, denn der neue Amtsvorsteher verfolgte im Gewässerschutz eine andere, eine laschere Praxis: Der notwendige Abbau der Tierbestände wurde nicht mehr durchgesetzt, die Kontrolle an die Dienststelle für Landwirtschaft übergeben. Für Stadelmann war es bitter zuzusehen, wie die Tierbestände wieder anstiegen. Er konnte dies nicht mehr mittragen.
Der Gewässerschützer hatte zwar den problematischen Stoffwechsel in den Seen erkannt, doch das Feinstoffliche in der Luzerner Politik verkannt. Die Abteilung Gewässerschutz wurde aufgelöst. Stadelmann wurde vom Amtsleiter mit 20 Mitarbeitern zum Einmannbetrieb, zum Leiter «Wissenschaftliche Dienste» degradiert. Er war zum Störenfried geworden.
In der Wissenschaft geschätzt
Stadelmann erlebte fünf Regierungsräte als Vorgesetzte mit unterschiedlichem Gespür für den Gewässerschutz. «Ich hätte jeweils früher und entschiedener den Regierungsräten sagen sollen, was da in den Gewässern falsch läuft», sagt er heute. Doch nein, verbittert sei er nicht wegen seiner geknickten Beamtenkarriere, «ich hatte einen Traumberuf». Während er vom Kanton wenig Wertschätzung erfuhr, wuchs sein Ruf als kompetenter, geschätzter Experte an ausländischen Universitäten und internationalen Konferenzen umso mehr.
Stadelmann verfasste eine minutiöse Studie über das gesamte Einzugsgebiet der Kleinen Emme. 2007 erschien sein wissenschaftliches Testament, das umfassende Buch «Vierwaldstättersee – Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen», in dem er als Herausgeber die Erkenntnisse von 24 Autorinnen und Autoren über den Wasserlebensraum dieses Sees versammelte. Ein Traum des passionierten Fischers jedoch wurde nicht wahr: Dass dereinst wieder Lachse die Kleine Emme bis Schüpfheim hochkommen, wie es früher der Fall war.
Riesiger Erfahrungsschatz
Zwei Stunden schon sitze ich im Luzerner Moosmattquartier im modernen, hellen Wohnzimmer des Ehepaars Stadelmann, Eltern von zwei erwachsenen Kindern, und blicke in die bewegte Biografie des leidenschaftlichen Gewässerschützers. Und Stadelmann, dieser hagere, grossgewachsene, doch nun etwas gebeugte Mann, zeigt keinerlei Anzeichen, zu einem Ende zu gelangen. «Das ist wohl mein Problem: Ich möchte meinen Erfahrungsschatz weitergeben. Doch vielleicht ist es manchmal den Leuten zu viel.»
Deshalb hier noch die Kürzestversion von Stadelmanns Lebensmotto: «Nur wer wie die Forelle – trotz Hindernissen und Gefahren – gegen den Strom schwimmt, erreicht die reinen Quellen.»
30. Mai 2024 – beat.bieri@luzern60plus.ch