Die Matinee mit dem Aphasiechor Zentralschweiz im Marianischen Saal in Luzern wurde für die Anwesenden zur Sternstunde.

Ansteckende Lebensfreude dank Musik

Wenn die Sprache fehlt, beschwingen Singen und Summen: Mit einem abwechslungsreichen Programm aus den letzten 15 Jahren begeisterte der Aphasiechor Zentralschweiz unter Leiter Rudolf Zemp die zahlreichen Besucherinnen und Besucher an der Matinee vom 4. Juni 2023.

Von Monika Fischer (Text und Bild)

«Seid willkommen in unserem Kreis, habt Freude und Glück», sang Rudolf Zemp am Sonntagmorgen in den gefüllten Marianischen Saal in Luzern und wiederholte den Gruss mit der Querflöte. Die rund 20 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne wiederholten den Gruss, unterstützt von Instrumentalisten.

Mit Humor und herzlichen Worten führte der Chorleiter durchs Programm. Er blendete kurz zurück und erzählte vom Anruf von Bernadette Schaller-Kurmann vor 15 Jahren. Die damalige Geschäftsleiterin von aphasie suisse war auf ihn zugekommen mit der Bitte, einen Chor zu bilden mit Menschen, die durch einen Schlaganfall oder einen Unfall ihre Sprache ganz oder teilweise verloren hatten. Rudolf Zemp konnte seiner ehemaligen Schülerin die Bitte nicht abschlagen und ging das Wagnis ein. Er erzählte, wie er passende Volkslieder für eine erste Probe zusammengesucht hatte. 20 Frauen und Männer waren dazu erschienen. Beim Summen von Melodien, Singen von Silben und einzelnen Worten merkte er: «Die Musik beschwingt und macht Freude, den betroffenen Menschen ebenso wie mir.»

Vielseitig und abwechslungsreich
Das geschickt zusammengestellte Programm bot Rosinen aus dem Repertoire der letzten 15 Jahre. Schon beim Querschnitt durch die viersprachige Schweiz zeigten sich die differenziert herausgearbeiteten Melodien und Rhythmen. Das viersprachige Aphasikerlied «Aus einem Auge» hatte die preisgekrönte Schriftstellerin Leta Semadeni extra für den Aphasiechor Zentralschweiz geschrieben.

Bei den breit ausgewählten Liedern und ihren Übergängen kamen neben der Dynamik die feinen Abstimmungen und die lautmalerischen Elemente zum Tragen und lösten eine lustvolle Stimmung aus. Abwechslung brachten die Darbietungen der Instrumentalisten Joseph Bachmann (Akkordeon) und Ursula Sulzer (Bass) mit ihren lüpfigen Weisen sowie das Solospiel von Anna Gander (Harfe).

Zauberhaft bis ausgelassen
Präsident Hermenegild Heuberger, der durch mehrere Hirnschläge die Sprache teilweise verloren und sich zurückgekämpft hatte, freute sich in seiner Ansprache über den Anlass. Er wies darauf hin, dass der Chor früher bis 43 Sängerinnen und Sänger gezählt hatte und bedauerte den Mitgliederschwund während der Corona-Pandemie. Umso mehr freute er sich über die Verleihung des Anerkennungspreises der Albert-Köchlin-Stiftung im Januar dieses Jahres, was dem Chor neuen Aufschwung gab. Er dankte auch den weiteren Stiftungen, den Spenderinnen und Spendern, die Auftritte des Chores in der Regel zweimal jährlich ermöglichen. Für die Beteiligten bringe dies neben der Herausforderung viel Freude. In der Hoffnung auf neue Aktivmitglieder ermunterte er Interessierte, bei den alle drei Wochen stattfindenden Proben im Pfarreiheim Barfüesser in Luzern unverbindlich hereinzuschauen.

Rudolf Zemp freute sich, im zweiten Teil selbst Mozart als Gast begrüssen zu dürfen. Nach der instrumentalen Einführung aus der Zauberflöte freute sich der Chor: «Das klinget so herrlich, das klinget so schön, la la la.» Mit den spanischen, portugiesischen und südafrikanischen Liedern erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt. Das abschliessenden «Si-ja hamba» animierte die Zuhörerinnen und Zuhörer zum Mitklatschen und riss sie zur Standing Ovation von ihren Sitzen.


Stichwort Aphasie

Eine Aphasie ist eine Sprachstörung aufgrund einer Schädigung der Sprachzentren im Gehirn. Aphasikerinnen und Aphasiker haben Probleme mit dem Sprechen und oft auch mit Lesen und Schreiben. Geistig sind sie indessen nicht beeinträchtigt. Häufigste Ursachen sind Hirnschädigungen infolge eines Schlaganfalls, eines Schädel-Hirn-Traumas oder eines Hirntumors. Trotz der Probleme beim Sprechen ist das Singen oder zumindest das Summen für aphasische Menschen möglich.


Bevor der Chor das letzte Lied wiederholte, dankte Rudolf Zemp den einzelnen Sängerinnen und Sängern und den Instrumentalisten mit einem persönlichen Händedruck. Dies zeigte: Rudolf Zemp ist die Seele des Chors. Letztes Jahr 80 geworden, denkt er nicht ans Aufhören. Wohl ist er froh, mit Joseph Bachmann einen Stellvertreter zu haben. Doch ist seine ansteckende Lust am Musizieren nach wie vor ungebrochen. «Es ist immer wieder eine Freude zu erfahren, welche Entwicklung bei der Arbeit mit dem Chor möglich ist. Wir törnen uns gegenseitig an. Ich habe musikalisch in den letzten 15 Jahren mit dem Aphasiechor nur Positives erlebt. Es ist für mich ein grosses Geschenk.»

Mutmacher gegen Vereinsamung
Der siebzigjährige Karrikaturist Hermenegild Heuberger kam über seine künstlerische Tätigkeit zum Aphasiechor. In Zeichnungen drückte er aus, wie er seine Hirnschläge erlebt hatte. Der Präsident des Chors, der seit 2014 unter dem Namen «Aphasiechor Zentralschweiz» eigenständig als Verein geführt wird, erklärt dessen Bedeutung für die betroffenen Menschen: «Wir haben eine ähnliche Geschichte, müssen nichts erklären und können uns gegenseitig motivieren. Die Krankheit ist für uns kein Tabu. Kommunikation ist wohl möglich, doch braucht es viel Geduld, bis eine Antwort kommt. Die Aphasie hinterlässt nur Verlierer. Wir müssen kämpfen, dass wir nicht vereinsamen. Das gemeinsame Singen im Chor ist eine wichtige Form von Selbsthilfe und macht Mut, wieder etwas zu unternehmen.»

Zum Mitsingen im Aphasiechor sind Personen aller Altersstufen eingeladen, die mit unterschiedlichem Schweregrad der Sprachbehinderung von einer Aphasie betroffen sind oder diese überwunden haben.

Weitere Infos: www.aphasiechor.ch

25. Juni 2023 – monika.fischer@luzern60plus.ch