Sie demonstrieren für ihre Initiative.

«Die Pflegenden brauchen mehr Zeit zur Erholung»

Die Luzerner VPOD-Präsidentin Melanie Setz zu den zentralen Anliegen des Pflegepersonals.

Von René Regenass (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Am 28. November stimmen wir über die Pflegeinitiative ab. In der Schweiz herrsche ein Pflegenotstand, schreibt Rudolf Joder, alt Nationalrat, Präsident des Initiativkomitees, im Magazin des Schweizerischen Seniorenrates. 25'000 Pflegestellen sind aktuell wegen der hohen Belastung und den schlechten Arbeitsbedingungen nicht besetzt.

Melanie Setz (41) ist Präsidentin der VPOD-Sektion Luzern und SP-Kantonsrätin. Sie wirkte bis vor fünf Jahren als Pflegefachfrau in Chirurgie und Anästhesie im Luzerner Kantonsspital und wechselte dann in die Administration im Departement Chirurgie. Wir fragten sie, was die Pflegeinitiative in Luzern konkret bewirken könne.

Melanie Setz: Das lässt sich nicht ortsspezifisch begründen. Zentral an den Forderungen ist der Faktor Zeit, d.h. mehr Pflegefachpersonen pro Patientengruppe und mehr Pflegefachpersonen auszubilden. Dies soll aber in der ganzen Schweiz besser werden.

Es geht also um Zeit und um die Arbeitsbedingungen?

Die Pflegenden brauchen mehr Zeit zur Erholung. Eine Möglichkeit wäre, die Zahl der Arbeitsstunden abzubauen. Viele reduzieren heute ihr Arbeitspensum, das heisst, sie verzichten auf Lohn, um sich erholen und die notwendige Leistung erbringen zu können. Und es braucht mehr Zeit für die Betreuung der Patientinnen und Patienten am Bett.

Im Luzerner Kantonsspital zählt die Umkleidezeit neu zur Arbeitszeit. Ist das nicht eine Entlastung?

Diese Änderung – so naheliegend sie ist – täuscht etwas vor. In Wirklichkeit wird die Arbeit verdichtet. Wenn die 10 Minuten zum Umziehen zur Arbeitszeit zählt, fehlt sie am Bett des Patienten, der Patientin. Trotzdem ist es wichtig, das Umziehen endlich als Arbeitszeit anzuerkennen. An der Umsetzung liesse sich noch feilen. Diese eigentlich gesetzlichen Vorgaben müssten auch in der Langzeitpflege umgesetzt werden. Immerhin: In den Betrieben von Viva Luzern wird die Änderung auf den 1. Januar 2022 umgesetzt, doch in anderen privaten Heimen in der Stadt Luzern ist dies noch nicht der Fall.

Positiv ist die Zustimmung des Personals zum GAV (Gesamtarbeitsvertrag) beim LUKS (Luzerner Kantonsspital) und bei der LUPS (Luzerner Psychiatrie). Zum Teil konnten Arbeitsbedingungen aus jener Zeit übernommen werden, als das Spital und die Psychiatrie noch kantonale Betriebe waren.

40 Prozent der ausgebildeten Pflegefachkräften steigen nach wenigen Dienstjahren wieder aus. Sind es allein die Arbeitsbedingungen, über die sich dieser Verlust an Ausgebildeten begründen lässt?

Im Wesentlichen sicher. Ein Beispiel: Es geschieht häufig, dass eine Pflegende, wenn sie zwei Tage frei hat, vom Arbeitsplatz aus angerufen wird mit der Frage, ob sie heute nicht doch kommen könne, der Bedarf sei gross. Dann getraut man sich nicht, nein zu sagen, weil jemand darunter leidet: die Kolleginnen oder die Patientinnen und Patienten. Die Verweildauer im Beruf hat nicht mit fehlender Freude an der Arbeit, sondern vor allem mit den Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen zu tun. Faire Löhne, Wochenend- und Nachtzulagen sind dabei nur ein immerwährender Konflikt.

17. November 2021 – rene.regenass@luzern60plus.ch