Meinrad Buholzer. Foto: Joseph Schmidiger
Schöne neue Elektromobilität
Mobilität mit Elektromotoren ist hoch im Kurs zurzeit. Sie gilt als Allheilmittel gegen den umweltbelastenden Verkehr und wichtiger Schritt im Kampf gegen den Klimawandel. Doch unser Kolumnist Meinrad Buholzer hält diese Einschätzung für kurzsichtig.
Von Meinrad Buholzer
Elektroapparate werden immer effizienter. Gut so! Doch gibt es immer mehr Apparate, die wir «haben müssen». Und immer mehr Anlagen, die mit Strom gesteuert, betrieben, überwacht werden. So steigt der Verbrauch trotz unablässigen Sparappellen munter weiter. Gleichzeitig mehren sich Stimmen, die vor Versorgungslücken und grösseren Stromausfällen warnen (die noch weit gravierendere Auswirkungen auf unseren Alltag hätten als eine Pandemie). Aber richtig ernst, so der Eindruck, nimmt man das Problem in den entscheidenden Etagen nicht.
Bei dieser Ausgangslage überzeugt mich der Hype um die Elektromobilität, angepriesen als Allheilmittel gegen den umweltbelastenden Verkehr, nicht. Er dünkt mich kurzsichtig. Wer einen Wohnraum elektrisch heizt ist ein Umweltsünder. Wer aber ein E-Auto, ungeachtet jeder Notwendigkeit, den lieben langen Tag in der Gegend herumkutschiert, bekommt einen grünen Heiligenschein als umweltbewusster Mensch. Und ja, ich kenne das Argument mit der Effizienz. Dennoch: Ist es sinnvoll alle Fahrzeuge auf Batterien umzustellen? Mal abgesehen von der nicht gerade nachhaltigen Produktion: Wo nehmen wir den Strom her? Der zudem, laut Propaganda, grün sein soll – eine Augenwischerei. Als ob wir, wenn wir ihn nicht gerade selber produzieren, an der Steckdose wählen könnten, wo der Strom herkommt. Etikettenschwindel auch, wenn eine Autofirma ihre Fahrzeuge mit der Bezeichnung «Zero-Emission» schmückt – Autos ohne Emissionen gibt es nicht! Und was passiert mit den ausrangierten Autos? Verschrottung ist auch nicht nachhaltig und der Export in andere Länder verlagert nur das Problem.
Dass der Elektroantrieb in Zukunft eine Rolle spielen wird, ist unbestritten. Das findet auch der Ingenieur Ulrich Bez, der für verschiedene Automarken gearbeitet hat. Aber: «Der Elektroantrieb gehört in die Stadt.» Es sei eine Technologie für kompakte kleine Fahrzeuge, aber nicht für die Langstrecke, nicht in 2,5-Tonnen-Sportwagen, nicht in Lastwagen. Bez zweifelt auch an der Nachhaltigkeit der E-Fahrzeuge. Er schätzt deren Lebensdauer auf sieben bis zehn Jahre, weil die Batterien nicht mehr hergeben – «und weil die Elektronik irgendwann nicht mehr mit den jeweils neuen Batterie- und Ladetechnologien kompatibel sein wird». Wir kennen das, wenn wir plötzlich unsere Apparate entsorgen müssen, weil sie «nicht mehr unterstützt» werden. «Wie man dann mit dem Massenrecycling klarkommen wird, hat übrigens noch niemand so richtig aufgezeigt», so Bez.
Es ist keine neue Erfahrung, dass hochgepriesene Lösungen für ein Problem neue Probleme mit sich bringen.
Ein Blick zurück: New York in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Der Geräuschpegel der Fahrzeuge (Pferdehufe auf Strassenpflaster, Sirenen der Dampfboote, Rattern der Strassenbahnen mit ihren Glocken und brüllenden Fahrern, Rumpeln der Kutschen) ist unerträglich. «Eine ingeniösere Vorrichtung, Menschen durch schieren Krach in den Wahnsinn zu treiben, war schwerlich jemals ersonnen», schrieb Edgar Allen Poe. Die Fahrzeuge verstopfen die Strassen, dass kein Durchkommen ist. Es stinkt nach Jauche und Müll. Auf den Strassen liegt Unrat. Es wimmelt von Pferden, auf der Sixth Avenue laufen Schweine herum, «und so war es nur natürlich, dass nach einem Regenguss die Strassen mit einer Schicht aus Kot und Wasser bedeckt waren; noch ohne Kanalisation, schwamm die Stadt dann buchstäblich in menschlichen und tierischen Exkrementen», heisst es beispielsweise in Andrew Delbancos Biographie von Herman Melville. Alle waren sich einig: So konnte man nicht mehr leben! So konnte es nicht weiter gehen! Und siehe da: Der Verbrennungsmotor liess Pferde, Schweine, Kot und Unrat und den entsprechenden Gestank verschwinden…
…um den Preis neuer Probleme, von denen man damals noch nichts ahnte. Wiederholt sich jetzt die Geschichte? Und, frei nach Marx, als Tragödie oder schon als Farce? Wenn ich an die blinde Mobilitäts-Gläubigkeit denke, tippe ich auf eine Farce.
16. September 2021 – meinrad.buholzer@luzern60plus.ch
Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.