Verliebt im Tessin. Bild: Joseph Schmidiger
Späte Liebe (1)
Es ist nie zu spät für das Liebesglück
Von Eva Holz
Viele Frauen und Männer wünschen sich auch im fortgeschrittenen Alter (nochmals) eine Liebesbeziehung. Der Weg zu diesem Ziel ist mannigfaltig. Immer aufregend, meist anstrengend, zeitweilig irritierend, mitunter köstlich. Und: durchaus erfolgreich. Eva Holz hat recherchiert.
Das Gute vorweg: Wenn sich Suchende über 50 finden, hält es besonders lange. „Die Bindungen der zweiten Runde scheitern fast gar nicht mehr“, sagt die deutsche Psychologin und Buchautorin Katharina Ohana. Doch wo den passenden Menschen finden? Unbekümmert ab ins Netz? Iris, Marketingfachfrau, Mutter eines 17jährigen Sohnes und seit zwei Jahren Single, hat dazu eine klare Meinung: „Auf online Plattformen muss man sich naturgemäss in einem gewissen Sinn verkaufen, das liegt mir nicht.“ Mit Foto und Stichworten ihre Persönlichkeit zu umreissen, würde ihrem ganzen Wesen wenig gerecht werden. Zudem will die 55jährige nach zwei längeren aufeinanderfolgenden Beziehungen nichts forcieren. „Die Vorstellung, dass es irgendwo da draussen jemanden für mich gibt, finde ich total schön.“ Arbeitsplatz, Feste, Sport, Kultur, Vereine, Reisen: Sie boten lange Zeit die analogen Plattformen dafür. Pandemie bedingt sind diese aktuell aber wenig bevölkert. Doch Iris übt sich in Geduld und sagt: „Es passiert dann schon.“
Eine andere klassische Variante sind Kontaktanzeigen. Der Rücklauf auf Inserate mag grundsätzlich eher bescheiden, dafür aber gezielter sein. Die heute 66jährige, geschiedene Vera hatte nach zehn Jahren glückloser Begegnungen die Hoffnung schon verloren, als ein guter Freund sie zur Aufgabe eines Inserats in einem Kulturmagazin motivierte. „Ich formulierte einen ziemlich frechen, unverblümt-ehrlichen Text – und es hat gefunkt. Die Liebe hat mich erst dann gefunden, als ich Eitelkeit und Komplexe fallen lassen konnte“, schreibt sie in einem Erlebnisbericht. „Alter, Falten, Speck? Das sind nun wirklich die geringsten Probleme. Viel wichtiger: Können wir uns für einen anderen öffnen, interessiert er uns wirklich, oder soll er nur eine leere Stelle besetzen, Langeweile vertreiben?“
Fein und teuer: die Agentur
Im ebenfalls kleinen, doch feinen Bereich bewegen sich die traditionellen Partnervermittlungsbüros. Hier spielt bei der Suche die Person „dazwischen“ zunächst die Hauptrolle. Christa Appelt, die mit ihrer „Premium-Partnervermittlung“ auch in der NZZ Werbung macht, ist überzeugt: „Nichts geht über das direkte Gespräch. Ich kenne jede Kundin und jeden Kunden persönlich und spüre aus meiner jahrelangen Erfahrung, wer zu wem passen dürfte. Algorithmen können das Zwischenmenschliche nicht ersetzen.“ Die wohl gemütlichste Variante also für all jene, die genug Geld, aber wenig Zeit haben. Auf dieser Strecke zum Erfolg bleiben auch mal mehrere Tausend Franken liegen.
Als Fortsetzung der klassischen Partnervermittlung haben sich längst die Online Partnerbörsen im Internet etabliert. Besonders populär in der Schweiz sind die kostenpflichtigen Anbieter Parship und ElitePartner, welche intensiv Werbung betreiben. Bei diesen werden in einem Eingangstest Persönlichkeitsmerkmale erfragt und dann auf der Basis paarpsychologisch errechneter Vergleiche Kontaktvorschläge unterbreitet. Angesprochen sind vor allem Singles ab 30 Jahren, die nach einem Lebenspartner suchen. Man geht davon aus, dass diese Art Plattformen gut darin sind, zumindest jene 50 Prozent der Menschen auszusortieren, die für einen Single überhaupt nicht in Frage kommen. Bei der Wahl aus den verbleibenden 50 Prozent dürfte der Zufall die bedeutende Rolle spielen. Eine Studie hat ergeben, dass die Suchenden hier bis zum erfolgreichen Date im Schnitt 800 Franken bezahlen.
Nicht lange auf ihr Glück warten mussten Barbara (65) und Martin (68), welche vor zwölf Jahren auf Parship ihre Suche starteten. Sie standen damals kurz vor respektive nach der Scheidung und hofften auf eine neue Liebesbeziehung. „Drei Tage nach unserer ersten Kontaktaufnahme über die Plattform haben wir uns getroffen – und sind immer noch zusammen“, strahlt Martin. Bevor er Barbara kennen lernte, bewegte er sich zwei Monate lang im Netz und hatte in dieser Zeit mit zehn Frauen kurzen Kontakt. „Ich machte dabei keine schlechten Erfahrungen, es war richtig spannend“, erzählt er. „Einzig eines der Fotoprofile entpuppte sich als übertrieben geschönt und einmal musste ich eine Absage einstecken.“ Der dreifache Vater und Grossvater ist überzeugt, dass bei der Partnersuche Ehrlichkeit am längsten währt. „Und genau so wichtig ist es, auf den eigenen Bauch zu hören. Man sollte sich nicht einreden, dass es dann schon irgendwie gut komme. Der erste Live-Eindruck ist matchentscheidend.“ Das glückliche Rentnerpaar weiss von andern, die ebenfalls über eine Schweizer Plattform zueinander fanden.
Milliardengeschäft Onlinedating
Der online Fischteich ist weltweit inzwischen ein Milliardengeschäft. Ein Analytiker der Wall Street schätzt, die Dating-Industrie setze jährlich rund 20 Milliarden Dollar um. Besonders stark haben die Dating-Apps fürs Smartphone zugelegt, allen voran Tinder. Man lädt ein Foto hoch, gibt ein, ob man einen Mann oder eine Frau sucht oder ob das Geschlecht keine Rolle spiele, dazu die Region und das Alter, und schon bekommt man einen Stapel Fotos aufs Handy gespielt. Gefällt einem ein Bild nicht, wischt man es nach links – ein «Nope» –, und das nächste erscheint. Gefällt es, wischt man nach rechts und gibt so ein «Like». Wenn zwei einander nach rechts gewischt haben, entsteht ein Match, und die beiden können sich schreiben. Nach eigenen Angaben hat Tinder 50 Millionen Nutzer in mehr als 190 Ländern. Sie machen 1,6 Milliarden Wischbewegungen pro Tag, um in 12 Millionen Matches zueinanderzufinden.
Ausprobiert hat dies die geschiedene Rea, dreifache Mutter und zweifache Grossmutter. Die 62jährige wagte nach zwei Jahren Singledasein den Schritt auf Tinder. Ihre ersten beiden Kontakte mündeten jedoch in Frust. „Die Profile entpuppten sich als Fake. Der erste Mann, angeblich ein Däne mit Wohnsitz in der Schweiz, bat mich schon bald um 3000 Euro, um seine Bürosachen über den Zoll zurück nach Zürich zu bringen. Der zweite wollte mich zu sich nach Lausanne einladen. Seine angebliche Wohnung im Bild gab den Blick auf einen üppigen Palmenhain frei, was mich irritierte. Meiner kritischen Rückfrage wich er erklärungsreich aus. Schliesslich habe ich herausgefunden, dass der attraktive Typ auf dem Profilfoto gar nicht er selber war, sondern ein australischer Starkoch, der nichts davon wusste.“ Trotz nachwirkendem Ärger kann sich Rea ein Schmunzeln ob so viel Unverfrorenheit nicht verkneifen. Dass dann und wann mit falschen Fotos und Angaben hantiert wird, ist bekannt. Eine solche Erfahrung machte auch die Luzernerin Deborah Renggli (siehe separate Aufzeichnung).
Unabdingbar: an sich selber arbeiten
Die selbstbewusste Rea schmiss den Bettel nicht gleich hin und traf über Tinder und ElitePartner weitere Kandidaten, „darunter auch sympathische, seriöse Männer.“ Beim einen hätte alles gestimmt –„witzig, intelligent, unternehmungslustig, kochfreudig“. Aber: „Im Bett war er todlangweilig. Wenn die sexuelle Performance nicht stimmt, dann bleibe ich lieber Single.“ Negativ äussert sie sich zudem über die online Auftritte zahlreicher Männern ab 60. „Unglaublich, wie die sich teils präsentieren: mit wuchernden Haarbüscheln in Nasen, Ohren und Nacken, nicht zu reden von den Bierbäuchen unter Karohemden und den Schreibfehlern.“ Das Niveau sei grundsätzlich tiefer als von den Plattformen versprochen.
Seit rund sieben Jahren gibt es in der Schweiz die online Plattform ZweiterFrühling, ein „Ableger“ von Singlemitkind. Mitgründerin Kathrin Fankhänel zu ihren Erfahrungen: „Profilerstellerinnen gehen oftmals davon aus, dass sich die Männer dann schon melden. Dabei ist es wichtig, als Frau den ersten Schritt zu wagen. Dass dies gut funktionieren kann, zeigen uns die Nachrichten von Paaren, die sich bei uns gefunden haben.“
Sich unverkrampft, unvoreingenommen, ehrlich auf eine Beziehung einlassen und diese auf Augenhöhe ausleben und geniessen: Das ist es, was kluge und erfahrene Menschen anstreben. „Es kann für jeden klappen, Arbeit an sich selbst vorausgesetzt“, bringt es Psychologin Katharina Ohana auf den Punkt.
26. April 2021
eva.holz@textbueroholz.ch
Dieser Text ist auch im Magazin „active&live“ erschienen.
Zahlen und Fakten aus der Schweiz
- Rund 725‘000 Singles sind monatlich in unserem Land auf der Suche nach einer festen Partnerschaft via Online-Dating.
- Rund 500‘000 Singles suchen einen Sexpartner online.
- Der Frauenanteil im Online-Dating liegt insgesamt bei 40 % , bei Seitensprungagenturen bei 10 %, in Singlebörsen für Alleinerziehende bei 78 %
- Die Chance, sich über eine kostenlose Plattform zu verlieben liegt bei weniger als 20 %, über eine kostenpflichtige Partnerbörse bei über 30 %
- Die Online-Dating-Industrie in der Schweiz generierte 2018 einen Umsatz von 41‘ 100‘000 Franken. 2007 lag der Umsatz noch bei knapp 24 Millionen Franken.
- 2019 waren in der Schweiz 15 Onlinedating-Portale mit je über 250 000 Mitgliedern aktiv. Hinzu kommen rund 20 kleinere und mittlere Anbieter mit relevanten Mitgliederaktivitäten und Umsatzzahlen.
- Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer registrieren sich parallel auf mehreren Portalen. Viele melden sich nicht wieder ab, was Millionen nicht mehr genutzter Profile zur Folge hat.
Quelle: Singlebörsen-Vergleich Österreich–Deutschland–Schweiz