Cécile Bühlmann.                                                                      Foto: Joseph Schmidiger

Niemand kommt heute auf den Scheiterhaufen

CVP-Ständerätin Andrea Gmür weht ein steifer Gegenwind aus kirchlichen Milieus entgegen, weil sie die Konzernverantwortungsinitiative ablehnt. Das erinnere sie an „Hexenverbrennungen“. Kolumnistin Cécile Bühlmann findet diesen Vergleich anmassend.

Von Cécile Bühlmann

Vor Jahren war ich einmal als Nationalrätin an einer Veranstaltung eingeladen und wurde am Tisch neben Roger Köppel platziert. Er war damals schon Chef der „Weltwoche“, aber noch nicht im Nationalrat. Hingegen war sein umstrittener Kolumnenschreiber Christoph Mörgeli ein Nationalratskollege von mir. Er schlug in seiner wöchentlichen Kolumne regelmässig linke Politikerinnen und Politiker in die Pfanne. Ich kam wegen meines feministischen und antirassistischen Engagements auch immer mal wieder darin vor.

Ich sprach Köppel darauf an und sagte, dass es mich wundere, dass ein so hetzerischer und diffamierender Schreiber jede Woche in seinem Blatt herumwüten könne. Worauf Köppel süffisant konterte, ich wolle jemanden mundtot machen, das sei unerhört. Und er verglich meine Kritik an den Mörgelischen Hasstiraden mit der Geschichte von Konrad Farner, der auch wegen seiner Haltung verfemt und ausgegrenzt worden sei. Ich würde nun das Gleiche mit Mörgeli tun. Dass ausgerechnet der rechtsaussen Journalist Köppel den Kommunisten Konrad Farner als Kronzeugen ins Feld führte, war schon dicke Post! 

Konrad Farner war als Mitglied der PdA im Zusammenhang mit dem Ungarnaufstand 1956 ins Visier von Kalten Kriegern und der rechtsbürgerlichen Presse geraten, die eine eigentliche Rufmordkampagne gegen ihn anzettelten, so dass die Familie Farner ein Jahrzehnt lang belästigt und massiv bedroht wurde und damit praktisch ihre Existenz verlor. Der Vergleich von Mörgeli mit Farner rief einen weiteren Teilnehmer der Tafelrunde auf den Plan, einen Professor für Geschichte. Er fand den Vergleich auch ganz ungeheuerlich: hier ein mit allen Ehren, Rechten und Privilegien ausgestatteter Nationalrat und Professor, dort ein an Leib und Leben bedrohter linker Schriftsteller, schutzlos dem aufgeheizten rechten Mob ausgesetzt.   

Diese Episode ist mir in den Sinn gekommen, als ich las, dass Andrea Gmür die Reaktionen, die sie als kirchennahe CVP-Politikerin wegen ihrer Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) erfährt, mit der Hexenverfolgung in Verbindung brachte:  “Was momentan abläuft, erinnert an Hexenverbrennungen.” Da vergleicht sich eine mit allen Ehren, Rechten und Privilegien ausgestattete Ständerätin, der jetzt ein steifer Wind aus ihren kirchlichen Milieus entgegenweht, doch tatsächlich mit den Frauen, die zu Zeiten des Hexenwahns auf den Scheiterhaufen unter elendigen Qualen ermordet wurden. Sie stammten meistens aus den ärmsten und rechtlosesten Schichten der Gesellschaft oder waren widerspenstige Aussenseiterinnen. Sie waren schutzlos der Inquisitionsgewalt der Kirche ausgesetzt und einmal in deren Mühlen geraten, hatten sie keine Chance zu überleben.

Zweimal musste ich den Vergleich von Andrea Gmür lesen, um die Anmassung der Aussage zu begreifen! Sie riskiert mit ihrer Strategie gegen die kirchliche KVI-Unterstützung höchstens, dass sie dort auf Unverständnis stösst und ihr das offenbar auch unmissverständlich gesagt wird. Aber deswegen gleich die Hexenverbrennung als Vergleich heranzuziehen, ist Ausdruck höchster Respektlosigkeit den wirklichen Opfern des Hexenwahns gegenüber. Diese haben ihr Leben opfern müssen, was aber riskiert Andrea Gmür?

Die beiden Beispiele zeigen, dass Politikerinnen und Politiker sorgfältig mit Vergleichen und Metaphern umgehen sollten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzten, geschichtsvergessen oder anmassend zu sein.  – 10.11.2020     

cecile.buehlmann@luzern60plus.ch

Zur Person: 
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht, von 2006 bis 2018 präsidierte sie den Stiftungsrat von Greenpeace Schweiz. Sie ist Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist Cécile Bühlmann pensioniert und lebt in Luzern.