Meine Frau durfte nicht mit mir
an die Gemeindeversammlung
Wie war das vor 50 Jahren, als der Kanton Luzern im Oktober 1970 das Frauenstimmecht einführte? Der ehemalige CVP-Regierungsrat Klaus Fellmann erinnert sich an den historischen Urnengang.
Von Klaus Fellmann
Damals hat das Luzerner Volk (unerwartet) deutlich mit 25 170 Ja zu 14 781 Nein entschieden, dass die Frauen bei den Volksrechten zu ihrem Recht auf uneingeschränkte Mitwirkung kommen sollen. Mich erinnern viele Ereignisse an das Umfeld des Entscheides. Ich war damals ein junges Mitglied der Konservativen Volkspartei und vollends überzeugt, dass der Abstimmungsslogan "Zyt esch do“ wegweisend war.
Natürlich war nach wie vor vielenorts auch Skepsis mit im Spiel. Es wurde ein überparteiliches Aktionskomitee gegründet. Als Präsident wirkte der St. Urbaner Grossrat und Zahnarzt Dr. Hans Frei. Ein Mensch und Politiker mit Ausstrahlung, Charme und Überzeugungskraft. Er entwickelte eine lebhafte Aktivität und kam damit bei den Leuten gut an. Der Meinungsgraben zwischen der städtischen und ländlichen Bevölkerung war natürlich zu spüren. Am Abend des erfolgreichen Abstimmungssonntages waren Freude und Erleichterung (fast) im ganzen Kanton spürbar.
Start mit Josy J. Meier und Cécile Abt
Als Gemeindeschreiber war ich voller Spannung im Urnenbüro tätig und war glücklich, dass auch Dagmersellen zu den befürwortenden Gemeinden zählte. Die unverzügliche erstmalige Wahl einer Schulpflegerin war die unmittelbare Folge. Sehr bedenkenswert ist auch die Tatsache, dass unser Stand diesen Entscheid noch vor dem Bund (Februar 1971) getroffen hat. So sah ich mich dann im Mai 1971 inmitten einer kleinen aber engagierten Frauengruppe auf der Grossratsliste und durfte unter anderem mit Vorkämpferin Josy J. Meier und der Reider Ärztin Cécile Abt meinen politischen Weg starten.
Der Sinneswandel wurde mehr und mehr sichtbar, auch wenn Frauen noch länger um Einfluss kämpfen mussten. Ganz am Ziel sind wir noch nicht – so haben wir zum Beispiel seit 2015 wieder einen frauenlosen Regierungsrat im Kanton Luzern. Meine Frau Rita durfte mich anfänglich noch nicht an Gemeindeversammlungen begleiten oder selber einen Wahlzettel ausfüllen. Heute schlicht unvorstellbar! Das tat aber unserer lebhaften Meinungsbildung kaum Abbruch.
Positive Schlussfeststellung: die Demokratie bewegt sich langsam, aber sie bewegt sich und führt ans Ziel. – 9. November 2020
Klaus Fellmann, Jahrgang 1941, war Gemeindeschreiber in Dagmersellen. Er wurde 1971 als CVP-Vertreter in den Grossen Rat (heute Kantonsrat) gewählt und präsidierte während vier Jahren (1976-1981) die CVP-Kantonalpartei. Von 1987 bis 1999 gehörte er dem Luzerner Regierungsrat, wo er das Gesundheits- und Sozialdepartement leitete.