Kolumnist und Regisseur Buschi Luginbühl. Bild: Joseph Schmidiger
Vreneli weckt Erinnerungen
Von Buschi Luginbühl
Natürlich kann man die Vergangenheit nicht in die Gegenwart zurückholen, aber zum einen zeigen ja gerade die Ereignisse der letzten Zeit, dass wir scheinbar aus der Vergangenheit nichts gelernt haben, zum andern kann sich ein Bild, das man sich gemacht hat oder das einem irgendwie aufoktroyiert wurde, verändern, ja ins Gegenteil kehren. Zwei Ereignisse sind es, die mich zu diesen Gedanken geführt haben: eine Filmpremière am Zürcher Filmfestival und eine Ausstellungseröffnung in Schwyz. Das eine betrifft mich persönlich, das andere dürfte, so hoffe ich, einen grösseren Wellenschlag in der Theaterszene und in den leider nur noch wenig vorhandenen Feuilletons auslösen.
Am 5. Oktober fand die Premiere des durch Memoriav, Cinémathèque und SRF restaurierten Films «Romeo und Julia auf dem Dorfe» statt, in den Hauptrollen Margrit Winter und Erwin Kohlund. Es war dies für Margrit Winter damals 1941 die erste Filmrolle, mitten im Zweiten Weltkrieg. Für mich war diese Première ein unglaubliches Erlebnis. Ich war mit Margrit Winter persönlich verbunden, stand unzählige Mal mit ihr auf der Bühne, aber hier auf der Leinwand begegnete ich einer Schauspielerin, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Sie war ja in einigen Filmen in den verschiedensten Rollen zu sehen, aber was einem hier an Natürlichkeit und Intensität von der Leinwand entgegenkam, war unglaublich. Ich begriff plötzlich, weshalb Max Frisch in einem Brief an sie ins Schwärmen geriet. Sie hätte dieses «gewisse Etwas», das man sich nicht erarbeiten könne, das einem gegeben sein müsse. Ich erinnere mich an Margrit als eine äusserst fleissige, präzise Schauspielern und bei uns beiden flogen hie und da auf den Proben auch mal die Fetzen. Aber dieses «beseelte» Vreneli zu sehen, war und bleibt für mich ein unvergessliches Erlebnis.
Begonnen hat Margrit Winter als junges Mädchen bei den Luzerner Spielleuten. Von da an wollte sie unbedingt Schauspielerin werden, aber der Vater verlangte, dass sie einen anständigen Beruf lerne. Also ging sie brav in eine Schneiderinnenlehre – scheinbar, denn sie gestand mir mal, dass sie heimlich bereits bei einer Schauspielerin Unterricht nahm. Entdeckt hatte sie Oskar Eberle, von dem nun kurz die Rede sein soll. Am 23. November 2023 wurde in der Kantonsbibliothek Schwyz eine Ausstellung über das Leben und Werk von eben diesem Oskar Eberle eröffnet. Sie gehört zu einer umfassenden Arbeit der Theaterwissenschaftlerin Heidy Greco und ihrem Team. Ich habe in einer früheren Kolumne schon mal über diesen herausragenden, aber von gewissen Kreisen umstrittenen Theatermann geschrieben. Meine Maxime bei den Kolumnen ist ja, «Vergessene» und «Vergessenes» ein bisschen ans Licht zu bringen. Und in der Ausstellung durfte ich sehen, dass Heidy Greco dies in besonderem Masse getan hat.
In einer Fotografie von Oskar Eberles Agenda sah ich am 27. Januar 1933 einen Namen eingetragen, der mir sofort ins Auge stach: Rudolf Rössler. Drei Tage vor der Machtübernahme Adolf Hitlers traf sich Oskar Eberle mit dem Mann, der die Nazis mit allen Mitteln bekämpfte, flüchten musste und mit Hilfe von Freunden in Luzern landete. Dieser Rudolf Rössler ist massgeblich am Scheitern der Naziherrschaft beteiligt, und einer der «Vergessenen», den ich in einer meiner nächsten Kolumne zum Thema machen möchte. Was in diesem Zusammenhang Gegenwart geworden ist? Dass sich durch genaue Recherchen ein jahrelanges massives Vorurteil in Luft auflöste, mehr noch, sich ins Gegenteil kehrte.
Gehen Sie nach Schwyz, es lohnt sich.
26. November 2023 – buschi.luginbuehl@luzern60plus.ch
Zur Person
Buschi Luginbühl, Jahrgang 1942, ist in Kriens geboren und aufgewachsen. Nach der Weiterbildung als Architekt tätig. 1978 beruflicher Neubeginn. Zweijährige Stage bei Schweizer Radio DRS, dann freischaffender Regisseur für Hörspiel und Satire. Schauspielausbildung, Engagements im In- und Ausland. 30 Jahre zusammen mit Franziska Kohlund Leiter der freien Theatertruppe «Il Soggetto» (unter anderen mit Margrit Winter, Erwin Kohlund und Peter Brogle). Arbeitet bis heute als Regisseur und Bühnenbildner im In- und Ausland. Diverse Publikationen zum Thema Theater. Er lebt in Luzern.