Josephine Troller: «Verzauberung», 1970, Privatbesitz, Solothurn.
Der lange Weg der Josephine Troller
Josephine Troller, die 2004 mit fast hundert Jahren verstorbene Luzerner Künstlerin, steht im Zentrum der aktuellen Ausstellung «I like a bigger garden » im Kunstmuseum Luzern. In der faszinierenden Dreier-Ausstellung mit zwei zeitgenössischen Kunstschaffenden erstrahlt ihr Werk, das eine widersprüchliche Aufnahme gefunden hatte, in neuem Licht. Kuratorin Fanni Fetzer meint, exemplarisch sei Trollers langer Weg zur öffentlichen Anerkennung als künstlerisch tätige Frau. Wer war Josephine Troller? Wir suchten nach Spuren ihres Alltagslebens als Frau, Mutter, Hutmacherin und Kunstmalerin.
Von Max Schmid
«So, wend si jetz doch no öppis mache», habe Ihnen «Josephine» bei einem Besuch im Altersheim Steinhof leicht knurrig gesagt, erzählt mir die Luzerner Künstlerin Irène Wydler. Es habe damals, kurz vor ihrem Tod mit 96 Jahren, erste Bestrebungen für eine Einzelausstellung ihrer Werke im neuen Kunstmuseum gegeben. Realisiert wurde diese Ausstellung erst 2007. Zuvor war es viele Jahre still geblieben um Josephine Troller. Selbst im Kunstmuseum, wo ihr Jean-Christophe Ammann 1970 eine Ausstellung ermöglicht hatte, war sie mit der Zeit etwas in Vergessenheit geraten.
Die Ausstellung unter Peter Fischer sollte das ändern, doch die gewünschte Wiederentdeckung gelang nur bedingt. Zu wenige erinnerten sich noch an ihren Namen. «Um eine Künstlerin posthum zu lancieren, braucht es viele Faktoren», erklärte Fanni Fetzer in der Sendung Kontext von Radio SRF 2: «Jetzt versuche ich ihr wieder mal einen Push, einen Schupf zu geben und hoffe dann, dass dies eine Resonanz hat diesen Sommer. Und dann: Mal schauen, was passiert.» (Siehe Link unten.)
Die Ausstellung «I like a bigger garden» ist eine Einladung zum Schauen, zum Sehen. Mich hat sie darüber hinaus auch angeregt, nachzuforschen über die Persönlichkeit und den Lebensweg dieser ungewöhnlichen Frau und Künstlerin. Publiziert ist über ihren Lebensalltag recht wenig.
Deshalb habe ich bei Verwandten und Freunden von Josephine Troller-Zwimpfer nachgefragt: bei Elisabet Kleeb-Zwimpfer, ihrer über 90jährigen Nichte, bei den Luzerner Künstlerinnen Irma Ineichen und Irène Wydler sowie bei Wydlers Ehemann Markus Bischof, der als Anwalt Trollers Nachlass betreut.
«Wir haben Einiges von Josephine um uns herum», meint Markus Bischof, als er mir die schönen, meist kleinformatigen Werke von Josephine in ihrem Ferienhaus zeigt, wo wir uns zum Gespräch treffen.
Lehre als Hutmacherin
Josephine Troller sei schon über 60 alt Jahre gewesen, als sie sie kennengelernt hätten: als eigenwillige Frau mit einer gewissen Radikalität, meint Irène Wydler und ihr Mann fügt bei: «Sie hatte manchmal etwas Knorriges, Strenges.» Aber beide erinnern sich gerne an ihre herzliche Gastlichkeit und ihren wunderbaren trockenen Humor. Elisabet Kleeb-Zwimpfer ist vor allem die Ehrlichkeit, die direkte Art ihrer Tante in Erinnerung geblieben und «ihr Bedürfnis nach Harmonie und Schönheit».
Josephine Troller ist eine Stadtluzernerin. Am 21. Juni 1908 wird sie hier geboren, lebt ihr ganzes Leben in Luzern, reist ganz selten, Ferien macht sie, wenn überhaupt, im Tessin. Ihre Eltern sind Leonz und Franziska Zwimpfer. «Sie ist die Mittlere von fünf Geschwistern», erzählt ihre Nichte. In Josephines Schulzeit lebt die Familie im Haus am Baslertor, wo die Verwandten der Mutter einen «Kolonialwarenladen» und die stadtbekannte Kaffeerösterei Hochstrasser betreiben. Sie erinnert sich, dass Josephine – wie ihre Cousinen Hochstrasser – gerne nach der 6. Klasse das von Dominikanerinnen geführte Institut St. Agens bei der Hofkirche besucht hätte: «Sie wäre gerne noch länger in die Schule gegangen.» Doch dazu kommt es nicht. Josephine beginnt mit 16 Jahren eine Lehre als Modistin/Hutmacherin bei Sophie Schwegler an der Pilatusstrasse und wird danach angestellt. Ihrem Brotberuf bleibt sie bis zum Bezug der AHV treu. 1946, mit 38 Jahren eröffnet sie ihr eigenes Hutatelier am Grendel über der damaligen Bäckerei Zai. Dort wohnt sie auch.
Später, als sie zu malen anfängt und an der Gesegnetmattstrasse 2 hinter dem Hotel Palace wohnt, habe ihr ein grosser, heller Raum sowohl als Hut- als auch als Malatelier gedient, sagt Irma Ineichen, selbst Kunstmalerin. Ihr kommt auch das Kuriosum in Erinnerung, dass Josephine zum Malen anstelle einer Staffelei einfach ein Brett schräg aufstellte.
«Mein Mann»
Mit der Eröffnung des Hutateliers beginnt eine Zeit privater Veränderungen: Heirat, Geburt des Sohnes, erste Zeichnungen und Malereien. 1946 heiratet Josephine (Josy) Zwimpfer den Sänger und Schauspieler Otto Troller, der am Stadttheater Luzern arbeitet. Otto sei die Liebe ihres Lebens gewesen, hatte Josephine ihrer Freundin Irma Ineichen anvertraut. In der Ausstellung im Kunstmuseum erinnert ein Porträt mit dem Titel «Mein Mann» an den 1965 verstorbenen Ehemann. Interessanterweise unterzeichnet die Malerin ihre Bilder mit Josephine T. Nie schreibt sie den Familiennamen Troller aus.
«Urs mit weisser Schlange»
Sohn Urs kommt 1947 auf die Welt. Er wird als Heranwachsender eine zentrale Bezugsperson für die Mutter. In der jetzigen Ausstellung sind mehrere Porträts zu sehen, die sie von Urs gemacht hat: beispielsweise das interessante «Bildnis Urs mit weisser Schlange» von 1974-1975. Urs Troller, der nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule Luzern eine erfolgreiche Theaterlaufbahn einschlägt, geht schon 1971 an deutsche Bühnen und ist nicht oft in Luzern. Präsent ist er indes in der mütterlichen Wohnung in Porträtbildern, die an den Wänden hängen, oft ausgestattet mit symbolischen Elementen.
Das Kunstmuseum zeigt verschiedene weitere Porträts von Menschen, die ihr wichtig waren: Dazu gehörte der Luzerner Cellist und Komponist Alfred Knüsel. Als Troller 1980 mit dem Kunstpreis der Stadt Luzern geehrt wurde, bekam Knüsel den Anerkennungspreis (Bild «Alfred K. mit Cello»). Auch Künstler, denen sie im Umfeld des Kunstmuseums unter Ammann begegnete, sind vertreten: Paul Thek, Giuseppe Penone, Jochen Gerz.
«Märchenwelt der Naiven»
Erstmals ein Gemälde ausgestellt hatte Troller 1956. Das war in der Weihnachtsausstellung der Innerschweizer Künstler im Kunstmuseum. Einer, der sie, die Autodidaktin, zum Ausstellen ermuntert hatte, war der fünf Jahre ältere Max von Moos, Künstler und Lehrer an der Kunstgewerbeschule Luzern. Irma Ineichen, die seine Schülerin war, betont, wie wichtig die Freundschaft mit dem surrealistischen Maler für Josephine gewesen sei. Zu diesem Kreis gehörte auch der deutsche Surrealist Ernst Maas, der am Tivoli-Quai in ihrer Nachbarschaft wohnte.
In der Luzerner Öffentlichkeit galt Josephine Troller damals meist als «Sonntagsmalerin». Die LNN schrieb, sie male «in der Art einer naiven Volkskünstlerin», das «Vaterland» meinte, Troller sei «in einer Märchenwelt zu Hause».
Der Kunsthistoriker und Kurator Christoph Lichtin schreibt dazu im aufschlussreichen Buch zur Troller-Ausstellung von 2007: «Die Märchenwelt der Naiven ist eine Nische, die malenden Frauen zugestanden wird, die ‹richtige› Kunstwelt ist 1960 jedoch eine Männerwelt.» Josephine Troller habe sich deshalb dazu veranlasst gefühlt, öffentlich klarzustellen, wie ihre Motivation, an die Öffentlichkeit zu treten, verstanden werden müsse. Sie sei eine leidenschaftliche Hobbymalerin. Malerei sei ihr ein inneres Bedürfnis, sie betreibe sie in ihrer Freizeit zu ihrem Vergnügen, «ohne falsche Ambitionen».
Josephine Troller: «mich selbst», 1977 (Ausschnitt), Privatbesitz.
1970 – Schicksalsjahr
Doch Troller wollte durchaus als Künstlerin wahrgenommen werden. Das änderte sich Ende Sechzigerjahre, als Jean-Christophe Ammann nach Luzern kam. Ammann hatte eine gute Nase und brachte lokale Künstlerinnen und Künstler und die internationale Avantgarde zusammen. 1970 wird für Troller zu einem Schicksalsjahr. Zusammen mit Irma Ineichen durfte sie ihre Werke im Kabinett des Kunstmuseums ausstellen, parallel zur Ausstellung «Visualisierte Denkprozesse» mit Künstlern wie Mario Merz, Giuseppe Penone. Luciano Fabro. Diese gilt als eine der wichtigsten Ausstellungen des Kunstmuseums Luzern.
Ammann habe verstanden, dass die Werke der inzwischen 62-jährigen Frau anders gelesen werden sollten, erklärt Fanni Fetzer im Radiogespräch: «In diesem Kontext war Troller keine Volkskünstlerin mehr. Sie war eine Seherin, die mit ihrer Kunst andere Orte und innere Landschaften wahrnehmen konnte.»
Die Dame mit Handtasche und Hütchen
Josephine Troller beobachte Ammanns Ausstellungen ganz genau. Die Dame mit der Handtasche und den Hütchen war ein Zaungast. Im Mittelpunkt standen «die jungen Wilden mit ihren Prozessen, Performances, dem Drogenrausch. Sie hat sich dafür interessiert, war aber nicht Teil davon», sagt Fanni Fetzer.
Die Wahrnehmung von Josephine Troller konnten diese Ausstellung und deren aufregendes Umfeld jedoch nicht nachhaltig verändern. Jean-Christophe Ammann zog weiter – nach Basel, später nach Frankfurt.
Sie blieben indes im Briefkontakt, erzählt Markus Bischof. Er erinnert sich, wie sie in ihrer Wohnung bis zuletzt einen Brief von «Jean-Christophe», der ihr viel bedeutete, an einer künstlerischen Installation hängen hatte.
Josephines Wohnung – eine Zauberwelt
A propos Wohnung: «Josephines Wohnung war eine Zauberwelt», schwärmen meine Gesprächspartner. «Alles wohlgeordnet nebeneinander: Bilder, Porträts, Blumen, Fotos, Briefe, Plastiken, Gegenstände.»
Sie habe ab und zu auch Bilder verkauft, gerne an Leute, die sie kannte und schätzte. Aber die verkauften Bilder hinterliessen Lücken. Mehr als einmal hat sie Bilder zurückgekauft.
Ab 62 Jahren lebte sie vor allem von der AHV und entsprechend bescheiden. Doch eines liess sich die Künstlerin auch im Alter nicht nehmen: ihre elegante Kleidung, ihren stillvollen Auftritt. Das betonen alle Frauen, mit denen ich über Josephine gesprochen habe, mit Nachdruck. Selten habe die Hutmacherin indes einen Hut getragen, dafür meist einen Turban, der ihr bestens gestanden habe.
Mit 80 Jahren hatte sie noch eine Einzelausstellung im Kunstmuseum, kuratriert von Martin Kunz. Im gleichen Jahr musste sie aus ihrer schönen Wohnung an der Gesegnetmattstrasse ausziehen. Elisabet Kleeb-Zwimpfer erinnert sich an die aufwendige Züglete «mit den schönen und kostbaren Sachen» an die Zürichstrasse 83. Eindrücklich sei gewesen, mit welchem Geschick sie auch in der neuen Wohnung wieder Räume voller Harmonie herstellen konnte. Obwohl sie auch an der Zürischstrasse einen hellen Atelierraum hatte, von dem aus man auf die Steinenstrasse blickte, malte sie kaum mehr.
Das letzte Mal habe sie ihre Tante bei einem Aufenthalt im Spital Wolhusen zeichnen gesehen. Dort hatte sie ein Zimmer mit Blick übers Land auf den weiten Himmel. Wolken habe Josephine gezeichnet.
Wolken-Zeichnung aus dem Zeichnungsblock von Josephine T. im Spital Wolhusen, 6.5.1999. Quelle: Nachlass Josephine Troller
Auf eine grössere Ausstellung hatte sie in ihren letzten Lebensjahren vergeblich gehofft. Heutzutage könnte sie sich darüber freuen, dass die Stadt, die sie nur selten verlassen hat, das Kunstmuseum, in dem sie vor 50 Jahren ihre beste Zeit als Künstlerin erlebt hatte, «doch no einisch öppis gmacht hend», wie sie vielleicht sagen würde. Sich freuen darüber, dass man beginnt, ihr Schaffen sogar auch ausserhalb der Zentralschweiz zur Kenntnis zu nehmen: in Zürich zum Beispiel. Dort schreibt der «Tages-Anzeiger» in einer Bildlegende zum Bild «Verzauberung», 1970: «Bei diesen Farben im Kunstmuseum Luzern geht einem das Herz auf. Danke, Josephine Troller!»
01.09.2021 – max.schmid@luzern60plus.ch
Das Gespräch mit Kuratorin Fanni Fetzer: Zu hören in Kontext vom 21.07.2021 (SRF2 Radio): «Kunst und Feminismus: Die Wiederentdeckung von Josephine Troller.»
Veranstaltungen des Kunstmuseums zu «I like a bigger Garden» Sonntag, 26.09.2021, 11 Uhr: Öffentliche Führung mit Ursula Helg
Mittwoch, 06.10.2021, 18 Uhr: Öffentliche Führung mit Brigit Meier
Sonntag,10.10.2021, 11.00 Uhr: Über Wolken springen: Gespräch mit Markus Bischof, Nachlassverwalter von Josephine Troller, und Konzert, dirigiert von Christian Knüsel; Solist: Moritz Müllenbach; Komponist: Alfred Knüsel. (Porträt: «Alfred K. mit Cello»)
Titelseite des Buches von Christoph Lichtin: «Josephine Troller, 1908-2004», Edizione Periferia, Luzern, 2007.