Beatrice Rotter mit ihrem gezähmten Strassenhund Maya (6). Die im Text erwähnte Therapiehündin Saya ist 2017 mit gut 12 Jahren in den Armen der Hundeflüsterin verstorben. Foto Elena Holz
Zufriedenheit im Alter (2)
Mit Sipho Mabona den Traumelefanten gefaltet
Die Luzernerin Beatrice Rotter (80), unverheiratet und über 25 Jahre als Kleinklassenlehrerin tätig, blickt mit Freude auf die Jahre nach ihrer Pensionierung zurück. Gelassenheit und Schalk der passionierten Hundehalterin sind ansteckend.Aufgezeichnet von Eva Holz
„Als Lehrerin schätzte ich die Arbeit mit meiner Klasse bis zum letzten Tag. Auf das Leben danach hatte ich mich aber vorbereitet. Kurz nach der Pensionierung flog ich nach Mallorca und checkte in einem mir seit Jahren vertrauten Hotel ein. Statt am ersten Schultag nach den Sommerferien an der obligaten Eröffnungskonferenz teilzunehmen, schwamm ich genüsslich ins Meer hinaus, legte mich auf den Rücken und dachte: FREUDE HERRSCHT!
Vom grossen Rucksack voller Erfahrungen und Erlebnisse aus der Zeit an der Schule profitiere ich heute noch. Die gemeisterten pädagogischen Herausforderungen und das Aufgleisen besonderer Aktivitäten wie etwa die Schaffung eines Klassenorchesters hielten mich nachhaltig fit.
Was habe ich nach 65 neu angepackt? Als ich einmal Weihnachten bei meinem Bruder in der Provence verbrachte, schenkte er mir überraschend einen Hundewelpen. Mit dem süssen, wilden Labrador-Weibchen namens Saya begann ich in der Schweiz eine Ausbildung zum Sozial -und Therapiehund. Eine anspruchsvolle Zeit für mich und die Hündin! Nach der bestandenen Prüfung setzten wir uns zusammen im sozialen Bereich ein, etwa in heilpädagogischen Schulen oder Alters-und Pflegeheimen. Gerne denke ich an einen sechsjährigen blinden Buben zurück: Erst mit Hilfe von Saya wollte er gehen lernen. Denn draussen einen Hund an der Leine führen zu dürfen, war für ihn einfach unwiderstehlich. In Erinnerung geblieben ist mir auch eine pflegebedürftige Frau im Rollstuhl, die sich strikt weigerte, mit dem Personal zu sprechen. Nach einigen Besuchen von Saya und mir brach sie das Schweigen und erzählte Saya, warum sie mit niemandem mehr reden wollte. Grund: Sie wünschte JOSEFINE genannt zu werden und nicht Josy. Hier eine kleine, erfolgreiche Vermittlerrolle eingenommen zu haben, hat mich natürlich gefreut.
Vorwärts nach Rückschlägen
Nach der Pensionierung belegte ich auch wieder Klavierstunden mit dem Ziel, vierhändig spielen zu lernen. Das machte viel Spass. Und: An der Seniorenuni Luzern besuchte ich Geschichtsvorträge – eine unglaublich spannende Reise in die Vergangenheit.
Wenn ich meine bereichernden Aktivitäten als Pensionierte mit dem Rentnerdasein meiner Eltern vergleiche, wird mir bewusst, wie anders es früher wohl für viele gewesen sein muss. Mein Vater und meine Mutter waren Geschäftsleute. Von „Pensionierung“ war nie die Rede. Ihr Alltagstrott, der natürlich auch seine schönen Seiten hatte, ging nach 65 einfach ohne Hinterfragung weiter, höchstens etwas langsamer. Wenn ich mich recht erinnere, war ihr einziges Hobby, die Enkel zu hüten.
Ob es im Alter einfacher wird, mit Krankheit, Enttäuschungen oder Todesfällen von Nahestehenden umzugehen, kommt auf die Persönlichkeit jedes einzelnen an. Sicher hat man mit zunehmendem Alter automatisch mehr Erfahrung mit solchen Ereignissen. Ich hatte selbst Rückschläge zu verkraften und zu überstehen: Krebs mit Chemo-Unfällen, eine Rückenoperation, komplizierte Heilungsprozesse nach Knochenbrüchen und den Tod von Saya. Aber meine Devise hiess immer: abschliessen und vorwärts schauen. Zudem wurde ich gelassener und vielleicht auch etwas weiser. Frustrationen gehören aber einfach zum Leben. Im Umgang mit dem Computer oder Handy beispielsweise erlebe ich immer wieder manchen Ärger. Aber das Lernen hört nie auf!
Grosse Freude am Kleinen
Was im Alter noch richtig Freude bringt? Ich kann mich immer wieder an Kleinigkeiten freuen. Anlässlich meines 80. Geburtstags bemalten die Nachbarskinder Trottoir und Strasse vor meiner Haustüre mit Strassenkreiden. Blumen, Sterne, Herzen und liebe Worte - eine bunte Vielfalt erwartete mich, als ich am Morgen mit meinem Hund Gassi ging. Ich war ausserordentlich gerührt.
Neues zu entdecken oder Bekanntes weiterzuverfolgen, reizt mich immer noch. Papierfalten zum Beispiel. Also wollte ich unbedingt einmal den Origami-Faltkünstler Sipho Mabona treffen. Ich bat ihn schriftlich um eine Lektion - natürlich gegen Bezahlung. Er dachte wohl, das sei ein Scherz, und ich erhielt keine Antwort. Eine Freundin wusste von meinem gescheiterten Vorhaben, telefonierte daraufhin dem Papierkünstler und bat ihn, mir während einer Stunde seine spezielle Fähigkeit näher zu bringen – als ihr Geburtstagsgeschenk. Sipho Mabona besuchte mich zu Hause und wir falteten meinen langersehnten Elefanten. Das war einfach super. Zurzeit besuche ich einen Drum-Kurs für Leute von acht bis hundert Jahre, den ein Profimusiker aus Corona-Not heraus ins Leben gerufen hat. Ich bin begeistert davon – und hallo: noch nicht 100!“
(erschienen im Magzin acive&live, Februar 2021)
26.02.2021
.