Würde Luzern gerne ihrer besten Freundin zeigen: Nadiia Vyshnievska. Bild: Max Schmid

Zehn Fragen an ...
Nadiia Vyshnievska

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wohnen geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer unter uns. Eine von ihnen ist die 74-jährige Nadiia Vyshnievska aus der Stadt Kamjanske/ Kamenskoe, die am Fluss Dnipro liegt, rund hundert Kilometer westlich der Kriegsfront. Die pensionierte Lehrerin für Biologie und Chemie lebt mit ihrer Tochter und zwei Enkelinnen in Hergiswil (NW). Luzern ist der Ort mit städtischem Flair, den sie oft besucht und liebt. Mit der Kulturorganisation Prostir erkundet sie die Stadt auf regelmässigen Wanderungen. Sie vermisst den grossen Blumengarten, den sie in der Ukraine gepflegt hat.

  1. Mit welchen drei Wörtern verbinden Sie Luzern?
    Licht, historische Altstadt und Reuss.
  2. Rigi oder Pilatus? Und warum?
    Pilatus. Weil er von überall sichtbar ist. Seine Gipfel erinnern mich an die Ohren einer Katze, die uns unauffällig, aber mit Neugier betrachtet.
  3. Wenn Sie könnten, was würden Sie in unserer Stadt verändern?
    Es braucht keine Veränderungen zum Besseren, Luzern scheint mir perfekt.
  4. Welches ist Ihr Lieblingsort in Luzern? Und warum?
    Diese Frage habe ich mir schon früher gestellt. Jetzt weiss ich: Der beste Ort für mich ist der Schirmerturm in der Stadtmauer. Von dort oben hat man einen unvergesslichen Blick: oben der blaue Himmel, unten das blaue Wasser, das den Himmel spiegelt, und dazu das Panorama der Stadt mit Brücken, Kirchen und Schiffen.
  5. Mit welchem Menschen in Luzern würden Sie gerne einen Tag unterwegs sein?
    Mit meiner Freundin und ehemaligen Klassenkameradin Elena, die in der Ukraine geblieben ist. Sie ist klug, freundlich und hat eine – wie wir sagen –  «junge Seele». Wir beide lieben es immer noch, Neues zu entdecken und zu erlernen. Elena möchte ich Luzern zeigen, die Stadt mit ihrer modernen Seite und mit ihrer alten Geschichte.
  6. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihren ersten Schulschatz denken?
    In der Schulzeit liebte ich das Lesen. Die mutigen und edlen Buchhelden gefielen mir besser als die Jungs in der Klasse. Verliebt habe ich mich später in der Zeit an der Uni.
  7. Warum ist Ihnen eine bestimmte Lehrperson so lange in Erinnerung geblieben?
    Am häufigsten erinnere ich mich an meine Englischlehrerin Elena Antonovna Drobot. Sie war eine stattliche, schöne, junge Frau mit einer angenehmen Stimme. Sie war für mich wie von einer anderen Welt: gebildet, belesen und sehr anspruchsvoll. Die Grundkenntnisse der englischen Sprache sind mir für den Rest meines Lebens im Gedächtnis geblieben. Ich habe ihr oft im Geiste gedankt.
  8. Warum reden alte Menschen so viel von früher?
    Mich betrifft das weniger. Ich lebe in der Gegenwart und in der Zukunft. Über die Vergangenheit rede ich nur, wenn ich danach gefragt werde. Ich denke, alte Menschen reden gerne über die Vergangenheit, weil sie die Last der Jahre spüren: immer weniger Möglichkeiten, immer weniger Perspektiven.
  9. Was überrascht Sie am meisten an Ihrem jetzigen Leben?
    Was mich am meisten überrascht und zugleich beglückt, ist die Natur in der Schweiz. Sie fasziniert mich immer wieder: gewaltige Berge, smaragdgrüne Wiesen an den Berghängen, hohe immergrüne Fichten, Seen mit klarem Wasser. Es ist märchenhaft.
  10. Welche Abzweigung in Ihrem Leben hat Sie am meisten beeinflusst?
    Die Geburt meines ersten Kindes hat mich am meisten verändert. Ich sah die Welt anders, ich empfand sie anders. Es war, wie ein Dichter schrieb, als ob mein «Herz blossgelegt» worden wäre. Ich begann, die Menschen besser zu verstehen. Mir wurde bewusst, dass viele Menschen Verständnis, Mitgefühl oder einfach Empathie brauchen. So veränderte ich mich, als ich mein kleines hilfloses Mädchen in den Armen hatte.

17. Januar 2025 – max.schmid@luzern60plus.ch