René Regenass, 1935-2024. Bild (von 2018): Joseph Schmidiger

Ein beherzter Journalist

«Journalismus ist auf den Zweifel hin angelegt, auf das skeptisch-kritische Befragen der Wirklichkeit, und hat sich vorschneller Harmonisierung zu verweigern.»
(
Andreas Blum, ehemaliger Programmdirektor Radio DRS)

René Regenass ist am Sonntagmorgen, 17. März, im Alter von 89 Jahren gestorben. Bis zu ihrer Einstellung 1995 war René einer der profilierten Journalisten der damaligen LNN. Während zwölf Jahren hat er auch die Website luzern60plus.ch geprägt.

Von Beat Bühlmann

Ich war im zweiten Lehrjahr als Schriftsetzer bei C. J. Bucher und wollte Journalist werden. Da wandte ich mich an den Herrn Regenass von den «Luzerner Neueste Nachrichten» (LNN) und fragte ihn, was da zu tun sei. Redaktor Regenass meldete sich umgehend, lud mich zu einem Kaffee ins nahegelegene Café Urania ein, erklärte mir in einer Kurzlektion das Handwerk des Journalismus – Titel, Lead, Zeilenschaltung 2, lesbarer, knapper Text – und ein paar Wochen später schickte er mich, der ich noch nicht stimmberechtigt war, an die Gemeindeversammlung in Rothenburg. Am übernächsten Tag stand mein Artikel in der Zeitung. Das war, am 30. April 1969, mein Einstieg in den Journalismus. Und der Anfang einer langen Freundschaft.

Fragen stellen, Hintergründe ausleuchten
Die Anekdote charakterisiert René Regenass als Kollegen, und so war er auch als Journalist. Ohne Dünkel, zugänglich und hilfsbereit, offen für neue Themen und Personen. René war ein engagierter, unerschrockener und beherzter Journalist, getrieben von einem starken Gerechtigkeitsgefühl. «Beschreiben allein genügt nicht», titelte er 2022 in einem Selbstporträt auf luzern60plus.ch: «Guter Journalismus stellt Fragen, will Hintergründe ausleuchten, Ungerechtes aufdecken.» Zur Verdeutlichung verwies er auf Andreas Blum (siehe Zitat eingangs).

René Regenass, Jahrgang 1935, ist in einer ABL-Genossenschaftswohnung an der Bleicherstrasse aufgewachsen. Sein Vater arbeitete bei der Stadtgärtnerei, seine Mutter war (bis zur Heirat) Buchhalterin. René absolvierte die Zentralschweizerische Verkehrsschule, danach die Stationsbeamtenlehre bei den SBB. Seine journalistische Tätigkeit begann er mit Eishockeyberichten zu den Spielen des HC Ambrì-Piotta. Das war für ihn eine Herzensangelegenheit. Die Artikel schrieb er jeweils auf der Heimfahrt im Zug auf der Schreibmaschine, sandte sie dann per Telex an die NZZ und die «Nationalzeitung». Schliesslich landete René, der mit seinem journalistischen Temperament bei den SBB nicht glücklich wurde, als Frühdienstredaktor für ein Jahr beim liberalen «Luzerner Tagblatt,», bevor er 1962 an die Zürichstrasse zur LNN wechselte.

Die parteiunabhängige LNN wurde damals von Chefredaktor Alois Anklin in humanistischer Grosszügigkeit geführt. Während mehr als zwei Jahrzehnten berichtete René Regenass aus dem Luzerner Grossen Rat (heute Kantonsrat), sachkundig und unbestechlich. Seine Kommentare zu den Parlamentsdebatten waren kritisch und erfrischend deutlich. Mit sozialer Ungerechtigkeit und politischer Doppelbödigkeit wollte er sich nicht abfinden. Als kollegialer Ressortleiter liess er uns viel Freiraum, ermutigte zu gründlicher Recherche und klaren Stellungnahmen. Er war ein Lehrmeister, der ermutigte statt zu disziplinieren.

Für mehr Autonomie im Alter
René Regenass blieb ein Leben lang offen für neue Ideen. Als ich ihn vor zwölf Jahren fragte, ob er Lust hätte, in einer kleinen Redaktionsgruppe mitzumachen, um eine journalistische Plattform für die Generation 60plus aufzubauen, sagte er ohne Zögern zu. Da war er 77 Jahre alt. Er übernahm die Redaktionsleitung, besorgte das Protokoll und schrieb unzählige Artikel. Gleichzeitig engagierte er sich im Ausschuss des Forums Luzern60plus für mehr Autonomie im Alter. Vor allem die Verhältnisse in den Altersheimen verfolgte er mit kritischem Blick und scheute keine Konflikte mit den Institutionen. René war kein Eigenbrötler, ihn interessierten unkonventionelle Frauen und Männer. Das belegen seine Porträts etwa von Gabor Kantor, der Ordensfrau Marie-Stephane Hofmann oder des ehemaligen Bischofs Hansjörg Vogel. Erst Ende des letzten Jahres trat er im Alter von 88 Jahren aus dem Redaktionsteam zurück. Noch Tage vor seinem Tod trug er sich mit dem Gedanken, einen Bericht über die Flüchtlinge im Betagtenzentrum Viva Eichhof zu schreiben.

René Regenass war unermüdlich, auch im Alter den Menschen zugewandt. So absolvierte er bei der Caritas einen Kurs für die Sterbebegleitung, um die Nachtwache bei Schwerkranken zu übernehmen. Und er begleitete über Jahre einen älteren Mann, der an Parkinson und Makuladegeneration erkrankt war. Auch er selber musste lernen, mit körperlichen Einschränkungen und Schmerzen zu leben. René, bis ins hohe Alter ein leidenschaftlicher Orientierungsläufer, war nun mit unsicherem Schritt (und zuweilen mit dem Stock) unterwegs. Nach mehreren glimpflich verlaufenen Stürzen ist er vor wenigen Wochen in eine Alterswohnung im Eichhof gezügelt, in der er jedoch weiterhin selbständig leben konnte – was ihm sehr wichtig war. Der Umzug hat ihn nicht vor einem letzten Schicksalsschlag geschützt. Nach einem schweren Sturz am Samstag wurde er mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Kantonsspital Luzern eingeliefert. Dort starb er am Sonntagmorgen. Am 30. März 2024 wäre René Regenass 89 Jahre alt geworden.

Abschiedsfeier: Dienstag, 9. April 2024, 15 Uhr, Abdankungshalle Friedental, Friedentalstrasse 60, Luzern. Anschliessend Beisetzung.

19. März 2024 – buehlmannbeat@bluewin.ch