Viele leben allein, gefragt sind kleinere Wohnungen

Von Beat Bühlmann
Die Wohnungen sind eher zu gross, die Nachbarn wenig bekannt, die Mieten relativ hoch – und der Wechsel ins Heim ist nach wie vor keine Wunschvorstellung. Das sind wichtige Erkenntnisse aus dem neuen „Age Report", diesmal zum Wohnen in den späten Lebenslagen.

Auch der Age Report IV ist eine spannende Lektüre. Basierend auf einer repräsentativen Befragung von 2500 Frauen und Männer der Generation 65plus, vermittelt dieses Standardwerk einen faktenreichen Überblick zum Wohnen im Alter. Die mündlichen Interviews wurden erstmals in allen Sprachregionen durchgeführt, sodass auch sprachregionale Unterschiede sichtbar werden.

Seit 2004 veröffentlicht die Age Stiftung diesen Report alle fünf Jahre, um Fachleuten aus der Wohnwirtschaft, aus Forschung, Entwicklung, Politik und Wirtschaft eine gemeinsame Wissensgrundlage zu bieten, damit sie aufgrund dieser Fakten künftige Perspektiven entwickeln können. Der Age Report, angereichert mit zahlreichen Grafiken, schildert jedoch nicht nur die Wohnverhältnisse, sondern zeichnet ein realitätsnahes Bild der Lebensverhältnisse in späten Lebenslagen. Es lohnt sich deshalb auch für Laien und für die direktbetroffene ältere Bevölkerung, den Age Report IV zu lesen, zumal er als frei zugängliches Dokument für den Download abgerufen werden kann (siehe Fussnote).

Ein Drittel lebt allein
Zum demografischen Wandel nur so viel: Heute leben 1883 Personen in der Schweiz, die 100-jährig oder älter sind, in zwanzig Jahren werden es gegen 13 000 Frauen und Männer sein. Und jede zehnte Person wird bis ins Jahr 2045 zu den 80plus zählen. Das Wohnen in späten Lebensphasen wird deshalb die Alterspolitik in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig prägen. Wie leben alte Menschen in ihren Einfamilienhäusern? Welchen Stellenwert hat die Nachbarschaft in der sorgenden Gemeinschaft? In welcher Art werden sich die Heime verändern?

Die demografische Entwicklung verstärkt den Trend zu Kleinhaushalten. Heute lebt rund ein Drittel der 65plus in einem Einpersonenhaushalt. Zudem zeichnet sich bei der neuen Generation der Babyboomer eine steigende Tendenz ab, enge Partnerbeziehungen zu pflegen, aber mit je eigenem Haushalt. Die Nachfrage nach kleineren Wohnungen dürfte künftig weiter zunehmen. Denn mehr Wohnfläche bedeutet nicht immer eine Steigerung des Komforts. „Die grosse Wohnung kann sich schnell auch als anstrengend und anspruchsvoll im Unterhalt erweisen", konstatiert der Altersforscher François Höpflinger. Beim Haus mit Garten komme dazu, dass der Umschwung mehr und mehr Zeit in Anspruch nehme und der Unterhalt die eigenen Kräfte übersteige. Bis zu einem Fünftel der älteren Personen stufen denn ihre Wohnung als zu gross ein. Die Umzugsbereitschaft ist allerdings eher gering, zumal alte Menschen bei der Wohnungssuche oft benachteiligt sind (Suche über Internet) und „nicht selten eine Diskriminierung" erfahren.

Wohnumgebung ebenso wichtig
Ein Grossteil der zu Hause lebenden älteren Menschen beurteilt die aktuelle Wohnsituation als positiv. Dabei zeigt sich, dass für eine hohe Wohnqualität nicht nur die Wohnung selber, sondern auch die Qualität der Wohnumgebung ein zentrales Element der Lebensqualität ist. „Eine hindernisfreie und altersgerecht ausgestaltete Wohnung allein nützt wenig, wenn der Zugang zur Wohnung schwierig ist, keine Einkaufsgelegenheiten in der Nähe liegen oder Lärmbelästigungen und Konflikte mit den Nachbarn das Wohlbefinden reduzieren." Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass gut 30 Prozent der Befragten angeben, über keine guten Nachbarschaftsbeziehungen zu verfügen.

Allerdings zeigt sich bei den Wohnbedürfnissen, dass bei einer Mehrheit der älteren Menschen eine „gemütliche oder gemütsvolle Wohnung" oft an erster Stelle steht; ein Wohnwert, der von Architekten und Gerontologen meistens vernachlässigt wird. Dieser Aspekt sei speziell dann wichtig, wenn die Wohnung zum zentralen Lebensmittelpunkt und Rückzugsort wird – etwa nach der Pensionierung oder spätestens bei funktionalen Einschränkungen, die ausserhäusliche Aktivitäten erschweren oder verunmöglichen.

Wohnkosten können zur Verarmung beitragen
Und wie beurteilen die Befragten die künftigen Wohnoptionen? Sie haben eine Präferenz für generationengemischtes Wohnen, alternative Wohnformen wie Haus- und Wohngemeinschaften kommen nur für eine kleine Minderheit in Frage. Alterswohnungen sind erst im hohen Alter eine Option und ein Heimeintritt erst „wenn es sein muss". Die Wohnfrage ist allerdings stark mit der sozialen Lage verknüpft. Jedenfalls wird eine kostengünstige Wohnung von vielen älteren Personen als „sehr wichtig und prioritär" erachtet.

Das ist nicht erstaunlich: Bei 60 Prozent der alleinstehenden älteren Menschen machen die Wohnausgaben mehr als ein Drittel des verfügbaren Renteneinkommens aus, und die ärmsten 20 Prozent der Paarhaushalte geben gut 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen und Energie aus. „Hohe Wohnkosten können mit zur Verarmung beitragen", heisst es im Age Report. Ebenso könnten Preisanstiege bei Mieten und Heizkosten bei diesen älteren Personen „rasch zu wirtschaftlich prekären Verhältnissen führen".

Trotz den häufigen Schlagzeilen über vermögensstarke Rentner und Rentnerinnen: Mehr als ein Fünftel der Frauen und Männer im AHV-Alter wird als armutsgefährdet eingestuft. Das heisst, sie weisen vor Bezug der Ergänzungsleistungen ein Haushaltseinkommen auf, das 60 Prozent tiefer liegt als das mittlere Haushaltseinkommen der Gesamtbevölkerung. Heute ist ein Achtel der Rentnerinnen und Rentner (12,5 Prozent) auf Ergänzungsleistungen angewiesen, um halbwegs anständig leben zu können. (Bei den 80plus sind es 18,4 Prozent.) Auch das Alter der Zukunft, so heisst es im Age Report, „wird durch ausgeprägte soziale Unterschiede im Umgang älterer Menschen mit neuen Wohn-, Haushalts- und Kommunikationstechnologien geprägt sein". Zugang und Umgang mit modernen Techniken könne deshalb „zu neuen Formen sozialer Ungleichheiten in den Handlungsspielräumen älterer Menschen" führen. – 5.11.2019
beat.buehlmann@luzern60plus.ch

François Höpflinger, Valérie Hugentobler, Dario Spini (Hrsg.): Wohnen in den späten Lebensjahren. Grundlagen und regionale Unterschiede. 272 Seiten, 38 Franken. Seismo Verlag Zürich, 2019. Download, frei zugänglich: www.age-report.ch