Gefragt ist ein gesundes Mass an Nähe und Distanz. Gemeinsamer Spass hält das Paarleben in Schwung. Bild: pixabay

Was hält Paare nach 60 zusammen?

Langjährige Paarbeziehungen fussen in der Regel auf einem festen Fundament. Was nicht heisst, dauernd aneinander kleben zu müssen. Und: Feinstoffliche Unterschiede zwischen zwei Menschen sorgen nachhaltig für Reiz. (Teil 1)

von Eva Holz

Welche Harmonie: Frohgelaunt steht ein älteres Paar am Marktstand und diskutiert über Farbe und Festigkeit eines Brokkoli. Schliesslich wird der Auserwählte feierlich Richtung Waagschale gereicht. Dann bummelt man weiter zu Brot- und Blumenstand.

Ich mag mich nicht erinnern, während unserer bald 40 Beziehungsjahre je mit meinem Mann über den Samstagsmarkt spaziert zu sein. Obwohl er Brokkoli mag. Aber zusammen einkaufen gehen: Das passt ganz einfach nicht. Beidseits. Vielem frönen wir gemeinsam, doch einige unserer Vorlieben unterscheiden sich diametral. Während ich mich jeweils an der frischen Luft vor dem Biogemüse in die Reihe stelle, schlendert er vor den Kühlauslagen der Grossverteiler umher und spürt die neusten Milchprodukte auf.

Muss man überall gleicher Meinung sein, um das Paarleben als glücklich zu empfinden? Nein. Darin ist sich auch das bald 60-jährige Journalistenpaar Sybil Schreiber und Steven Schneider einig. Seit vielen Jahren berichten die beiden in einer beliebten Schweizer Kolumne über ihre unterschiedlichen Geschmäcker, Ansichten, Erlebnisse. Ob es um Kleiderwahl, Sonntagsgestaltung oder Ferienträume geht: Lustvoll und unterhaltsam wird über mangelnde Deckungsgleichheit sinniert. Und meist gelangen sie zum Schluss, dass harmlose Unterschiede durchaus Würze im Getriebe sind. Dabei zentral: Spass aneinander haben. Wer einige Jahrzehnte zusammen ist, kennt die Attitüden des andern gut, und wenn man diese mit Humor nehmen kann, umso besser.

Gleiche Werte, individuelle Freuden
«Mich hält weitgehend das Gleiche bei meinem Mann, das uns vor 55 Jahren zusammenführte: das Interesse, eine Art Faszinosum an ihm. Die Verliebtheit hat sich gewandelt in Vertrautheit und die gemeinsame Geschichte hat uns gelehrt, wie zentral Achtsamkeit und Freiräume für beide sind», beschreibt es eine Freundin.

Und eine Bekannte erklärt: «In den 45 Jahren haben wir uns ein Fundament gebaut, ähnlich einem Mycel. Dieses verbindende Geflecht erlaubt uns, unseren individuellen Interessen nachzugehen und doch immer wieder zurückzufinden.»

Schwierig wird es, wenn verschiedene Wertevorstellungen Einzug gehalten haben, zu wenig gemeinsame Interessen geblieben sind und ernsthaftes Unbehagen nicht angesprochen wird. Wer trotz solchem Manko noch zusammen ist, läuft Gefahr, zu nörgeln und sich innerlich vom andern zu entfernen.

Die anstehende Pensionierung kann ein idealer Zeitpunkt für eine Standortbestimmung sein. Was ist gut in unserer Partnerschaft? Was sollte verbessert oder gar über Bord geworfen werden? «Es hilft, wenn beide schon vor dem Rentenalter zusammen Ziele entwickelt haben oder sich einig sind, was sie noch gemeinsam erreichen wollen», so ein Bericht in der «Schweizer Illustrierten». «Dabei scheint unerheblich, was das ist – solange beide begeistert sind. Sei es nun Wein anbauen in der Toskana oder Imkern auf Teneriffa: Hauptsache, da ist ein Antrieb, der beide mitreissen kann.» Langeweile sei in dieser Lebensphase Gift für das Gehirn, den Körper und die Liebe.

Jemand aus meinem Freundeskreis erklärt: «Putzt miteinander und räumt gemeinsam auf! Diesen Tipp finden alle lustig, aber dahinter steckt viel Wahres: die unangenehme Hausarbeit teilen, im besten Fall zeitgleich, dann ist das Ergebnis besonders schön.»

Respekt und Wertschätzung
Was passiert, wenn die Liebe nicht mehr jung ist? Dieser Frage ist auch die Psychologin und Forscherin Pasqualina Perrig-Chiello nachgegangen. Ihre Ergebnisse hat sie in einem Buch festgehalten. Fazit: Von den langjährigen Verheirateten bezeichnen sich 60 Prozent als zufrieden. Das Pro Senectute Magazin «Visit» zitiert die Forscherin dazu wie folgt: «Respekt und Wertschätzung, gemeinsame Werte und Projekte, eine gute Balance zwischen Gemeinsamkeit und Abgrenzung, einander vertrauen und verzeihen können, positive gemeinsame Gefühle und Erinnerungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zusammenbleiben.»

Für den erfahrenen Paartherapeuten Klaus Heer kommt ein weiterer Aspekt dazu: «Ältere Paare sagen, ‹Wir haben so viel zusammen aufgebaut›, das bindet und verbindet fest.»

Eine Freundin erzählt vom gemeinsamen Durchhaltewillen: «Wir haben als Paar mit zwei Kindern eine dreijährige Aussenbeziehung überstanden. Das hat uns zusammengekittet und prägt die Beziehung positiv bis heute.»

Umgekehrt sehen in der Studie die 40 Prozent der unglücklich Verheirateten ihre zu hohen Erwartungen als Grund, weshalb sie sich als Duo nicht weiterentwickeln. Von den zwischen 1970 und 1985 geschlossenen Ehen sind heute gegen die Hälfte geschieden, in den vergangenen Jahren trennten sich in der Schweiz jährlich rund 3000 Paare im Rentenalter.

Vertrauen als wichtigste Ingredienz
Ein Rezept für die lange Beziehung gebe es nicht, da sei viel Zufall im Spiel, erzählte unlängst ein seit 75 Jahren verheiratetes Paar der «Luzerner Zeitung». Demgegenüber ist bemerkenswert, dass ausgerechnet ein Paartherapeuten-Paar es nicht geschafft hat, seine eigene jahrelange Beziehungskrise zu meistern. «Die Ehe mit Anja war Kampf und Krieg», bekannte Rainer Grundert (63) im Magazin der «NZZ am Sonntag». Gefragt, woran er als Fachmann die Qualität einer Beziehung erkenne, antwortete er: «Am Level der Selbsterkenntnis und an der Bereitschaft, ein Bewusstsein zu entwickeln für sich und den Partner. Die Selbsterkenntnis ist wichtig, weil man wissen muss, wer man ist und was man fühlt.» In derselben Publikation fassen es Marianne und Volker Wolf, seit 50 Jahren verheiratet, so zusammen: «Die wichtigste Ingredienz für eine lange Ehe ist Vertrauen. Immer zu wissen: Da ist ein Mensch, der es grundsätzlich gut mit mir meint. Auch wenn es gerade nicht so gut läuft.»

Eine meiner pensionierten Freundinnen brachte es noch kürzer auf den Punkt: «Wir sind einfach gern zusammen.» Gut möglich, dass dies mit dem grossen Wort Liebe zu tun hat.

Teil 2: «Über Gefühle sprechen statt Rückzug»

13. September 2022 – eva.holz@luzern60plus.ch

Die Reportage erschien zuerst im Magazin «active&life».