Upcycling: Aus erhaltenen Glückwunschkarten werden Geschenkanhänger.

Von Vorsätzen und Einsätzen

Wie lässt sich im Kleinen die Welt verbessern? Macht Helfen glücklich? Wo nützt unser Engagement? Eindrücke, Vorschläge, Stimmen dazu. (Teil 1)

Von Eva Holz (Text und Bild)

«Habt ihr wieder etwas Gefärbtes dabei?», wird M. mit Garantie fragen, wenn wir nächstens im Freundeskreis zu einer Reise aufbrechen. «Ja, klar», antworte ich dann und beschreibe die jüngste Metamorphose: «Aus der beigen Jeans mit dem hässlichen Fleck ist eine neue schwarze Hose geworden, nur die Polyesternähte sind noch hell.» Die Runde wird wie immer zustimmend schmunzeln, im Bewusstsein, dass die Neueinfärbung ein Beitrag an die textile Nachhaltigkeit ist – ein Tropfen auf den heissen Stein, aber immerhin.

Genauso gern hauche ich Glückwunschkarten ein zweites Leben ein. Statt die erhaltene Geburtstags- und Weihnachtspost bis zum Nimmerleinstag aufzubewahren oder zu entsorgen, schneide ich die bunten Motive so zurecht, dass sie fortan als Geschenkanhänger oder Mini-Grusskarten dienen. Auch Notizblöckchen kaufe ich schon lange nicht mehr, denn aus gebrauchten Couverts oder dünnen Kartoneinlagen lassen sich im Nu Einkaufszettel und Merk-Kärtchen machen. Zudem habe ich festgestellt, dass das bewusste Nicht-Kaufen eines reizvollen Kleids fast so lustvoll sein kann, wie etwas Neues in den Schrank zu hängen.

Deswegen bin ich längst keine Sauberfrau. Mein Fussabdruck ist immer noch zu gross. Doch gross ist auch meine Achtung vor Leuten, die konsequent nicht mehr fliegen und ihr Auto verkauft haben.

Das Glücksgefühl beim Flicken
Umarbeiten, Aufpeppen, Erneuern gilt als Gebot der Stunde. Ein wahres Glücksgefühl erlebte die Journalistin Anna Kardos nach dem Flicken eines Puppenwagens. In der «NZZ am Sonntag» schildert sie: «Auf den Bäbiwagen folgte der Kinderstuhl, der aus dem Leim gegangen war, die Schublade, deren Knauf fehlte, das Sofa mit der gerissenen Naht. Und während ich nähte, schraubte und klebte, dachte ich darüber nach, wie sehr es schon Kinder fasziniert, wenn etwas kaputtgeht. Und dass den Dingen des täglichen Lebens eine Endlichkeit eingeschrieben ist – aber fast genauso oft auch die Aussicht, dass sie wiederhergestellt werden können. Eine geradezu tröstliche Perspektive.» Schöner kann man es nicht sagen.

Vieles selbst in der Hand
In der Ausstellung «Was Macht mit uns macht» im Vögele-Kulturzentrum 2024 in Pfäffikon zeigte Kuratorin Alexandra Könz unter anderem auf, wie man die eigenen Handlungsspielräume bestmöglich nutzt. Fazit: Innere Haltung, Wortwahl, Entscheidungen und Handlungen lassen sich gut selber kontrollieren, reflektieren und verändern. Und: Vieles hat mit zwischenmenschlichem Engagement zu tun – dem Kitt in unserer Gesellschaft. Dabei zählen nicht nur auffällige Aktionen. «Das Wirken im Kleinen erzeugt oft einen grossen Effekt», wird Kuratorin Könz in der «Luzerner Zeitung» zitiert. Denn: «Wer seine Grossmutter unterstützt oder gar pflegt, verändert zwar nicht die Welt. Aber die Welt dieser einen Frau.»

Am meisten gefragt: Freiwilligenarbeit
Freiwilligenarbeit kommt auch Personen zugute, die nicht zum allernächsten Kreis gehören. «Die Schweizer Bevölkerung ist sehr engagiert», fassen es Markus Lamprecht, Adrian Fischer und Hanspeter Stamm im Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020 zusammen. 39 Prozent der Bevölkerung im Alter ab 15 Jahren sind freiwillig innerhalb von Vereinen oder Organisationen tätig. 46 Prozent leisten Freiwilligenarbeit, indem sie ausserhalb von Vereinen oder Organisationen Betreuungs- und Pflegearbeit leisten, anderen Personen beistehen oder bei Anlässen und Projekten mithelfen (siehe Teil 2: «Es ist schön, im Team etwas zu bewirken»).

Macht Helfen glücklich? In einem Interview auf der Website des Schweizerischen Roten Kreuzes erklärt Theo Wehner, emeritierter Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich: «Freiwilligenarbeit hilft Erfahrungen zu sammeln, zu lernen, dem Anspruch nach Gerechtigkeit und persönlichen Werten Ausdruck zu verleihen, sozialen Kontakt zu haben und vieles mehr.» Ein Forschungsergebnis habe darüber hinaus gezeigt, dass sich jene in ihrer Freiwilligenarbeit am wohlsten fühlen, die sie regelmässig und in einem angemessenen zeitlichen Rahmen ausüben. «Nicht zu wenig, aber auch auf keinen Fall zu viel», so Theo Wehner.

Ausbaufähig: die Zivilcourage
Ob Hosen färben, Flüchtlinge betreuen, Puppenwagen flicken, die Mutter pflegen: Es lohnt sich daran zu glauben, dass jeder persönliche Beitrag, und sei er noch so bescheiden, irgendwo auf der Welt vervielfacht wird. Das gilt auch für die Zivilcourage, die schwierigste aller Disziplinen (siehe Teil 3: «Sperrige Vielfalt leben – und tolerieren»).

Teil 2: «Es ist schön, im Team etwas zu bewirken»

Teil 3: «Sperrige Vielfalt leben – und tolerieren»

26. Dezember 2024 – eva.holz@luzern60plus.ch

Dieser Text ist zuerst im Magazin "active&live" erschienen.