Eugen Bütler: «Wenn zwei nicht weiterkommen, heisst es offen sein für neue Möglichkeiten in der veränderten Partnerschaft.» Foto: zvg
«Über Gefühle sprechen statt Rückzug»
Wie kann eine Paarbeziehung über lange Zeit funktionieren, ja glücklich machen? Ein Interview mit dem Beziehungsratgeber, Buchautor und Theologen Eugen Bütler (63). (Teil 2)
Interview Eva Holz
Werden Sie in Ihrer Praxis oft mit der Frage konfrontiert, wie ein Paarleben gerettet werden kann?
Eugen Bütler: Ja natürlich. In praktisch allen Fällen geht es darum, die Beziehung zu verbessern, wieder mehr Nähe und Verständnis aufzubauen. Häufig stehen wiederholte Missverständnisse im Weg. Wenn die Wertvorstellungen von Beziehung zu weit auseinandergehen und auch eine längere Beratung keine grundlegende Veränderung darin erwirkt, dann wird es schwierig, eine Beziehung zu «retten».
Wenn man sich umhört oder selber nachdenkt, repetiert sich das Rezept für eine tragfähige Beziehung: Vertrauen, Toleranz, Grosszügigkeit. Was würden Sie als Fachperson dazufügen?
Ich würde unbedingt noch Gesprächsbereitschaft hinzufügen und zwar die Bereitschaft dranzubleiben, bis ein «Problem» gelöst ist und wieder Nähe und Offenheit möglich sind. Gefühle zeigen und darüber sprechen statt Rückzug: das ist ein wichtiges Rezept.
Gewisse Paare pflegen eine symbiotische Beziehung und machen alles zusammen, andere leben ihre Individualitäten aus. Welche gleichen Interessen sollten Basis sein?
Allzu symbiotisch ist nicht gesund für eine Beziehung. Eine Paarbeziehung gelingt dann, wenn beide auch Zeiten für sich allein haben, in denen sie zu sich selber finden, spüren, was sie selber wollen. Denn nur, wenn ich weiss, wer ich bin und welche Bedürfnisse mir wichtig sind, kann ich mich einbringen und für den Partner, die Partnerin «lesbar» und attraktiv sein. Ein Paar braucht aber auf jeden Fall regelmässige gemeinsame Zeiten, in denen es nur um die Liebesbeziehung, den Austausch, seelische und körperliche Intimität geht. Ohne dies geht ein Paarleben unter.
Es liegt also drin, dass die eine gerne auf den Markt geht und der andere sich lieber vor den Regalen der Grossverteiler herumtreibt?
Auf jeden Fall. Und es ist sogar förderlich. Einfach solange, dass sie sich als Paar nicht völlig aus den Augen verlieren.
Jemand hat mir gesagt: «Wir sprechen eigentlich kaum mehr miteinander, aber nicht aus Böswilligkeit. Nach 40 Jahren ist alles gesagt und wir spüren genau, was der andere denkt und fühlt.» Daraus spricht Souveränität. Oder ist da Müdigkeit im Spiel?
Beides ist möglich. Wir sprechen nicht mehr viel miteinander, weil wir im Alltagstrott leben und keine Highlights mehr teilen. Oder wir sprechen nicht mehr viel miteinander, weil wir uns ohne Worte bestens verstehen und uns einander nahe fühlen. Gerade das Letztere ist das entscheidende Kriterium. Fühlen wir uns einander nahe, verstehen wir uns, dann spielt es keine Rolle, wie viele Worte wir machen. Ist das Schweigen aber Ausdruck der Resignation, er oder sie versteht mich ja eh nicht, dann ist es natürlich nicht eine gute Situation.
Muss grundsätzlich die Erwartungshaltung heruntergeschraubt werden, damit eine Beziehung über Jahrzehnte funktioniert?
Es kommt drauf an, was mit Erwartungshaltung gemeint ist. Erwartungen an den Partner, die Partnerin, die er oder sie einfach nicht erfüllen kann, sollten wir zugunsten einer realistischeren Sicht aufgeben. Wer nämlich sein Idealbild vom Partner mehr liebt als den realen Partner, der wird zum Zerstörer der Paarbeziehung. Es lohnt sich, genau zu reflektieren, was das Gegenüber auszeichnet und dies zu schätzen. Wenn zwei nicht weiterkommen, heisst es loslassen und offen sein für neue Möglichkeiten in der – veränderten – Partnerschaft.
Wie bringt man frischen Wind in die Beziehung, etwa nach der Pensionierung?
Es geht zunächst darum, sich folgende Fragen zu stellen: Was gehört zu meinem Wesen? Wann habe ich mich in der Vergangenheit erfüllt und glücklich gefühlt? Was ist bis jetzt zu kurz gekommen? Was will ich in den nächsten Jahren verwirklichen? Wie möchte ich Sinnlichkeit, Nähe und Liebe in meinem Leben neugestalten? Es ist ganz wichtig, dass sich Paare über solche Fragen austauschen. Eine offene Auseinandersetzung damit bringt bestimmt schon viel frischen Wind in die Beziehung.
Teil 1: Was hält Paare nach 60 zusammen?
13. September 2022 – eva.holz@luzern60plus.ch