In der Villa am See träumte Wagner von einem judenfreien Deutschland.

Tatort Richard-Wagner-Museum

Die einstige Wohnstätte Richard Wagners in Luzern ist nicht nur ein Ursprungsort grossartiger Musik, sondern auch ein Tatort: Hier schuf der weltberühmte Opernkomponist mit seiner antisemitischen Hetzschrift «Das Judenthum in der Musik» eine Inspirationsquelle für seine späteren nationalsozialistischen Bewunderer und Massenmörder. Leider ist darüber im neugestalteten Museum kaum etwas zu erfahrenVon Beat Bieri (Text und Bilder)

Im Frühling vor einem Jahr eröffnete das Luzerner Richard-Wagner-Museum, seit 1933 ein städtisches Museum, seine neue Dauerausstellung «Wagners Welt», die sechs Jahre lang, von 1866 bis 1872, eine Luzerner Welt war. 670'000 Franken wurden investiert, um den Luzerner Wohnsitz in der einstigen Pracht, die Wagner so liebte, wiederauferstehen zu lassen. Viel Sorgfalt, viel handwerklicher und denkmalpflegerischer Sachverstand wurden aufgewendet, die gehobenen Lebensumstände dieses bedeutendsten deutschen Opernkomponisten der Besucherschaft vor Augen zu führen: Wagners Idyll am Vierwaldstättersee, sehenswert.

Doch die Kritik kam umgehend. Denn das in der neuen Dauerausstellung präsentierte Wagner Idyll blendet die dunklen Seiten des Komponisten weitgehend aus, Seiten, die Wagner gerade in Luzern besonders kultivierte. Es wird gesagt, dass die Luzerner Zeit Wagners glücklichste Jahre waren, seine produktivsten. Und zu den Produkten jener Luzerner Jahre gehörte neben grossartigen Musikwerken auch die üble antisemitische Hetzschrift «Das Judenthum in der Musik», 1869 erstmals unter Wagners Namen publiziert und gegenüber einer anonymisierten Vorgängerschrift erheblich erweitert in ihren judenfeindlichen Aussagen.

Verstörende Auslassungen
In Luzern träumte Wagner von einem judenfreien Deutschland, lange bevor seine späteren Bewunderer sich ans Massenmorden machten, um ein solches Deutschland zu schaffen. Selbst gemessen am damals gesellschaftsüblichen Mass an Antisemitismus waren Wagners Auslassungen verstörend. Seiner Ansicht nach war «der Jude unfähig durch seine äussere Erscheinung, seine Sprache, am allerwenigsten aber durch seinen Gesang, sich künstlerisch kundzugeben». Wagner attestierte Juden «ein Mangel rein menschlichen Ausdrucks». Alles längst bekannt, dazu gibt es seit Jahrzehnten eindeutige wissenschaftliche Abhandlungen.

Im Mai 1997 besuchte ich (für eine «10-vor-10»-Reportage) mit Gottfried Wagner die einstige Wohnstätte seines Vorfahrens. Der Urenkel des Komponisten hatte gerade in einem Buch eine wenig freundliche Innensicht seiner Familie gezeichnet («Wer nicht mit dem Wolf heult») und war dafür mit dem Familienbann belegt worden. Die Wagner-Festspiele in Bayreuth, damals von seinem Vater Wolfgang geleitet, durfte er nicht mehr besuchen. Verdrängung warf er seiner Familie vor, die sich so gerne in Hitlers Dunstkreis bewegt hatte. Zum Luzerner Pamphlet, ohne weitere Erläuterungen in einer Vitrine ausgestellt, sagte damals der Urenkel: Dieses war «eine von Hitlers Bibeln, wesentlich für den Nationalsozialismus. An den Schulen wurde diese Hetzschrift in ganz grauenhafter Weise als eine Vorlage für die deutsche Kultur angesehen». Und: «Man kann klar Zusammenhänge sehen zwischen Wagners Hetzschrift und ‹Mein Kampf›. Dies alles hat dazu beigetragen, was dann später an Grauenhaftem passiert ist.»

Gemäss Gottfried Wagner war der in Tribschen geborene Siegfried, sein Grossvater, ein Luzerner Bürger. Doch die Grossmutter Winifred habe als glühende Nationalsozialistin dieses Bürgerrecht aufgegeben.

Bloss abgefeiert statt aufgearbeitet
In einem Postulat im Stadtparlament wurde vor einem Jahr kritisiert, dass die problematische Person Wagner im neugestalteten Museum bloss abgefeiert statt aufgearbeitet werde. Nun sollen Historiker helfen, diesen Mangel zu beheben – um dann in den kommenden Jahren das Museum entsprechend zu vervollständigen. In einem Interview im Kulturmagazin «041» versprach die Museumsleiterin Monika Sigrist für die neue Saison 2024, das Pamphlet werde nun immerhin «so präsentiert, dass es niemand übersehen kann».

Die antisemitische Hetzschrift Wagners in der Museumsvitrine.

Ein Augenschein zeigt: Zwar sind im Audio-Guide einige Informationen zu Wagners Antisemitismus zu erfahren. Doch «Das Judenthum in der Musik» ist in einer Vitrine neben zahlreichen weiteren Publikationen Wagners eher versteckt, denn präsentiert.

Die herrlich in die hügelige Uferlandschaft drapierte Richard-Wagner-Villa ist nicht bloss ein touristisch attraktives Idyll, sondern auch ein Tatort. Dies der Besucherschaft in der Dauerausstellung zu vermitteln, würde meiner Ansicht nach das Museum nicht abwerten. Im Gegenteil, die liebevoll herausgeputzte Villa würde über die heutige Harmlosigkeit hinaus auch zu einer Stätte des Nachdenkens. Wagner-Liebhabern ist die Erkenntnis zuzumuten, dass auch grosse Kunst von fragwürdigen Menschen geschaffen werden kann.

6. Juli 2024 – beat.bieri@luzern60plus.ch