«Auch mit 70 bin ich noch Tänzer...»

von Ueli Hunkeler (Text) und Corinne Cuendet (Bild)

...sagt der Choreograph, Regisseur, Performer und Tanz-Pädagoge Kurt Dreyer am Ende eines längeren Gesprächs über sein Leben und Wirken. 

Ich kenne Kurt schon länger, ohne ihm je begegnet zu sein. Seit den 80er Jahren und bis heute besuchen viele meiner Bekannten seine Kurse. Und schwärmen von ‘Kurt’. Jetzt sitze ich ihm in seinem Haus auf dem Wesemlin gegenüber und er erzählt aus seinem Leben, von seinem Werdegang und Wirken. Vorher habe ich mir seine neue Website angesehen und bin beeindruckt. Doch beginnen wir von vorne.

Als Primarschüler spielt er im Grimm Märchen von der ‘Goldenen Gans’ mit und küsst der Prinzessin, dargestellt von Lilo, die Hand. Und zwar richtig. Die Klasse lacht ihn aus. Denn, im Theater tue man doch nur so als ob! Aber das geht für den Performer Kurt Dreyer bis heute nicht: «Was man auf der Bühne macht, ist ‘real’, nicht einfach nur ‘gespielt’. Nur dann entfaltet es Wirkung.» - Damit hat er schon in jungen Jahren eine Erfahrung gemacht, die ihn auch später prägt und die der japanische Schauspieler und Autor Yoshi Oida in seinem Werk ‘Der unsichtbare Schauspieler’ beschreibt. 

Lausanne 

Obwohl er sich also schon in der Schulzeit zum Theater hingezogen fühlt, muss Kurt aber zuerst etwas Rechtes lernen. Also macht er das KV und seine erste Stelle führt ihn vom damals noch ländlichen Burgdorf ins welsche Lausanne. Der Besuch einer Schauspielschule ist ihm dort aber aus sprachlichen Gründen nicht möglich, weshalb er sich bei einer Tanzschule anmeldet. So hofft er, dem Theater näher zu kommen. Und tatsächlich, schon bald steht er auf der Bühne, als Mitglied von Tanzgruppen in Bühnenprojekten und TV-Shows. Doch auch daneben ist er kreativ: Mit 20 dreht er seinen ersten Film. Inspirationen und Kontakte findet er in den Bewegungen am Ende der 60er Jahre. So besucht er auch das damals bei der alternativen Jugend beliebte Theater-, Tanz- und Gesangsfestival in der südfranzösischen Stadt Avignon. 

London

Und er findet Freunde, Gleichgesinnte, die ihm zu einer vertieften Ausbildung raten, was ihn schliesslich ab 1970 an die London School of Contemporary Dance bringt. Vier Jahre bleibt er in London und absolviert eine technisch solide und kreative Ausbildung als Tänzer und Choreograph. Martha Graham, Alwin Nikolaïs, Merce Cunningham, Jazz, T’ai Chi, Alexandertechnik, Tanzkomposition und viele andere Einflüsse gehören zu seinem täglichen Curriculum. Schon während der Ausbildung in klassischem und modernem Tanz beginnt er selbst zu choreographieren und zu unterrichten. Ermutigt durch seine Ausbilderin Carolyn Carlson, beginnt er mehr und mehr den eigenen Weg zu finden: «Ich musste nicht mehr danach trachten wie Rudolf Nurejew zu springen, mich wie Martha Graham zu krümmen oder wie Matt Mattox energetisch zu explodieren. Ich erhielt die Erlaubnis mich zu bewegen wie ich mich bewege. Vor allem, ich ‘musste’ nicht mehr, ich ‘durfte’ bewegen.»

Malerei und Unterricht

Mit der Rückkehr in die Schweiz am Ende der 70er Jahre beginnt eine neue Phase des Schaffens von Kurt Dreyer. Zusammen mit seiner Frau Katalin sind zwei Kinder zu versorgen, was den Spielraum kreativen Tuns einerseits erheblich einschränkt, andererseits Neues fordert und fördert. So wendet er sich der Malerei zu. «Der Tanz ist flüchtig, wenig bleibt zurück, wenn der Akt vorbei ist. Ganz anders beim Arbeiten auf Papier, Leinwand oder anderen Materialien: Noch Jahre danach kann darüber reflektiert werden, wie die Arbeiten wirken.», sagt er heute dazu.

Die Notwendigkeit regelmässiger Einkünfte führt auch zur Ausweitung der Unterrichtstätigkeit: Reguläre Klassen, Abendkurse, Gastkurse und intensive Sommerkurse in Biel, Bern und Luzern begeistern die Teilnehmenden damals bis heute. Denn Kurt ist ein Lehrer mit Charisma, der die Kursteilnehmerinnen abholt und ihnen viel für den Alltag mitgibt. Dass hier die weibliche Form gewählt wird, ist kein Verschreiber, auch wenn seine Kurse durchaus auch Männer begeistern!

Ebenfalls in den 80er Jahren beginnt Kurt Dreyers Lehrtätigkeit als Dozent an den Hochschulen für Musik in Luzern und Bern, später auch in Basel und Genf. Im Jahr 2002 übernimmt Kurt Dreyer die Leitung des Studiengangs Rhythmik/Musik und Bewegung in Biel, welcher unter seiner Leitung in die Hochschule der Künste Bern eingegliedert wird.

Choreograph, Regisseur, Szenischer Berater

Doch, wer glaubt, Kurt Dreyer sei seit 1980 nur noch als Lehrer aktiv gewesen, muss sich einmal das Werkverzeichnis auf seiner Website ansehen. Seit seiner Zeit in London bis heute entstanden unzählige Stücke in verschiedensten Genres von Tanz, über Art Performance, Aktionismus, Theater, Oper, Musical, Film bis zu szenischer Musik. Luzernern dürft die Aufführung von ‘Carmina Burana in Szene’ mit dem G.F. Händelchor Luzern in Erinnerung sein. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz hat sich Kurt Dreyer nämlich umfassend mit den körperlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt und hinterfragt, was er in all den Jahren antrainiert hatte und was für Tänzer als ‘richtig’ galt. Unzählige Einflüsse von Feldenkrais, Eutonie, Rolfing und östlichem Gedankengut haben sein Bewegungsverständnis verändert. Daraus und aus der langjährigen Arbeit am Opernstudio Biel resultiert eine Körpertechnik, die spezifisch auf die Bedürfnisse von Sängerinnen und Sängern ausgerichtet ist. Sie wird erweitert durch szenische Ansätze, die auf die Anforderungen zeitgenössischer Bühnenproduktionen eingehen, welche von Interpreten eine äusserst lebendige Präsenz verlangen. Noch heute wirkt Kurt Dreyer als Gastdozent an der Hochschule Luzern, wo im sogenannten ‘StageLab’ Studierende der Gesangsausbildung auf den Einstieg in das Musiktheater vorbereitet werden.

«Tanz ist die Musik der Bewegung»,

sagt Kurt Dreyer und ist einverstanden damit, dass eine Kollegin das, was er zu vermitteln versucht als ‘ungeschönten Tanz’ apostrophiert. Er hat den eigenen Weg gefunden und diesen unzähligen Mittanzenden weitergegeben. «Inneres Bewegtsein äussert sich in gestalteter Form», ist er überzeugt, und wer ihm zuhört, nimmt es ihm ab. Denn es kommt, wie damals der Kuss für Lilo, von Herzen!

Mehr über Kurt Dreyer: www.kurtdreyer.ch

29. März 2017

 

«Mer gönd»

Bewegungsperformance im Rahmen von Marktplatz 60plus am 13. Mai 2017, Kornmarkt Luzern

Unter diesem Titel realisierte Kurt Dreyer exklusiv für den Marktplatz 2017 mit Seniorinnen ein Bewegungsprojekt. «Alter bewegt», das Motto des fünften Marktplatzes 60plus, wurde hier kreativ umgesetzt. Fotos: siehe Fotogalerie Marktplatz 2017