Meinrad Furrer: «Die Haltung meiner Eltern, auch für andere einzustehen, hat mich geprägt.» Bild: Sabine Zgraggen

«Sperrige Vielfalt leben – und tolerieren»

Meinrad Furrer (59), seit Sommer 2022 Leiter Team Peterskapelle Luzern, kämpft für Toleranz in der katholischen Kirche. Im Gespräch erklärt der Theologe und Seelsorger aus Beromünster seine Sicht auf Zivilcourage.

Interview Eva Holz

Wie definieren Sie Zivilcourage?
Meinrad Furrer: Aus meiner Sicht basiert Zivilcourage auf Empathie und einer kritischen Haltung gegenüber Autoritäten und Traditionen. Doch wirklich zum Tragen kommen diese Eigenschaften erst, wenn man auch den Mut hat, Unrecht zu benennen und sich für etwas oder jemanden einzusetzen – im Wissen, dass man dafür gescholten, ausgegrenzt und im schlimmsten Fall verfolgt werden kann.

Sie selber hatten sich 2021 exponiert, indem Sie auf dem Platzspitz in Zürich homosexuelle Paare segneten.
Genau. Auslöser war ein neues Dokument vom Vatikan, das Segen für gleichgeschlechtliche Paare verbietet. Im deutschsprachigen Raum gab es deswegen über hundert Protesthandlungen. Für mich war ebenso klar, dass man das nicht so stehen lassen kann. Denn wer ernsthaft Theologie betreibt, erkennt in der Bibel keine Ablehnung von Homosexualität.

Wie war die Reaktion seitens der Kirchenoberen auf Ihre Protesthandlung?
Es gab damals eine «10vor10»-Reportage über die Segnung. Darin wurde auch mein damaliger Bischof Joseph Bonnemain von Chur befragt. Er nannte meine Aktion eine Provokation und bot das Gespräch an. Im persönlichen Austausch wurden die unterschiedlichen Haltungen sehr deutlich sichtbar. Er ermunterte mich aber auch, mein queeres Engagement nach bestem Gewissen weiter zu führen.

Wegen dieser Aktion waren Sie 2022 Kandidat für den «Prix Courage» des Beobachters. Was gab und gibt Ihnen die Kraft, gegen den Strom zu schwimmen?
Sicher spielen mein offener Charakter und meine christliche Überzeugung eine Rolle. Jesus ist doch das Vorbild in Sachen Zivilcourage. Zudem bin ich in einer vielköpfigen katholischen Bauernfamilie aufgewachsen, die zwar traditionell, aber auch widerständig war. Mein Vater etwa hatte sich vor Jahrzehnten positiv über Reformierte geäussert. Das war damals recht mutig. Die elterliche Haltung, für einander zu schauen und auch für andere einzustehen, hat mich geprägt.

Sie kämpfen für eine Kirche, die niemanden diskriminiert. Unter anderem haben Sie die Luzerner Queer-Bibel mit initiiert. Was unterscheidet diese von der herkömmlichen Bibel?
Wer die Bibel offen interpretiert merkt, dass Zuneigung und Sexualität auch zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen Zuspruch finden. Es gibt dazu eine umfangreiche queere Bibeltheologie. Eine Kollegin und ich haben queere Themen in der Bibel aufgespürt und auf verständliche, ja gar unterhaltsame Weise nacherzählt. Zudem haben wir schon bestehende Erzählungen gesammelt. Diese eingefügten Texte kann man in unserer bunten Bibel vor Ort und auch online lesen.

Die katholische Gemeinde Luzern steht hinter ihnen. Queer-Bibel, Regenbogenbank und ein Jesus-Avatar im Beichtstuhl der Peterskapelle sorgten aber auch für harsche Kritik. Fühlen Sie sich manchmal zwischen Stuhl und Bank?
Bei uns hat vieles Platz: vom Rosenkranzbeten und Gottesdienst über Kurzbesinnung am Mittag und Kulturaktionen bis zu Reflexion über queere Themen. Dass die Peterskapelle verschiedene Zugänge zu Religion und Spiritualität bietet, stösst auf überwiegend positives Echo. Ich nenne diese Ausrichtung gerne sperrige Vielfalt. Darüber wird beim Publikum teils kontrovers diskutiert, was absolut in Ordnung ist. Schwierig wird es, wenn Verurteilung und Vandalismus im Spiel sind. Das hat es zeitweise gegeben und das ist schwer auszuhalten.

Ist Zivilcourage heute besonders wichtig?
Der Impuls, für jemanden oder etwas einzustehen, ist uralt, zutiefst menschlich und deshalb seit jeher wichtig. Man muss sicher unterscheiden zwischen lebensgefährlicher Zivilcourage, wie sie beispielsweise Frauen im Iran wagen und Zivilcourage in einem grundsätzlich sicheren Umfeld. Allerdings ist es überall heikel, Dinge beim Namen zu nennen, sei es gegen aussen wie innerhalb der eigenen Bubble. Denn man verurteilt schnell und verzeiht wenig, im Nu ist ein Shitstorm im Gang. Drum plädiere ich auch hier: Sperrige Vielfalt leben – und tolerieren.

Teil 1: Von Vorsätzen und Einsätzen

Teil 2: «Es ist schön, im Team etwas zu bewirken»

26. Dezember 2024 – eva.holz@luzern60plus.ch