Solidarisierende Polizisten?
Lieber nicht!
Von Meinrad Buholzer
Früher herrschten hier klare Verhältnisse: der Kanton war konservativ, die Stadt liberal, ergo die Kantonspolizei konservativ, die Stadtpolizei liberal. In Landgemeinden war oft alles geschieden: Gasthaus, Blasmusik, Turnverein je in einer roten (konservativen) und einer schwarzen (liberalen) Variante (als die ersten, verstreuten Sozialisten auftauchten, konnte man allerdings eine wunderliche Allianz der Erzfeinde beobachten: Gemeinsam gegen die «rote Gefahr»!).
Als junger Polizist arbeitete mein Vater in einer dieser Gemeinden. Dort handelte er so, wie es die Lehre will – ohne Ansehen der Partei –, und kam in Konflikt mit dem, was man bei grosszügiger Auslegung Gewohnheitsrecht nennen könnte. Als er die Stammrunde in der konservativen Beiz fürs Überhocken büsste, war die entsetzt und empört: Die eigenen Leute strafen! Das geht doch nicht! So machte er sich bei den Parteigenossen unbeliebt, erntete anderseits den Respekt der Liberalen.
Das war eine der Lehren, die mir mein Vater durch seine Haltung auf den Weg mitgegeben hat (ohne sie eigens zu verbalisieren oder pädagogisieren). Deshalb bin ich skeptisch, wenn Polizisten bei Demonstrationen Pflicht und Meinung durcheinander bringen. Selbstverständlich hat der Polizist, wie alle anderen, Meinungsfreiheit – zieht er aber die Uniform an, versetzt er seine Meinung in einen temporären Ausstand. Das heisst: Er handelt – hoffentlich – ohne Rücksicht auf Partei, Ideologie, Ethnie, Geschlecht usw. Nur so kann er seine Aufgabe erfüllen.
Wenn jetzt Polizisten bei Protesten niederknien, sich mit den Demonstrierenden solidarisieren oder ihre Meinung per Transparent kundgeben, dann ist einiges durcheinander geraten. Das zeigt sich auch in einem Zitat des Zuger Polizeioffiziers Wolfgang Moos: «Eine Demonstration gegen Rassismus polizeilich aufzulösen ist undenkbar. Wir stünden als Rassisten am Pranger.» Zunächst: Denkbar ist das sehr wohl. Und es stellt sich die Frage, weshalb eine Demonstration, wenn sie illegal ist, nicht (mit situationsgerechtem Vorgehen) aufgelöst werden darf? Weil man dann am Pranger steht? Nun, das ist ein Berufsrisiko. Und wenn wir am Rechtsstaat festhalten wollen, der kein Beliebtheits-Wettbewerb ist, dann müssen wir auch an seiner Durchsetzung festhalten. (Sollten wir unser Recht künftig nach Meinungsumfragen und dem Zeitgeist ausrichten, wäre das ein Grund, die Verfassung zu ändern.)
Dass dieses Prinzip gefährdet ist, führe ich auf die bei Behörden und Institutionen wie auch in der Wirtschaft grassierende Imagepflege zurück. Im Fall der Polizei: Ihr Ruf ist nicht überall und nicht in allen Kreisen der beste. Was tun? Man holt sich Beratung, mit dem Ziel, das Ansehen zu verbessern. Und die simpelste Lösung aus dem Blickwinkel der PR: Sich mehrheitsfähigen Trends anpassen. Schön ausgedrückt: zeitgemässe, weltoffene und gendergerechte Präsenz markieren – alles was stromlinienförmig anliegt und keinen Widerspruch provoziert. Anders gesagt: anbiedern und einschleimen. Der direkte Weg zur Willkür – der das Image der Polizei auf Dauer auch nicht verbessert.
Sollte ich mich einmal des Mittels der Demonstration bedienen, dann will ich keine Polizisten, die sich mit mir solidarisieren. Sie sollen sich zurückhalten, meine Demonstration gewähren lassen und allenfalls dafür sorgen, dass sie nicht gestört wird. Ich frage mich nämlich – und das macht mir Sorgen –, was passiert, wenn sich mein Anliegen nicht mit den gerade aktuellen Trends decken sollte. Werden dann die Polizisten ihre Zurückhaltung, wie in den erwähnten Fällen, auch preisgeben? Das kann ungemütlich werden.
Es könnte einem dann ergehen wie Heidi Joos am Pfingstsamstag in Luzern. Sie demonstrierte auf dem Bahnhofplatz mutterseelenallein gegen die Einschränkung der Grundrechte in Zeiten des Notrechts. Hier hatte die Polizei offenbar keine Bedenken, einzugreifen und am Pranger zu stehen, sie legte alle Zurückhaltung ab. Gewaltsam und handgreiflich gingen drei kräftige Polizisten (!) auf die einsame Demonstrantin (im so genannten Risikoalter) los, legten sie in Handschellen und liessen sie die Nacht in einer Gefängniszelle schmoren.
Einerseits also Angst vor unpopulärem Einschreiten, im andern Fall unangemessene Gewalt – so macht man sich unglaubwürdig.
20. Juli 2020 - meinrad.buholzer@luzern60plus.ch
Zur Person:
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.