Wohnen im Alter: An der Nachfrage vorbei geplant?
Von Marietherese Schwegler
Die Bevölkerung altert. In der Stadt Luzern ist bereits heute eine von fünf Personen im Rentenalter, und in zwanzig Jahren dürfte es eine von vier sein. Da lohnte es sich, rechtzeitig für ein passendes Wohnungsangebot für diesen schnell wachsenden Bevölkerungsteil zu sorgen. Die geburtenstarke Babyboomer-Generation (in den 1940er- bis 1960er-Jahren Geborene) ist eine selbstbewusste Nachfragegruppe. Babyboomer wissen, wie sie im Alter leben wollen: Selbstbestimmt, in einem ganz normalen, privaten Zuhause.
Ist die Wohnungswirtschaft für den demografischen Wandel gewappnet, der eben im Gang ist? Wie sieht es auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich aus? Mit solchen Fragen befasst sich die jüngst erschienene Studie „Demografie und Wohnungswirtschaft. Pensionierte auf dem Wohnungsmarkt“ publiziert vom Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ, Hochschule Luzern.
Anbieter gehen von falschen Annahmen aus
Die Vorstellungen der Pensionierten werden in der Studie ausführlich dokumentiert; sie sind auch nicht neu. Überraschendes hingegen ergab die Befragung von 227 grösstenteils privatwirtschaftlichen Akteuren der Immobilienbranche – Investoren, Eigentümer, Liegenschaftsverwaltungen. Sie schätzen zunächst einmal die heutigen Pensionierten gründlich falsch ein, wie die AutorInnen im Vorwort festhalten: “Das tradierte Bild des gebrechlichen und hilfsbedürftigen Menschen dominiert den Begriff des Wohnen im Alter.“ Ein Bild, das der aktuellen Pensionierten-Generation nicht entspricht; sie ist in der Regel fit bis ins hohe Alter.
Die Mehrheit der Akteure im Wohnungsmarkt liegt auch deutlich falsch mit ihrer Annahme, finanzstarke Pensionierte würden Wohnungen mit Dienstleistungsverträgen (z.B. Residenzen) nachfragen. Das tun die wenigsten. Und ebenso wenig wollen Ältere mit tiefen Einkommen im Haushalt ihrer Kinder leben, was viele Wohnungsanbieter ebenfalls glauben. Hingegen unterschätze die Immobilienbranche klar die Nachfrage älterer Personen nach gewöhnlichen, selbstbestimmten Wohnformen – also genau das, was die grosse Mehrheit anstrebt.
Der Markt wird’s richten? Wenn es um geeigneten Wohnraum für die ältere Generation geht, hat dieser Glaubenssatz kaum Gültigkeit. Markus Schmidiger, Leiter Immobilienmanagement am IFZ und Co-Herausgeber der Studie, sagt es deutlich: „Ich bin enttäuscht. Die Branche hat keine Ahnung von den Wohnbedürfnissen der Pensionierten. Oder kein Interesse.“ Eine Erklärung könne sein, dass die Nachfrage nach Wohnraum bisher immer top war und kein Anpassungsdruck bestand, meint Schmidiger.
Attraktive Mietergruppe
Es läge freilich auch im finanziellen Interesse der Wohnungsanbieter, auf die Wohnbedürfnisse der Älteren einzugehen, zumal sich die Zahl der 80-Jährigen in den nächsten Jahren verdreifachen werde, betont Schmidiger. Und es gebe weitere Gründe, die für ältere Mieter sprechen: Sie sind in aller Regel treu, ruhig und sorgfältig, also eine attraktive Mietergruppe. Mit einer deutlich längeren Wohndauer ersparen sie Vermietern auch Kosten: Über 65-Jährige bleiben durchschnittlich zwölf Jahre, Jüngere verlassen ein Mietobjekt im Schnitt nach sechs Jahren.
Nachfrage klar definiert
Zu den Wohnwünschen der Babyboomer-Generation greift die Studie auf frühere Umfragen zurück, die eine deutliche Sprache sprechen: Die Pensionierten wollen in einem ganz normalen, privaten Zuhause leben. Sie wollen in der Siedlung oder im Mehrfamilienhaus nicht nur Ihresgleichen, also älteren Semestern begegnen, sondern mit Nachbarn unterschiedlichen Alters, aber mit einem ähnlichen Lebensstil wohnen. Und: Sie sind durchaus bereit, im Pensionierungsalter noch umzuziehen, um sich ein solches privates Nest für den Rest des Lebens einzurichten. Sofern sie denn eine Chance haben, eine geeignete und bezahlbare Wohnung zu finden.
Betreuungsangebote stehen auf der Prioritätenliste unten. Sollte später einmal Bedarf an Unterstützung da sein, möchten die Pensionierten individuell auf ambulante Dienstleistungen in der Nähe zugreifen können. Ein Umzug ins Pflegeheim kommt für die meisten erst als letzte Möglichkeit in Frage. Angesichts der langen Lebenserwartung bei guter Gesundheit werden immer mehr alte Menschen bis ins hohe Alter daheim betreut werden. Vereinfacht gesagt, müsste die Wohnungswirtschaft also zwischen den Bedürfnissen der jüngeren und der älteren Alten unterscheiden.
Das Älterwerden mitdenken
Was ist zu tun? Die Studie kommt zum Schluss, dass keine spezifischen Alterswohnungen zu bauen seien. Bei Neubauten sei die für altersgerechtes Wohnen wichtige Hindernisfreiheit ohnehin Standard. Handlungsbedarf bestehe vor allem bei bestehenden Wohnbauten und beim Angebot an günstigen Wohnungen. Anpassungen, zum Beispiel der Einbau eines Lifts, aber auch eine kluge Bewirtschaftung seien gefragt. Liegenschaftsverwaltungen sollten aktiv auf Pensionierte zugehen, ihre Bedürfnisse, aber auch die Altersprofile in Liegenschaften oder Siedlungen kennen, sagt Markus Schmidiger. So könnten sie bestehenden und kommenden Handlungsbedarf erkennen und die Objekte gezielt auch an Pensionierte vermarkten. „An den Schnittstellen zwischen Investoren, Bauunternehmungen und Liegenschaftsverwaltungen stellen wir Mängel fest. Da sollte ein besseres Zusammenspiel entstehen“, so Schmidiger. Und der gute alte Hauswart, der nicht nur mit handwerklichen, sondern ebenso mit sozialen Kompetenzen ausgestattet sei, könnte zudem viel zum generationengerechten Ambiente beitragen.
Vorausgesetzt, die Verwaltungen sind nahe bei den Bewohnern, könnte etwa bei Umzugswünschen schon mal ein Wohnungstausch zwischen einer älteren Person und einer Familie innerhalb einer Siedlung vermittelt werden und gleich zwei Mieter glücklich machen. Damit ist ein weiterer wichtiger Aspekt angesprochen: Der grosse Bedarf an kleineren und kostengünstigen Wohnungen für Paar- und Einpersonenhaushalte, die bei Pensionierten die Regel sind.
Die Rolle der öffentlichen Hand
Schliesslich haben auch Städte und Gemeinden grosses Interesse daran, dass Betagte möglichst lange zuhause wohnen können. Aufgabe der Städte sei es laut Studie aber nicht, selber Wohnraum bereitzustellen. Vielmehr sollten sie dazu Know-how aufbauen, mit Wohnungsanbietern kooperieren, soziale Dienstleister und Eigentümer koordinieren und die Quartierentwicklung vorausschauend so gestalten, dass die Versorgung im Quartier gewährleistet sei. So schliesst die Studie: „Möchten Gemeinden und Städte eine Dynamik in der Wohnungswirtschaft auslösen, so müssen sie ihre Rolle als Vermittler zwischen den Interessen der älteren Bevölkerung und der Wohnungswirtschaft wahrnehmen und aktiver nach Opportunitäten greifen.“
Nicht zuletzt nimmt Schmidiger auch die Pensionierten in die Pflicht. Sie sollten sich im eigenen Interesse möglichst früh mit der Wohnsituation im Alter auseinandersetzen – nicht erst, wenn ein plötzlicher Sturz oder sonst ein Ereignis sie zu einem Wechsel zwinge. Selber zu handeln traut er den Babyboomern auch dort zu, wo es um Begegnung oder Nachbarschaftshilfe geht. Sicher zu Recht, denn diese Generation wartet nicht einfach auf Hilfe, sondern kann durchaus selber anpacken.
Joëlle Zimmerli, Markus Schmidiger (Hrsg.). Demografie und Wohnungswirtschaft. Pensionierte auf dem Wohnungsmarkt. Schriften aus dem Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ, Band 31.
12. Februar 2016