Kleidungsstück statt Klebstoff: Annie und Jean Berner-Hürbin mit einem Protest-T-Shirt.
Sie sind Klima-Grosseltern
Es sind nicht allein die Jungen, die gegen den Klimawandel auf die Strasse gehen. Auch eine Gruppe älterer Menschen engagiert sich nicht nur im Privaten, sondern auch öffentlich. Jean und Annie Berner-Hürbin sind im Verein Klima-Grosseltern.
Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Es ist der letzte Tag einer aussergewöhnlichen Hitzeperiode, als wir Jean und Annie Berner-Hürbin in ihrem Reihenhaus in der Oberseeburg treffen. «Uns macht die Hitze nichts aus», sagt die noch immer praktizierende 79-jährige Psychotherapeutin und Buchautorin. Ihr gleichaltriger Mann, der Arzt Jean Berner, stimmt zu. Doch die beiden wissen natürlich, dass die zunehmende Erwärmung eine Folge des Klimawandels ist. Das Wissen allein genügte ihnen aber nicht: Sie fühlten sich auch verantwortlich, gegen aussen zu zeigen, dass der Klimawandel bekämpft werden kann, dass es Sichtbarkeit braucht, um eine Verhaltens- und Bewusstseinsänderung herbeizuführen. So waren sie 2020 Mitbegründer der Zentralschweizer Klima-Grosseltern, einer Bewegung, die schon 2014 in der Westschweiz gegründet wurde. Jean Berner ist seit der Gründung Präsident der Zentralschweizer Sektion, die heute rund 60 Mitglieder hat.
Seit 16 Jahren leben Berners in Luzern, sie sind Eltern von drei erwachsenen Kindern und haben vier Enkel. Vorher praktizierten die beiden gebürtigen Aargauer viele Jahre in einer Gemeinschaftspraxis in Dietlikon, sie als Psychotherapeutin, er als Allgemeinpraktiker und Hausarzt. Wobei Hausarzt wörtlich gemeint ist: Er machte noch Hausbesuche, neun Jahre mit dem Twike, einem dreirädrigen Leicht-Elektrofahrzeug. 20’000 Patienten habe er insgesamt betreut, rund 200’000 Konsultationen durchgeführt. Schon als Kind wurden ihm von Eltern und Grosseltern die Werte vermittelt, die ihn heute noch prägen: Achtsamkeit, Sorgetragen zur Umwelt, nachhaltiges Wirtschaften. Auf dem Balkon steht ein Transparent, das wortreich gegen die Wegwerfgesellschaft protestiert und das sinngemäss die Frage stellt, ob ein Kleidungsstück nicht mehr als einmal getragen werden kann.
Veränderung im und mit den Kleinen
Mit diesem und andern Transparenten und mit weissen, beschrifteten T-Shirts gehen die Klima-Grosseltern regelmässig auf die Strasse, machen auf die knapper werdenden Ressourcen aufmerksam. «Wir kleben uns nicht auf den Boden», sagt Jean Berner, und auch seine Frau distanziert sich von solchen «nicht zielführenden Aktionen», auch wenn Annie Berner die Verzweiflung und die Ängste der jungen Generation nachvollziehen kann. Die Mittel der Klima-Grosseltern und auch der Berners fangen im Kleinen an – bei den eigenen Enkeln: Werte vermitteln, praktische Tipps geben, wie man Wasser oder Energie sparen kann. Doch die engagierten Vereinsmitglieder verstehen sich durchaus auch als politisch denkende Menschen, wenn auch nicht parteipolitisch. Im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen sind an verschiedenen Orten Standaktionen geplant. Dabei sollen aber nicht einzelne Kandidatinnen oder Kandidaten gepusht werden, sondern es soll allgemein auf die Klimaproblematik hingewiesen werden. Zweifel am politischen Willen zur Veränderung schimmern ab und zu bei beiden durch. Annie Berner findet, dass «die Industrie in dieser Frage weiter ist als die Politik».
Engagement wird nicht nur begrüsst
Die Mittel des Handelns sind in den Statuten der Klima-Grosseltern aufgeführt. Neben anderen Punkten, die das eigene Konsum- und Mobilitätsverhalten ansprechen, steht auch, dass Zuversicht verbreitet werden soll «durch Wertschätzung der Vorteile eines Übergangs in eine bescheidenere Welt» und dass es eine «neue und unabdingbare nötige menschliche Solidarität brauche». Die Klima-Grosseltern arbeiten in diesem Sinn auch bei verschiedenen Projekten generationenübergreifend mit Jugendbewegungen zusammen. Die Frage, wie viel Radikalität es brauche, um gehört und wahrgenommen zu werden, steht noch unbeantwortet im Raum. Für gewisse Leute sei es schon radikal, wenn alte Menschen auf der Strasse protestieren: «Wir wurden auch schon massiv beleidigt», sagt Jean Berner, und seine Frau deutet an, dass ihr therapeutisches Engagement gegen das Verdrängen auch bezüglich Klimaschutz wichtig ist und in der eigenen Familie nicht nur begrüsst wird. Für die Berners ist klar, dass ein Wandel nicht nur über den Kopf, sondern auch über Emotionen, also die individuelle Betroffenheit möglich ist.
Wie steht es bei Berners mit dem eigenen Konsum- und Mobilitätsverhalten? «Wir haben zwar noch einen Kleinwagen, den wir alle drei, vier Wochen einmal brauchen. Als GA-Besitzer sind wir meist mit dem ÖV unterwegs.» Und im Herbst fahren sie mit der Familie des Sohns nach Kreta – auf dem Land- und Seeweg. Auch den Fleischkonsum haben sie massiv eingeschränkt – «aber an einem Fest darf es schon eine Bratwurst sein», lacht Jean Berner. Geheizt wird schon lange mit einer Wärmepumpe.
Gegen die Verdrängung
Auch wenn die beiden Klima-Grosseltern manchmal zweifeln, ob die Klimaziele erreicht werden können, machen sie unbeirrt weiter. «Wir sind es unseren Enkeln schuldig.» Annie Berner argumentiert auch als Psychologin: Die weitverbreitete Verdrängung der die Menschheit gefährdenden Entwicklung müsse immer wieder angesprochen werden. Nur so sei Verhaltensänderung möglich. Um die Voraussetzungen zur Krisenbewältigung geht es unter anderem auch in Annie Berner-Hürbins neustem Buch «Der Mensch ist Psyche», das sich den antiken Grundlagen der Psychologie und Psychotherapie widmet.
Der breite Denk- und Erfahrungshintergrund, den die beiden mitbringen, trägt zweifellos zu einer gewissen Gelassenheit bei, gibt aber auch Widerstandskraft bei Anfeindungen und Mut, mit kleinen Schritten zu kämpfen für eine Welt und ein Leben, das nicht mehr auf Wachstum aufbaut, sondern auch den Verzicht und die Bescheidenheit als Werte anerkennt.
Im Garten der Berners stehen ein Oliven- und ein Feigenbaum, auch eine Palme. Sie machen Freude, erinnern an Aufenthalte im Süden. Aber sie sind auch Mahnzeichen der schleichenden Veränderung in der Vegetation aufgrund der Klimaerwärmung. Rettung gibt es vermutlich nicht ohne Widersprüche.
Informationen: www.klimagrosseltern.ch
30. August 2023 – hansbeat.achermann@luzern60plus.ch