Federica de Cesco.
«Schreiben ist mein Leben»
Federica de Cesco, 83, gehört zu den meistgelesenen
Jugendbuchautorinnen im deutschsprachigen Raum. Erst mit 50 Jahren hat sie begonnen, auch für Erwachsene zu schreiben. Seit elf Jahren in Luzern wohnhaft, wird sie am 22. September im Stattkino ihr 100. Buch «Das Erbe der Vogelmenschen» vorstellen.
Von Monika Fischer (Text und Bild)
Ihre Wohnung mit Blick auf See und Berge ist mit schweren Möbeln, bequemen Sesseln und wunderschönen Teppichen ausgestattet. An den Wänden hängen neben Fundstücken aus verschiedenen Ländern Fotografien ihres Mannes Kazuyuki Kitamura. «Manchmal komme ich mir vor wie in einem Museum. Gerne möchte ich jetzt im Alter Ballast abwerfen und mich entlasten, aber wie?», lacht sie und sucht ihre Katze Ninja. «Sie kommt aus einem Tierheim und ist ein äusserst sensibles Haustier. Ist die Katze glücklich, ist der Mensch glücklich. Haben sie auch eine Katze?»
Geflügelte Wesen
Lebhaft erzählt sie von der Entstehung ihres neusten Buches. Im Fotoband von Klaus Schmidt zeigt sie die Bilder von Jahrtausende alten, in Stein geritzten Vogelmenschen. Sie wurden bei Ausgrabungen aus der Steinzeit in Göbekli Tepe in Anatolien gefunden. In einem anderen Buch las sie von Skeletten von grossgewachsenen Menschen, gefunden in der Grotte im südsibirischen Denisova. Auf ihren Wanderungen hatten diese den Ruf von Beschützern und Heilern. Bei ihren Recherchen war Federica de Cesco mehr und mehr fasziniert von den Menschen mit Federmänteln. Sie schlug den Bogen zu den Indianern mit ihrem Federschmuck und zu den geflügelten Wesen in Menschengestalt: Engel, die schützen und Gutes tun. Daraus entwickelte sie die abenteuerlich-mythische Geschichte rund um die Architekturstudentin Leo, die fantastischen Erzählungen ihrer Grossmutter und die Ausgrabungen in Anatolien. Ein Plädoyer für uraltes Wissen, das in allen Menschen schlummert und geweckt werden will? Ein Plädoyer auch für die Gerechtigkeit? «O ja», bestätigt Federica de Cesco, «Ungerechtigkeit treibt mich zur Weissglut.»
Heimat der Seele
Sie war selber nie in Anatolien und hat den Roman nach gründlicher Recherche entwickelt. «Diese ist das A und O. Die Fakten müssen zu hundert Prozent stimmen. Nur so kann ich andere Kulturen, Orte, Ereignisse so minutiös beschreiben, als wäre ich dabei gewesen.» Ausgehend von einer Begebenheit erfindet sie die Figuren, fühlt sich in ihr Denken und Handeln ein und entwickelt sie intuitiv mit dem Schreiben. Und doch wurde ihr bang bei Begegnungen mit Menschen indianischer Abstammung. «Stimmt es auch für sie, was ich seit Jahrzehnten über sie schreibe?» Eine Bestätigung bekam sie vor ein paar Jahren bei den Dreharbeiten für den Film «Shana, das Wolfsmädchen». Nicht der Chief, sondern acht «greatold ladies» hatten bei den Aufnahmen das Sagen und umarmten sie bei der ersten Begegnung spontan. «Intuitiv spürten wir eine Verbindung, die gemeinsame Heimat der Seele. Das zu erlebe, war ein Geschenk.» Beim Erzählen kommen ihr fast die Tränen. «Ich werde sentimental, das ist wohl so im Alter», meint sie mit einem Lächeln und blickt zurück auf ihr Leben.
Geschichten gegen Langeweile
Am 23. März 1938 als Tochter eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter im Friaul geboren, wuchs sie als Einzelkind mehrsprachig auf. Bedingt durch den Beruf des Vaters, einem Ingenieur, lebte sie mit ihren Eltern in Äthiopien, Italien, Frankreich, Norddeutschland und Belgien. Dort begann sie als 13-, 14-Jährige zu schreiben. Auf dem langen Schulweg dachte sie sich Geschichten aus und erzählte sie ihren Schulkolleginnen. Diese drängten jeweils auf eine Fortsetzung. Sie begann die Geschichten aufzuschreiben und suchte für deren Hintergrund in der Bibliothek nach entsprechenden Sachbüchern.
Die Veröffentlichung ihres ersten Buches verdankt Federica de Cesco einem Zufall, oder besser, ihrer konsequenten Haltung. «Die Berufsberaterin hat mir dies in einer für mich langweiligen Unterrichtsstunde eingebrockt. Sie forderte mich auf, zuzuhören anstatt zu fantasieren. Als sie hörte, dass ich eine Geschichte geschrieben hatte, wollte sie diese lesen. Die Frau war begeistert und schickte das von Hand geschriebene Manuskript an einen Verlag, der das Buch «Der rote Seidenschal» herausgab.» Es wurde auf Anhieb ein Erfolg.
Ihre über 70 Jugendbücher sind eine Mischung aus Abenteuerlust, dem Drang nach Freiheit, von Sehnsucht und erster Liebe und wurden von jungen Mädchen nur so hineingezogen. Der Erfolg dauert bis heute an, wie Buchhändler bestätigen. Es seien die Mütter, die ihre Begeisterung für die De-Cesco-Bücher an ihre Kinder weitergeben.
Ein eingespieltes Team
Im Studium verfolgte sie verschiedene Richtungen, schloss jedoch keine ab. Das Schreiben füllte sie ganz aus. Doch gab ihr die Psychologie eine gute Basis für die Entwicklung ihrer Figuren. Nach ihrer ersten Heirat mit einem Schweizer fand sie nach der Trennung eine fortschrittliche Lösung. Sohn und Tochter wuchsen bei beiden Elternteilen auf.
Seit bald 50 Jahren ist sie glücklich mit ihrem aus Japan stammenden Mann verheiratet. Das Ehepaar ist ein eingespieltes Team und unternimmt alles nur Mögliche gemeinsam. Er begleitet sie zu Lesungen, sie ihn auf Reportagen. Mehrere Bücher haben sie zusammen erarbeitet. Kazuyuki Kitamura machte die Fotos, Federica de Cesco steuerte mit ihrem volkskundlichen Wissen die Texte bei. Über ihren Mann lernte sie die japanische Kultur und Lebensweise kennen. Nach langem Aufenthalt in der Westschweiz zog das Ehepaar vor elf Jahren nach Luzern und baute sich hier rasch einen neuen Freundeskreis auf.
Das wichtigste Buch
Erst mit rund fünfzig Jahren begann die Schriftstellerin auch für Erwachsene zu schreiben. Das erste, 1994 erschienene Buch für Erwachsene, «Silbermuschel», handelt von einer jungen Französin. Sie unternimmt eine Reise ins ferne Japan, um den Fesseln ihrer unglücklichen Ehe zu entgehen. Die Begegnung mit der fremden Kultur wird für Julie zu einer Offenbarung. Doch ein autobiografisches Buch? Sie verneint. Einzig der Roman «Der englische Liebhaber» hat durch die Briefe ihrer Tante einen biografischen Hintergrund.
Auf die Frage nach ihrem wichtigsten Buch kommt die Antwort schnell: «Die neunte Sonne». Die Geschichte spielt zur Zeit des Ersten Weltkrieges im japanischen Gefangenlager Bando. Dieses war berühmt wegen seiner relativ humanen und liberalen Gefangenenbehandlung. Hier begegnet der Deutsche Alexander, der sich bei Kriegsausbruch freiwillig meldete, dem Nachfahren eines Samurai. Während der Orchesterprobe für die in Japan beliebte 9. Sinfonie von Beethoven vergleicht Alexander Texte und Schriften von Schiller und Beethoven mit jenen von japanischen Denkern, Philosophen und Schriftstellern. Ausgangspunkt für diesen Roman war für Frederica de Cesco das Aufeinandertreffen von zwei Rebellen verschiedener Kulturen, ihrem unterschiedlichen Umgang mit Würde und Gewalt. «Es kann bei mir auch recht brutal zugehen. Doch geht es mir letztlich darum, die Brutalität des Krieges aufzuzeigen, es ist ein Antikriegsbuch.»
Ungebrochene Lust am Schreiben
Nach 100 Büchern sind Interesse, Neugier, Fantasie und Schaffenskraft von Federica de Cesco ungebrochen. «Was soll ich denn sonst machen?» Sie wundert sich über die Reaktionen von Passanten, die ihr beim täglichen Joggen und Turnen mit ihrem Mann am See zuschauen. «Was, sie können das noch!» Klar doch. Wohl hat sie mehr Mühe mit der Konzentration und kann nicht mehr alles im Kopf behalten wie früher. Auch die Reiselust ist weniger präsent, hauptsächlich wegen Covid. Aber nach wie vor geniesst die Filmfreundin mit ihrem Mann mindestens zweimal pro Woche die Kinobesuche. Sogar den neuesten Bond-Film «Keine Zeit zu sterben» werden sie sich nicht entgehen lassen. «Genau so geht es mir, arbeite ich doch an einem neuen Projekt: Es ist ein Krimi. Das wäre das erste Mal. Ich bin gespannt, ob ich das schaffe.»
8. September 2021 – monika.fischer@luzern60plus.ch