Für eine Nacht ein Winterkurort: die Stadt Luzern am 21. November 2024.
Schaufeln, klopfen, kratzen
Von Hedy Bühlmann (Text und Bilder)
Sind Sie wetterfühlig oder gehören Sie zu den Leuten, die nicht übers Wetter reden und es ohnehin so nehmen, wie es kommt? Als es vor zehn Tagen kurz vor 16 Uhr zu schneien begann, fuhr ich auf dem Fahrrad in Richtung Kunstmuseum. Von der Bruchstrasse herkommend lag der Schnee bereits vor der Jesuitenkirche schwer auf meinem Mantel. Es wird nass werden, dachte ich, während die Flocken mich zwangen, mit halbgeschlossenen Lidern den Bahnhofplatz in Richtung KKL zu überqueren. Vor dem Kunstmuseum angekommen, klopfte ich den Schnee ab und freute mich, dass ich an die Wärme konnte.
Eine Stunde später traf ich beim Verlassen des Museums auf eine Freundin, die mir eine Mitfahrgelegenheit Richtung Allmend anbot. Ich nahm an und unsere einstündige kurzweilige Fahrt von der Auffahrtrampe des Bahnhof-Parkhauses bis zum Steg 1 der Schifflände ging los. Das parkierte Fahrrad überliess ich dem Schnee. Der Schneefall wirkte sich bereits auf alles aus, was sich mit Rädern fortbewegen wollte. Bald ging nichts mehr, ausser man trug solides Schuhwerk.
Schneeskulptur: das Velo wird zum Kunstwerk.
Der Stillstand dauerte, die Räder der Fahrzeuge drehten durch, meine Freundin und ich setzten unsere Plauderstunde fort. Nach 90 Minuten erreichten wir das Paulus-Quartier, das sich bereits tief verschneit präsentierte. Dort, wo sonst abends die Quartierstrassen als Schleichwege von den Ortskundigen benutzt werden und die Jagd nach Parkplätzen in der blauen Zone jeweils beginnt, lag der Schnee unberührt und hoch auf der Strasse, hie und da ein paar Fussspuren.
Die Freundin entschied sich kurzerhand, über Nacht in Luzern zu bleiben und übte sich anschliessend geduldig beim Einparken. Ihr Gefährt sass fest. Ohne die Unterstützung von helfenden Händen hätte ihr Manövrierplan keine Chance gehabt: Unter Spulen, Anschieben und Weggleiten, gutgemeinten Ratschlägen von Leuten, die sich ob des Wintereinbruchs freuten und bereits einen Weg zur Haustüre freischaufelten, ging gar nichts mehr. Ich dachte bereits an morgen, an die Züge, die ausfallen, Busse, die nicht fahren, an Termine, die abgesagt werden und vor Freude kreischende Kinder, die Iglus bauen. Mitten in der Stadt.
Am nächsten Morgen lagen denn auch 42 cm Neuschnee auf dem Fenstersims. Die Schneepflüge ratterten unter Kettengerassel durchs Quartier, hohe Schneewälle säumten die Trottoirs, die es fürs Fussvolk zu erklettern galt, wollte es die Strasse überqueren. Die draussen eingeparkten Autos warteten darauf, freigeschaufelt zu werden. Auch dasjenige meiner Freundin.
Es versteht sich, dass nur wenige Menschen Lust hatten, die schweren Schneemassen umzuschichten. Naiv wie wir waren, machten wir uns mit Handschuhen, kleinen Besen und noch kleineren Haushaltsschaufeln draussen ans Werk. Bis zu den Knien im Schnee versunken begriff ich schnell, dass es dazu weit mehr brauchte als guten Willen und einen gewissen Bewegungsdrang. Eine grosse Schneeschaufel mit Holzstil täte not. Die Nachbarin bot uns ihre kleine eiserne Handschaufel an. Die sei doch besser als mit blossen Händen den Schneeberg vor der Autotür zu versetzen, meinte sie. Ihren Kleinbus habe sie gestern ausserhalb der Stadt stehen lassen und sei dann zu Fuss nach Hause gestapft.
Glücklich, wer sein Auto stehen lassen kann.
Und schon gesellte sich Patrick zu uns – sein Auto war bereits sauber freigeschaufelt – und erzählte, er sei gestern um 16.30 Uhr von Sarnen in Richtung Luzern gefahren respektive gestanden und habe um 23.30 Uhr hier im Quartier parkiert. Mein Blick blieb an seiner Schaufel hängen. Er habe sie von seinem Kunden ausgeliehen, sagte er. Entschlossen nahm ich sie an mich. Beim Weggehen versprach ich ihm, die Schaufel so schnell wie möglich zurückzubringen und begann den Schneewall abzutragen, Schaufel um Schaufel, zurück auf die Strasse.
Anfänglich noch beschwingt ob meiner Akquisition, verloren meine Arme und Beine zusehends an Schwung und Kraft. Nach 30 Minuten breiteten sich leichte Schmerzen vom Oberarm aus in die Handgelenke, der Rücken meldete sich ebenfalls. Auf der anderen Strassenseite wurde auch gekratzt, geklopft und kräftig geschaufelt. Plötzlich stand eine andere Nachbarin mit ihrer Schaufel an meiner Seite und schlug vor, nur eine Spur für die Reifen freizuschaufeln, was sich als logisch und äusserst effizient erwies.
Dann empfahl sie meiner Freundin, den Motor zu starten, einen Meter zurück zu fahren, das Lenkrad nach rechts einzuschlagen und die Pneus mit wenig Gas und viel Gefühl auf die freigeschaufelte Spur zu lenken. Sie hatte es beim ersten Versuch geschafft und tuckerte los. Am Ende der Strasse erkannte ich Patrick. Er winkte, kam uns entgegen und fragte, ob wir es geschafft hätten, die Fahrzeuge freizuschaufeln. Ja, hatten wir, zumindest eines.