Ein langer Traum wird strenge Wirklichkeit
Von Hans Beat Achermann (Text und Bild)
Eigentlich gehöre sie noch gar nicht in diese Porträtserie, scherzt Rea Rudolf van Spijk gleich zu Beginn unseres Gespräch: „Schliesslich werde ich erst nächstes Jahr sechzig." Wir treffen uns am frühen Nachmittag in der Privatwohnung, im Neubau an der Bramberghöhe, der im ehemaligen Garten ihres Bed-&-Breakfast -Gästehauses BB9 steht. Denn der Morgen der Gastgeberin ist mit Frühstück-Machen, Waschen, Putzen, Betten an- und abziehen und Büroarbeiten voll ausgefüllt. Seit zwei Jahren führt die ehemalige Lehrerin, Sozialarbeiterin und Suchtberaterin Rea Rudolf van Spijk nun das BB9 – ein Traum ist strenge Wirklichkeit geworden.
Es war ein lang anhaltender Traum, er dauerte über zehn Jahre, und als er zu Ende und das richtige Haus endlich gefunden war und es daran ging, den Traum in die Wirklichkeit zu übersetzen – da wurden auch die Hindernisse sichtbar, und die zu überwinden war mit viel Arbeit verbunden: für die Wirteprüfung büffeln, unzählige Bewilligungen einholen, die Umbauarbeiten organisieren, und das alles neben ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin beim Sozialberatungszentrum SoBZ, wo sie bis vor drei Jahren angestellt war. „Ich wollte einfach eine Aufgabe, die ich auch nach der Pensionierung noch weiterführen kann", sagt die 59-Jährige. „Doch vorerst bin ich mal auf die Welt gekommen", blickt sie auf die letzten Jahre zurück. „Es war zeitweise ein Horror, und mehrmals fragte ich mich: Mein Gott, wie schaffe ich das?"
B&B statt Künstlerhaus
Jahrelang hatten sie ein bezahlbares und geeignetes Haus gesucht, Rea und ihr Mann, der Arzt und Philosoph Piet van Spijk. Sie waren nahe daran, aufzugeben, als durch einen Zufall das Haus an der Bramberghöhe zum Verkauf stand. Der Luzerner Galerist Urs Meile wollte sein ehemaliges Elternhaus eigentlich einem Künstler zur Verfügung stellen, doch dann kam es anders. Es war die späte Chance für Rea und Piet. „Ich musste meinen Ramsch nicht weggeben", lacht Rea – wobei Ramsch natürlich den grossen Fundus an schönen Sächelchen, Möbelstücken und Brockenhaus-Preziosen schlecht umschreibt. Seit vielen Jahren hatte sie sich auf Floh- und Trödlermärkten umgetrieben und im Hinblick auf das B-&-B-Projekt Deko- und Einrichtungsgegenstände gekauft. Jetzt hat alles seinen Platz und macht das B&B zu einem Bijou.
Mit dem Solex ins Semi
Die Freude am Schönen begleitet Rea seit der Jugend, die sie mit drei Geschwistern in Emmenbrücke verbrachte. „Ich bin ein Viscosi-Kind", erzählt sie. Der Vater war in der einst bedeutenden Textilfabrik Personalchef. Die Viscose-Kinder hatten viele Privilegien: Sie erhielten jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk: Bally-Schuhe oder Schnallenskischuhe, und sie konnten Tennis spielen – jetzt noch eine (passive) Leidenschaft von Rea. Nach der Sek fuhr sie mit dem Solex fünf Jahre lang ins städtische Lehrerinnenseminar. 1978 hatte sie zwar ein Primarlehrpatent, aber keine Stelle. „Da ging ich ein Jahr nach Paris, lernte Französisch und besuchte Kunstausstellungen", blickt sie zurück. Die Liebe zu beidem – zur Kunst und zu Paris – ist bis heute geblieben. Jährlich fährt sie einmal in die französische Metropole, und die Kunst ist an allen verfügbaren Wänden präsent. Aus der Betrachterin ist auch eine Sammlerin geworden. Werke von Annelies Strba, Maria Zgraggen, Marie-Theres Amici, Christoph Rütimann, Carmela Gander, Thomas Flechtner, Rémy Markowitsch und von vielen andern beleben die Räume im B&B und in der Privatwohnung.
Aus Gästen werden Freunde
„Ich muss noch etwas anderes machen": Der Satz hatte sie schon 1996 nach Neuem suchen lassen. Zwar war sie nach der Rückkehr aus Paris „eine rüüdig glückliche Lehrerin" geworden , wie sie sagt, doch weiterhin lern- und wissbegierig und vielseitig interessiert: „Ich bin eine Zehnkämpferin." Architektur, Gestaltung standen im Fokus, doch sie sollten Hobby bleiben, denn die abstrakten Hochschulfächer wie Statik und Mathematik waren ihre Sache nicht. So liess sie sich drei Jahre zur Sozialarbeiterin ausbilden und erhielt eine Stelle bei der regionalen Beratungsstelle für Probleme mit legalen Suchtmitteln.
„Jetzt bin ich Unternehmerin", lacht Rea – mit allen Freiheiten und Einschränkungen. Vor allem ist sie auch Gastgeberin, von morgens früh, wenn sie für das Frühstück frische Früchte schneidet, bis spät abends, wenn noch Gäste eintrudeln. Fünf Gästezimmer umfasst das BB9, und die Gäste kommen aus aller Welt: Ruderer aus Australien, Ehepaare aus Deutschland, Fumetto-Künstler aus China und Geschäftsleute aus den USA, Musiker aus Paris. „Es ergeben sich wunderbare, manchmal auch freundschaftliche Kontakte", schaut Rea Rudolf van Spijk auf die ersten zwei Jahre Gastgeberin zurück. „Aber ich habe noch keinen Rappen verdient." Das Geschäft ist eher ein teures Hobby, die Freizeit geschmolzen. Vermisst sie den alten Job mit den geregelten Arbeitszeiten und dem regelmässigen Einkommen nicht? „Was ich vermisse, ist die Kaffeepause", antwortet sie lachend.
Jäten und jassen
Bis vor drei Jahren sind die van Spijks jedes Jahr einen Abschnitt Richtung Schwarzes Meer gelaufen, sieben Jahre zwei Wochen lang, 30 Kilometer täglich. Novi Sad in Serbien war die vorläufig letzte Station auf dem Weg zum Donaudelta. „Dafür habe ich jetzt den Garten entdeckt, die Handarbeit, das Jäten", und für die Filmbegeisterte liegt ab und zu immer noch ein Kinobesuch drin. Und nicht zu kurz kommt das Jassen.
Das Gespräch geht zu Ende mit einer Besichtigungstour durch das BB9. Alles ist bis ins letzte Detail mit Liebe und Geschmack stimmig eingerichtet. Und dann muss sie noch Gäste verabschieden. Auf die Koffer hat sie ein paar feine Schöggeli gelegt.
6. Mai 2016
Rea Rudolf van Spijk wird am Marktplatz 60plus vom 14. Mai in der Kornschütte um 14.30 Uhr Gesprächsgast von Hans Beat Achermann sein. Infos und Bilder zum B&B unter www.bb9.ch