Meinrad Buholzer. Bild: Joseph Schmidiger

Plaudern als Show

Von Meinrad Buholzer

Es war Anfang der 1970er-Jahre und am Anfang meiner Journalisten-Karriere. Man schickte mich nach Zug, wo Dietmar Schönherr und Vivi Bach gastierten. Es gehe aber nicht um den Auftritt. Um was sonst? Die Antwort war vage: So was wie eine Homestory, nur dass das Paar ja nicht at home war. Ich solle mit ihnen reden und darüber schreiben – Klatsch auf seriös, denn ich schrieb ja für ein seriöses Blatt.
Ich weiss nicht mehr, was die beiden in Zug getrieben haben. Doch erinnere ich mich, dass sie mit der Entourage noch irgendwo feiern wollten, und weil ortsfremd (noch keine Navis, keine Handys), setzten sie sich in meinen VW-Käfer. Ich machte den Chauffeur und wir trieben Small Talk.

Kurze Zeit, wirklich nur ganz kurz, überlegte ich mir, ob ich in meinem Auto eine Plakette anbringen sollte: «In diesem VW sassen Vivi Bach und Dietmar Schönherr». Nein, nicht aus Gold! Messing? Vielleicht Blech. Aber dann sagte ich mir, dass das Verfalldatum meines Käfers wahrscheinlich noch vor dem des Duos Schönherr-Bach anfallen würde. Heute muss man dem gnädigen Publikum erklären, wer Schönherr und Bach waren – ihre Asche ist inzwischen im Mittelmeer gelandet. Und mein Käfer längst verschrottet.

An was ich mich deutlich erinnere: Schönherr erzählte von einem neuen «Format». Zuerst dachte ich, er fühle sich in meinem VW beengt und hätte gern ein grösseres Autoformat. Aber dann schnallte ich, dass es um eine Fernsehsendung ging. Es war das erste Mal, dass ich von einer Sendung als einem Format sprechen hörte. Eine Talkshow, sagte Schönherr. Ich verstand Bahnhof. Wie in Amerika, sagt er, den ich doch als Antiamerikaner in Erinnerung habe. Man versammle eine Runde von Prominenten und führe mit ihnen ein lockeres Gespräch.

Und wen soll das interessieren?, fragte ich mich. Die Wirte machen ja auch nicht auf Theaterbestuhlung, damit man dem Stammtisch zuschauen kann, wie er langsam ins Delirium fällt. Gut, Politikerrunden gabs schon damals, vor allem den Internationalen Frühschoppen mit Werner Höfer (dem dann später seine zuvor wohlwollend übersehene NSDAP-Mitgliedschaft zum Verhängnis wurde). Aber Prominentengeplauder?

Sagen wir es offen: Ich war hoffnungslos naiv. Die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Talkshows wurden ein Quotenrenner. Bald hatte jeder Sender eine. Und als das Zappen möglich wurde, konnte man sich von Talkshow zu Talkshow klicken. In Erinnerung geblieben ist mir der ewige Kettenraucher Helmut Schmidt, den ich als Politiker geschätzt hatte, der jetzt den Allwissenden und Unfehlbaren gab und tapfer an der Dekonstruktion seines Images arbeitete.

Überall die gleichen Gesichter, die die gleichen Mienen aufsetzen und ihre gleichen, von keinem Zweifel angekränkelten Statements absondern. Ihre Bedeutung messen sie an der Zahl der Talk-Runden, an denen sie teilnehmen, sowie an der erstrittenen Redezeit – ein Wettkampf, nein, nicht um bessere Argumente, sondern um die Dominanz-Quote. Es gilt Präsenz zu markieren. Wie die Hunde, nur eben verbal. Das Mass gibt, wer die höchste Quote hat (plus Präsenz in Social Media). Das führt zwangsweise zum Gesetz der abnehmenden Substanz bei zunehmender Masse.

Und was haben sie uns gebracht, diese Plaudertaschen? Unterhaltung? Ja, gewiss, wenn wieder mal einer aus Protest wutschnaubend davonlief. Oder als Nina Hagen die Bedienungsanleitung zur Masturbation lieferte. Erkenntnis? Ja, über den bemerkenswert dürftigen politischen Diskurs, wenn man ihn so nennen will. Lösungen für Probleme? Nicht dass ich wüsste. Hauptsache: Man hat geredet – ohne einander zuzuhören (denn dann wären die vorbereiteten Statements Makulatur).

Wie es der Titel sagt: Plaudern als Show. Oder wie es, zirka 400 Jahre früher, La Rochefoucauld ausdrückte: «Sie reden so viel. Was haben sie zu verbergen?»

Übrigens: Dietmar Schönherr (1926-2014) war Schauspieler und Moderator, Vivi Bach (1939-2013) Sängerin und Schauspielerin.

19. Oktober 2024 – meinrad.buholzer@luzern60plus.ch


Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten (LNN). 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten – der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.