Birgit Aufterbeck Sieber. Foto: Joseph Schmidiger

Plädoyer für ein offenes Theater

Von Birgit Aufterbeck Sieber

Mit der Zukunft ist es ja so eine Sache: Sie scheint weit genug entfernt, als dass man konkret werden müsste, und diffus, um nicht noch viele Varianten zuzulassen. Doch es gibt auch handfeste Zukunft. Wer das ausserordentliche Glück hat, ein Theater mitentwickeln zu dürfen, begegnet dem Gestern im historischen Bau und legt heute den Grundstein für die Zukunft.

47.05059° N, 8.30566° O. Wir befinden uns auf dem Theaterplatz in Luzern an der Reuss, an pulsierender Lage. Drehen wir uns um, beeindruckt die erhabene Nachbarschaft: die Jesuitenkirche gleich nebenan, die historische Altstadt mit Kapellbrücke gegenüber, die Neustadt aus dem 19. Jahrhundert im Rücken. Auf diesem vergleichsweise kleinen Perimeter soll das sanierungsbedürftige Theatergebäude von 1839 um- und weitergebaut werden. Es ist die älteste, durchgehend professionell genutzte Spielstätte der Schweiz und die einzige Dreispartenbühne der Zentralschweiz. Das Luzerner Theater erhält eine exzellente künstlerisch-betriebliche Zukunftsperspektive für das 21. Jahrhundert.

Wie aber baut man für ein Jahrhundert? Was benötigen die Künstler, was die Zuschauer der nächsten Generationen? Wir können nur vermuten. Aber was unterscheidet ein Gebäude aus dem 21. Jahrhundert von früheren? Ein geschlossener Kulturtempel, der erst zur Vorstellung öffnet und danach rasch wieder schliesst, passt nicht ins 21. Jahrhundert, gibt das Betriebskonzept für das «Neue Luzerner Theater» vor. Offen soll der Bau werden, architektonisch, inhaltlich, betrieblich, Angebote auch für Nichttheaterbesucher. Folgerichtig wurde auch bereits der Architekturwettbewerb extrem offen gestaltet und ergab über zwei anonyme Stufen 128 Projektvorschläge. Ein riesiges Interesse an der Aufgabenstellung.

Das gekürte Siegerprojekt «überall» der Zürcher Architekten Ilg Santer gab kräftig zu reden, insbesondere die Nordfassade. Die engagierte Diskussion war dabei sehr aufschlussreich, da wesentliche Punkte in die Überarbeitung einfliessen konnten. Die Fassade fügt sich nun in die Umgebung ein, und zur Jesuitenkirche wurde ein respektvoller Freiraum geschaffen.

Eindeutig überzeugt das Projekt vor allem, weil es Dreierlei schafft: Erstens erhält es uns den historischen und identitätsstiftenden Altbau, ein Wunsch vieler Luzernerinnen und Luzerner. Die drei ergänzten modernen Baukörper bieten die Räume und Ausstattung, damit wir exzellente Theaterkunst heute und in naher Zukunft erleben. Vorausschauend unterstützt die Flexibilität der Räume auch eine Weiterentwicklung in fernerer Zukunft.

Zweitens ermöglicht das Neue Luzerner Theater kluge Betriebsabläufe. Drittens wird Offenheit meisterlich umgesetzt. Von allen vier Seiten ist das Theater  zugänglich. Das Herzstück, der Zuschauerraum des alten Stadttheaters, wird öffentlich, das Foyer zum Treffpunkt unabhängig von einem Theaterbesuch. Sämtliche Publikumsräume – das Foyer, der grosse Saal, der Bühnenraum – öffnen sich zum Reussufer. Das sind wertvolle Angebote für alle: für Theaterbesuchende, Theatermachende, Nichttheatergänger und Passanten. Wir bekommen ein einzigartiges Theater, das den Ruf von Luzern als Kulturstadt in Zukunft festigen wird.

Die Attraktivität einer Stadt und einer Region steigt mit ihrem Angebot. Auch wer nie in ein Stadion geht, schätzt es, wenn seine Stadt ihm dieses bietet. Beeindruckend war der strahlende Mut der 1990er- und Nullerjahre, der in Luzern das bahnbrechende KKL und noch dazu ein Fussballstadion ermöglichte. Anfang 2025 stimmen wir Luzernerinnen und Luzerner über unser «Neues Luzerner Theater» ab. Ich wünsche uns allen Mut für eine kluge Zukunft.

16. September 2024 – birgit.aufterbeck@luzern60plus.ch


Birgit Aufterbeck Sieber, 1968 geboren, ist bei Düsseldorf aufgewachsen. Sie studierte Geschichte, politische Wissenschaften und Kunstgeschichte in Bonn und lebt seit 1999 in Luzern. Neben vielen Tätigkeiten in Wirtschaft und Medien war sie von 2015 bis 2023 Präsidentin der Stiftung Luzerner Theater. Sie setzt sich weiterhin für eine neue Theaterinfrastruktur in einer vielseitigen Kulturstadt ein.