Nadja Iseli in ihrem Atelier in Emmenbrücke, 8. Mai 2018.
Nadja Iseli und ihre Liebe zu Steinen
Von Toni Zwyssig (Text) und Joseph Schmidiger (Fotos)
Sie ist 1.61 klein, wiegt 51 Kilo, bearbeitet vier mächtige Steinblöcke von zusammen 30 Tonnen und ist seit einem halben Jahr im Pensionsalter: Die Bildhauerin Nadja Iseli. Ob als Künstlerin, als Köchin, Gärtnerin oder Katzenhüterin – in allem was sie tut strebt sie nach Perfektion.
Sie ist Bob-Dylan-Fan, hat zusammen mit ihrem Mann ein gutes Dutzend Bob-Dylan-Konzerte in der ganzen Welt besucht und das nächste ist geplant. In Luzern trifft man sie in der Jazzkantine und im Mullbau. Ihr neustes Kunstwerk kann man jetzt im Brünighof im Industriequartier in Luzern besichtigen. Dort steht ihre überlebensgrosse Sitzgruppe aus zartgrünem Splugastein und lädt zum Verweilen ein. Ihre bisher grösste Bildhauerarbeit.
Die Idee
Im neu erbauten Brünighof, einer Überbauung mit 78 Mietwohnungen, Büro-und Geschäftsräumen und einem Restaurant sollen sich Bewohner und Gäste – Erwachsene und Kinder - begegnen. Der Hof ist von vier Seiten her öffentlich zugänglich. Dort soll die geplante Skulptur Hofteile und Menschen miteinander verbinden. Die provokative Installation besteht aus einem riesigen Steintisch und drei übergrossen Sitzplätzen.Hier kann man sich treffen, sitzen und klein werden wie Kinder, die im Alltag ihre Nase auf Tischhöhe haben. Vor Nadjas vier Steinskulpturen sollen Erwachsene diese Perspektive neu erleben und gleichzeitig auf eine bekannte Dimension, ein altes Gefühl, treffen: Klein werden vor dem grossen Ganzen.
Der Stein
Nadja hat keinen Lieblingsstein. Jeder sei anders. Der Stein sage ihr, was geht und was nicht. Sie habe sich zu fügen. Für sie ist klar: Hier im Brünighof muss es ein Verde Spluga sein – ein hellgrüner, schwach geschieferter, mittelkörniger Gneis mit Quarz-Einschlüssen, weisser schlierig-wolkiger Textur und gröberen, milchig-weissen Gemengeteilen. Fast ein wenig wie Bob Dylan? Der grüne Splügenstein wird in einem Steinbruch auf der italienischen Seite des Splügenpasses unter Tag abgebaut. Der Verde Spluga ist 250 Millionen Jahre alt – Nadja 64. Steine hätten eine Geschichte, die man nicht nachvollziehen oder schaffen könne, sagt Nadja. Sieben Mal ist sie zum Steinbruch nach Italien gefahren, um den Stein auszuwählen, das Ausbrechen zu überwachen und den Abtransport zu organisieren. Im Januar ist der Stein im Vorplatz ihres Ateliers zwischen Viscose-Stadt und Emme eingetroffen: Vier riesige Klötze nahezu gleich hoch wie die zierliche Bildhauerin.
Die Bildhauerin
Was jetzt kommt ist Schwerstarbeit: sägen – ausschneiden - spitzen – schleifen – polieren. Ein halbes Jahr, täglich ausser sonntags, sechs Stunden bei Schnee und Kälte, Regen, Sonne und Hitze. „Wenn du einen Tag lang gespitzt oder geschliffen hast bist du am Abend fix und fertig!“ sagt sie. Nur wenige Frauen wählen diesen Beruf. Bildhauern sei ein einsames Geschäft. Sie habe es frei gewählt. Von Wanderungen habe sie meistens einen Stein mit nach Hause gebracht. Die Grabsteine auf den Friedhöfen in Schottland hätten sie fasziniert. In ihrem ursprünglichen Beruf baut sie heute noch Architekturmodelle. Broterwerb.
Steine und die Bildhauerei interessierten sie aber immer mehr. Seit den 90er Jahren besucht sie Bildhauereikurse und Symposien. Sie habe viel von andern Bildhauern und einer Bildhauerin gelernt, unter anderen von Isamu Noguchi, Ulrich Rückriem und Barbara Hepworth.
Es reize sie, etwas zu verändern, verschönern, bewegen und zu erzählen. Jeder und jede könne ihr Werk anders lesen. Ob der Stein sie kenne? Ob sie mit ihm spreche? Ob er zu ihr spreche? „Er redet nicht mit mir, aber er hat mir viel zu sagen. Er fordert mich und zeigt mir, was geht und was nicht. Ich will heraus holen, was der Stein in sich hat.“
„Verda Spluga ist ein fantastischer Stein“, sagt sie. „Immer wieder stellen sich Glücksgefühle ein. Du bist mit dir und dem Stein allein, versuchst ihn zu bewegen - und er bewegt dich. Ich erzähle mit meiner Arbeit eine Geschichte, verschiedene Geschichten, die jeder und jede anders lesen kann.“
Die Platzierung
Im Juli ist es so weit. Mit zwei Lastwagen werden die vier Skulpturen nach Luzern transportiert und mit einem riesigen Pneukran in den Brünighof gesetzt. Zum ersten Mal sieht Nadja die Steine in der von ihr geplanten Konstellation auf dem vorgesehenen Platz im Hof. Bisher habe sie das nur im Modell sehen können.
„Die Steine müssen sich jetzt einleben. Die Dimension stimmt. Die Steine wachsen aus dem Boden. Das Licht auf ihnen wechselt ständig und die Wirkung verändert sich. Der luzide Stein wirft einen hellgrünen Schein in den Hof hinein. Die Steine erscheinen weich. Die wellige Oberfläche ist nicht künstlich aufgezwungen. Ich habe mich an die Struktur, die Bruchstellen gehalten. Der Stein ist weich zum Anfühlen und zum Anschauen.“
Loslassen
Noch nicht ganz. Nadja Iseli wohnt in der Nähe. Und weil die Steine sich auf halböffentlichem Grund befinden könne sie diese jederzeit besuchen. - 6.10.2018
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