Eugen Bütler: «Wenn das Bewusstsein nach Zusammengehörigkeit fehlt, kann eine Paarbeziehung auf Dauer nicht klappen.» Bild: zvg

«Mit räumlicher Distanz Klarheit erlangen»

Der psychologische Berater Eugen Bütler erklärt, wo für Paare mit getrennten Räumlichkeiten die Chancen und Gefahren liegen. Seine differenzierten Erklärungen sind aufschlussreich. Teil 3 der Serie «Getrennt wohnen, getrennt schlafen».

Interview Eva Holz

Ist der Entscheid, in getrennten Zimmern zu schlafen oder gar in getrennten Wohnungen zu leben, der Anfang vom Ende einer Beziehung?
Eugen Bütler: Es gibt Paare, die sich ihrer Beziehung nicht mehr sicher sind und dann, um sich Klarheit zu verschaffen, auf räumliche Distanz gehen. Das könnte tatsächlich der Anfang vom Ende sein. Es kann aber ebenso sein, dass die Zwei ganz einfach mehr Freiraum für sich selber brauchen. Wenn beide den Wunsch nach mehr Autonomie nicht als Ablehnung auffassen, kann mehr Abstand zu einem inspirierenden und kreativeren Miteinander führen. Viele Paare machen den Fehler, alles gemeinsam tun zu wollen und möglichst viel zusammen zu sein. Ich habe mit meiner Partnerin, die auch Beraterin ist, einmal die Punkte gesammelt, die wichtig sind in einer Beziehung und da war Abstand einer der Punkte.

Das heisst, eine räumliche Distanz kann das Paarleben spannender machen? Oder praktisch gesehen: Warum jede Nacht unter Schnarchen leiden, wenn es anders geht?
Ja, manchmal führen ganz einfache Dinge wie Schnarchen oder unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich frischer (kalter) Luft zu getrennten Schlafzimmern. Warum nicht, wenn beide dadurch besser schlafen. Natürlich kommt mindestens ein weiterer Aspekt dazu. Es ist wichtig, in einer Paarbeziehung der Individualität genügend Raum zu geben. Nur wer den Kontakt zu sich und zu den eigenen Bedürfnissen immer wieder herstellt oder besser behält, kann sich auch wieder auf den Partner/die Partnerin einlassen. Und dabei können getrennte Betten oder getrennte Wohnungen unterstützend sein. Abstand ist die Voraussetzung, um wieder neu aufeinander zugehen zu können und sich und den Andern neu zu entdecken. Das Wechselspiel zwischen genügend Gemeinsamkeit und genügend Abstand ist das Geheimnis einer erfüllenden Paarbeziehung. Dies gilt für zusammenwohnende Paare noch in erhöhtem Mass und falls Kinder da sind doppelt.

Macht es einen Unterschied, ob man von Anfang an getrennt wohnt oder ob man durch räumliche Trennung eine Beziehung zu retten versucht?
Es macht klar einen Unterschied. Wer von Anfang an eine Fernbeziehung lebt, behält sich ein Stück Eigenständigkeit. Man kann so unbeschwerter den eigenen Interessen nachgehen und belastet dadurch die gemeinsame Beziehungszeit nicht. Beide können einander schöne Erlebnisse oder auch Herausforderungen erzählen und sich so gegenseitig inspirieren. Wer hingegen versucht, durch räumliche Distanz eine bestehende Beziehung zu retten, steht vor einer grossen Herausforderung. Eine Auszeit kann sich positiv auf die Partnerschaft auswirken, ist aber keine Garantie, dass sich anschliessend alles in Wonne fügt. Wenn beide wieder mehr zu sich und zu ihrem Eigenen finden, kann sich das entspannend auf die Partnerschaft auswirken. Ebenso kann auch Klarheit entstehen, dass man nicht mehr weiter zusammen sein will. Chance und Risiko von zeitlich gewählter Distanz halten sich also die Waage. Ich empfehle in solchen Phasen, sich mit der eigenen Lebensgeschichte etwa durch den Besuch einer biografischen Trancearbeit zu befassen. Oftmals lassen sich Blockaden und Muster so auflösen, was sich auf die bestehende oder eine zukünftige Paarbeziehung positiv auswirkt.

Wann kann es zu viel der Distanz werden? Mit anderen Worten: Wann kühlt es gefährlich ab?
Eine Beziehung braucht nicht nur genügend Abstand, sondern auch genügend Zeiten des gemeinsamen Austausches, des Zusammenseins in Form von Kuscheln und Zärtlichkeit, Besuch von kulturellen Anlässen, Tanzen usw. Es macht aus meiner Sicht Sinn, ein- oder zweimal die Woche länger als einen Tag miteinander zu verbringen und gemeinsame Zeit nicht nur mit Sex zu leben. Denn wichtig ist ein für beide stimmiges Mass an seelischer Intimität.

Welches sind die Grundvoraussetzungen, um in getrennten Logis ein gutes Paarleben zu führen?
Das Bewusstsein, wir gehören zusammen. Wenn dieses Bewusstsein fehlt, kann eine Paarbeziehung auf Dauer nicht klappen. Wenn ein Teil sich nicht sicher ist, wie weit die Beziehung stimmt, gibt es Probleme. Es ist wichtig, diese Frage für sich und als Paar zu klären. Und es ist gut, sich auch in der Zeit der Abwesenheit immer wieder Zeichen der Verbundenheit zu schicken. Höchstwahrscheinlich schreiben sich Paare, die getrennte Wohnungen haben, viel häufiger. Liebesbezeugungen auf Distanz haben einen besonderen Reiz. Zentral ist im Weiteren das gegenseitige Vertrauen. Dieses entwickelt sich auf dem Boden von Freiheit und Gemeinsamkeit.

Teil 1: Wenn es Paaren räumlich zu eng wird

Teil 2: «Sich zu sehen, ist jedes Mal eine Freude»

27. September 2023 – eva.holz@luzern60plus.ch

Diese dreiteilige Serie ist zuerst im Magazin «active&live» erschienen.