«Siehe LNN»: Wie dieses Trikot des FC Luzern aus der Meistersaison 1989 seinen Weg ins Roma-Dorf in Transkarpatien gefunden hat, weiss die Autorin nicht.

Menschen, die nirgends willkommen sind

Der Angriffskrieg auf die Ukraine jährte sich am 24. Februar 2025 zum dritten Mal. Monika Fischer erinnert sich an ihre Besuche und fragt sich, was wohl aus Sergej geworden ist.Von Monika Fischer (Text und Bilder)

Für mich sind mit dem oben gezeigten Bild von 2009 persönliche Erinnerungen verbunden. Diese wurden geweckt, als in den letzten Monaten über die in der Schweiz unerwünschten grossen Roma-Familien aus der westukrainischen Provinz berichtet wurde.

«Das sind keine Ukrainer, das sind Roma!» Diesen Satz hörte ich immer wieder zu einigen Bildern in unseren Berichten über das Projekt Parasolka. Auf meinen Einwand, «Romas sind doch auch Ukrainer», gabs ein entschiedenes Nein. Unter den Kindern, die wegen ihrer Behinderung nach der Geburt an den Staat abgegeben wurden und versteckt von der Bevölkerung in abgelegenen Kinderheimen aufwuchsen, sind auch etliche Romas. Um sie als Erwachsene vor einem Leben in einer psychiatrischen Anstalt zu schützen, bauten wir vor 15 Jahren das ukrainisch-schweizerische Modellprojekt Parasolka auf. Dort finden die jungen Menschen seither angepasste Bildung, Wohnen und Beschäftigung.

Die Geschichte von Sergej
Vor dem Umzug wollten einige Kinder ihre Eltern kennenlernen. So auch Sergej, der Jugendliche mit einer wunderschönen Stimme und deformierten Beinen. Meine Mitreisenden und ich durften ihn mit der pädagogischen Leiterin beim Besuch seiner Familie in die Roma-Siedlung begleiten. Das halbe Dorf war zusammengekommen, um die Gäste zu sehen. Dabei entstand das genannte Bild. Trotz Warnungen, er habe bei seiner Herkunftsfamilie keine Zukunft, wollte er nichts anderes als bei seiner Mutter wohnen und sie unterstützen. Anstatt ins Wohnheim Parasolka zog er vor 15 Jahren ins Roma-Dorf.

Bei einem späteren Besuch erzählte er wenig. Wir erfuhren, dass ihm das Handy, die einzige Kontaktmöglichkeit zu seinen langjährigen Kollegen, abgenommen worden war. Wir kennen die schwierige Situation der Romas in der Region. Von der übrigen Bevölkerung diskriminiert, wohnen sie meist in eigenen Dörfern und Quartieren. Viele sind Analphabeten, haben ein paar Tiere, einen kleinen Garten und leben von Gelegenheitsarbeiten. Umso grösser ist der Zusammenhalt in der Familie. Wir erfuhren nichts mehr von Sergej. Es gab Gerüchte, man habe ihn bettelnd auf der Strasse gesehen.

Sergej bei meiner letzten Begegnung im November 2021.

Bei meinem Besuch in der Region zwischen Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg im November 2021 sah ich ihn unerwartet in einer Kleinstadt am Strassenrand stehen. Ein Passant hatte ihm eben einen Sack mit Kleidern in die Hand gedrückt. Als Sergej mich sah, starrte er mich an, als sei ich eine Erscheinung vom Himmel. «Monika Fischer!», rief er schliesslich und flog mir mit seinen krummen Beinen buchstäblich in die Arme. Mit traurigem Blick erzählte er von seinen zwei Kindern und dass seine Frau an Krebs gestorben sei.

Die kurze Begegnung wird uns beiden unvergesslich bleiben. Jetzt, da sich der Angriffskrieg auf die Ukraine bereits zum dritten Mal jährte, frage ich mich, was wohl aus Sergej und seinen Angehörigen geworden ist.

23. Februar 2025 – monika.fischer@luzern60plus.ch