Die Zukunft der Gesellschaft, ja der Welt bewegt Hansjörg Vogel.
Hansjörg Vogel – dem Menschen dienend
Theologie, Integration, Psychotherapie – das sind die Fachbereiche, in denen Hansjörg Vogel sein berufliches Wirken ansiedelte. Er sagt es nicht explizit, doch es liegt auf der Hand: Da stand immer auch das Engagement für den einzelnen Menschen dahinter.Von René Regenass (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Geboren im März 1951, ist er in Luzern aufgewachsen, am Steinhofrain, etwa 50 Meter vom heutigen Wohnhaus entfernt. Der Vater war Kardiologe, die Mutter Praxisassistentin, später Hausfrau. Was war wichtig damals? «Die Pfadi war prägend, vor allem die Erlebnisse in den Lagern.» Hansjörg war im Stamm St. Paul. Ein Feldmeister Regenass führte.
Was bewegt Hansjörg Vogel heute? «Die Zukunft der Gesellschaft, der Welt eigentlich. Wie kommen wir mit den aktuellen, riesigen Herausforderungen zu Gange? Die Klimaerwärmung und der Krieg in der Ukraine sind nur zwei der Krisenherde. Wir schieben die Probleme vor uns her. Dabei gibt es ganze Regionen, die völlig destabilisiert sind. Ich denke an den Libanon, an Syrien, an den Irak. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern gibt es fast nur noch Gewalt. Alles scheint aussichtslos. Im fernen Osten, in Afrika, in Südamerika gibt es Waffengewalt, Streiks und Hunger. Vielerorts geben populistische Figuren den Ton an.» Hansjörg Vogel braucht Zeit für diese Momentaufnahme, die da so wie ein Referat tönt. Er spricht bedächtig, überlegt, sucht nach Worten.
«Was können wir tun? In der Klimafrage kann man nur hoffen, dass sich die wichtigen Länder auf eine griffige Massnahme einigen können. Aber die Partikularinteressen sind immer noch zu hoch.»
Theologiestudium in Rom und Luzern
Das berufliche Wirken nahm mit der Theologie einen Anfang. Nach der Matura (1970) folgte das Studium in Rom und Luzern. Die Motivation lag im Wunsch nach einer Arbeit, die Sinn und Halt verleiht. «Der christliche Glaube gehört für mich zum Leben», sagt Hansjörg Vogel. «Und es war die Zeit des Zweiten Vatikanums, des Wirkens von Johannes dem XXIII. Innerkirchlich brachte es eine Aufbruchstimmung, die mich auch erfasste.»
Vier Jahre wirkte Hansjörg Vogel als Vikar in der Pfarrei in Horw. Anschliessend folgte ein Aufbaustudium an der von Jesuiten geführten theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main. «In dieser Zeit bereitete ich mich auf die Doktorarbeit vor. Es war in den 1980er-Jahren, die Individualisierung griff um sich, gesellschaftlich kam einiges in Fluss.»
Fünf Jahre (1982 bis 1987) wirkte Hansjörg Vogel am Priesterseminar Luzern als Subregens, als stellvertretender Leiter. In dieser Zeit begleitete er Studierende, die sich auf den kirchlichen Dienst im Bistum Basel vorbereiteten. Anschliessend schloss er seine Studien mit dem Doktorat in Frankfurt am Main ab und wirkte dann von 1989 bis 1994 als Pfarrer in St. Marien in Bern.
Horw, Frankfurt, Luzern, dann Bern. Wer bestimmt eigentlich, wo Priester arbeiten? «Das geschieht durch das bischöfliche Personalamt in Solothurn. Auch mein Aufbaustudium zum Doktorat war mit Solothurn abgesprochen.»
Zum Bischof gewählt
Dann die für Hansjörg Vogel riesige Überraschung. 1994, im Alter von 43 Jahren, wurde er vom Domkapitel in Solothurn aus einer Sechserliste zum Bischof von Basel gewählt. Der Laie fragt da: Gab es eine Bewerbung, eine Anfrage, eine Konsultation vorher? Nichts dergleichen. Annehmen oder ablehnen und das Domkapitel vor den Kopf stossen. Das waren die Möglichkeiten.
Hansjörg Vogel wohnte in Bern als Pfarrer der Marien-Pfarrei. Am Wahltag klopfte es am späteren Abend an der Türe. Draussen stand der Dompropst und überbrachte ihm die Nachricht, er sei zum Bischof gewählt worden. Noch heute sagt er dazu: «Über diese Wahl bin ich damals zutiefst erschrocken. Ich hatte nie und nimmer damit gerechnet. Bischof sein ist eine grosse Aufgabe. Es gibt Erwartungen von allen Seiten, von der Kirchenhierarchie, von den Gläubigen, von der Bevölkerung generell.»
Der Rücktritt war naheliegend
In dieser Zeit nahm das Leben von Hansjörg Vogel eine Wende. «Ich fühlte mich von der Aufgabe überfordert und kam nicht zurecht mit der neuen Rolle als öffentliche Person. Ich suchte menschliche Nähe und wurde Vater. Ich sah keine andere Möglichkeit als den Rücktritt vom kirchlichen Amt und Beruf.»
Der Rücktritt löste ein riesiges Medienecho aus. Daran erinnert sich Hansjörg Vogel nicht gerne: «Wie üblich wollte die Boulevardpresse ihrem Status gerecht werden. Der ‹Sonntagsblick› beschaffte sich aus dem Briefkasten meiner Partnerin den Geburtsschein unserer Tochter und druckte ihn ab.» Andererseits war er erstaunt, dass er grosses Verständnis für seinen Weg fand.
Die neue Herausforderung begleitete Hansjörg Vogel in den nächsten Lebensabschnitt, wo wieder der Mensch am Ziel des Wirkens steht. Er begann das Studium am C.-G.-Jung-Institut in Zürich. Er bewarb sich um Stellen im Sozialbereich. Und da präsentierten sich gute, sinnstiftende Aufgaben, wie zugeschnitten auf das bisherige Engagement für den Menschen. Beim Flüchtlingsdienst des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) in Zürich leitete er ein Pionierprojekt in der Integrationsarbeit zur Begleitung von Menschen aus der Türkei in unserem Gesundheitssystem. Zeitgleich war Hansjörg Vogel in Teilzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Therapiezentrum SRK für Folteropfer. Es ging vorwiegend um Menschen aus Bosnien und der Türkei.
Interkulturelle Vermittlung als Luzerner Integrationsbauftragter
Diese Stellen in Zürich und Bern schufen die Basis für die nächste Bewerbung. Es ist, als ob zwei Zahnräder ineinandergreifen würden. Der Theologe wurde Integrationsbeauftragter des Kantons Luzern. Die neue Stelle wurde vom Regierungsrat aufgrund des kantonalen Integrationsleitbildes für Ausländerinnen und Ausländer geschaffen. Zehn Jahre (2001 bis 2011) wirkte Hansjörg Vogel als kantonaler Integrationsbeauftragter. Er kam mit einer breiten Palette an Themen von der interkulturellen Vermittlung bei der Mütter- und Väterberatung bis hin zum muslimischen Grabfeld in Kontakt. «Es ging vor allem auch darum, die Integrationsbemühungen von Kanton und Gemeinden aufeinander abzustimmen. Aus meiner Sicht hat die Integrationsförderung bis heute grosse Fortschritte gemacht.» Was stützt diese Aussage? «Die Gemeinden und die kantonalen Dienststellen haben zum Beispiel in ihren Strukturen die Integration der Zugewanderten besser im Blick. Neu eingereiste Migranten und Migrantinnen werden aktiv informiert über das Leben in der Schweiz. Bund und Kantone fördern die Integration über gemeinsame Integrationsprogramme, die regelmässig überprüft werden. Zugewanderte bemühen sich schneller, Deutsch zu lernen. Und der Anteil der Jugendlichen der zweiten Generation, der eine Berufsausbildung abschliesst und eine Stelle findet, ist deutlich gestiegen.»
In diesen Jahren beim Kanton schuf Hansjörg Vogel die Basis für ein weiteres berufliches Tätigkeitsfeld. Nach dem Studium am C.-G.-Jung-Institut in Zürich machte er 2004 das Diplom in analytischer Psychologie und Psychotherapie. Fünf Jahre später ergab sich die Möglichkeit, als Psychotherapeut in einer Gemeinschaftspraxis in Luzern einzusteigen.
«Diese neue Aufgabe freute mich. Die persönliche Begegnung mit Menschen im Therapie-Zweiergespräch ist wertvoll, vermittelt Einblicke in das Leben Anderer. Die Themen Migration und Religion kamen oft zur Sprache, ich konnte von meinen früheren Tätigkeiten profitieren.»
Im Sommer 2021 ging Hansjörg Vogel in Pension. Und heute? Wie sieht der Alltag aus? «Es gibt noch ein kleines Mandat in einer Stiftung, sonst bin ich frei. Und ich schätze den gewonnenen Freiraum, lese viel, zum Teil Literatur aus dem C.-G.-Jung-Umfeld. Auch Fachbücher aus dem kollektiven Bewusstsein interessieren mich, die Zusammenhänge mit dem Unbewussten aufzeigen. Dazu freue ich mich, dass jetzt auch das Spontane Platz findet, ein Besuch, ein Ausflug bei gutem Wetter, kleine Reisen. Ich bin viel zu Fuss unterwegs.» Diese neuen Freiheiten kann Hansjörg Vogel geniessen, man spürt es.
6.März 2023 – rene.regenass@luzern60plus.ch