Yvonne Volken. Bild: Joeph Schmidiger

Ewige Jugend

Von Yvonne Volken

Vielleicht kennen Sie das Spiel auch noch aus Ihren Kindertagen. Jeden Frühling spielten wir es, meine Schwester und ich, kichernd und gespannt zugleich: «Lieber Kuckuck sag mir doch, wie viel Jahre leb' ich noch?». Fünf, sechs, höchstens sieben Jahre gab uns der Kuckuck meist mit seinen Rufen. Kuckuckrufe habe ich schon lange keine mehr gehört, dafür kreuzt der Begriff «Longevity» fast täglich meinen Weg.

«Longevity», bis vor kurzem ein Megatrend für Superreiche, die irgendwie Richtung «ewige Jugend» und Unsterblichkeit gelangen wollen, ist als Zielvorstellung bei uns allen angekommen, denn sie lässt sich auch ohne viel Geld «erarbeiten». Wir müssen uns einfach diszipliniert an einen Lebensplan halten, der ganz auf unseren Körper fokussiert. So vermeiden wir all die «Strafen», denen wir uns im normalen Alterungsprozess ausgesetzt sehen: Neben vielerlei Gebresten, Schmerzen, Arztbesuchen, Operationen usw. droht uns schliesslich der Tod. Vorher drohen aber noch hohe Kosten, die wir den Krankenkassen verursachen.

«Longevity» bedeute, so betont Nina Ruge (68), die oft befragte und porträtierte Sachbuchautorin und Apostelin der Langlebigkeitsbewegung, die Zellkompetenzen zu stärken («Luzerner Zeitung», 10.1.2025). Ihr Rezept dafür: Früh ins Bett gehen, viel, viel Sport machen, sich nicht stressen lassen und von klein auf ohne Zucker leben. Nina Ruge trägt am Handgelenk einen Blutzuckermesser, am Finger einen Ring, der den Schlaf trackt und die Herzfrequenz aufzeichnet. «Misst man die Dinge, beginnt man schnell, gesünder zu leben», stellt Ruge fest.

«Longevity», das habe ich begriffen, ist die Idee, dass wir zwar immer älter werden, aber dabei jung bleiben, dass wir die Chronobiologie austricksen bis zum Sanktnimmerleinstag. Und wie geht dann so ein Leben zu Ende? In der «Zeitlupe» (Nr. 10/Oktober 2024) lese ich von Aubrey de Grey, einem Biogerontologen. Er ist überzeugt, dass der erste Mensch, der 1000 Jahre alt werden wird, bereits geboren ist. Altern ist für ihn eine Art Massenpsychose, die mit Hilfe von Wissenschaft und Technik aufgelöst werden kann.

Aber, und das ist die «schlechte» Nachricht, wir müssen jung damit anfangen, ewig jung und möglichst unsterblich zu werden. So wie der amerikanische Unternehmer Bryan Johnson (47). Der Multimillionär hat 2021 mit einem Projekt begonnen, das ihn verjüngen soll. Ein striktes Diät- und Trainingsregime bestimmen seinen Alltag. 30 Mitarbeitende sollen ihn beim Verjüngungsprojekt unterstützen und gemunkelt wird, dass er täglich 100 Pillen schluckt und Bluttransfusionen von seinem Sohn erhielt. Fünf Jahre jünger soll er nun schon geworden sein.

Ich nehme mir vor, morgen eine Nina-Ruge-Woche zu beginnen. Grüntee und Flohsamenschalen am Morgen. Am Mittag einen Salat und abends eine Gemüsesuppe. Ich stelle fest, ein gewisses Interesse daran, jung alt zu werden, besteht – wie bei den meisten von uns – auch bei mir. Und vor allem: Ich möchte so lange leben, bis die sehr gut erhaltenen alten Diktatoren von heute «das Zeitliche segnen» und dabei sein, wenn auf Erden endlich paradiesische Zustände herrschen. Dafür braucht es wohl einige Extra-Lebensjahre.

Wird es soweit kommen? Werde ich in jugendlicher Frische uralt werden? Also, auf in den Frühlingswald! Falls ich einen Kuckuck höre, der immerzu ruft, müsste ich ihm, gemäss dem Kinderlied von Hoffmann von Fallersleben, antworten: «Gut, dass du mir prophezeit solche lange Lebenszeit. Aber lieber Kuckuck du, gib mir Fröhlichkeit dazu! Dann ist mir mein Leben lang Kuckuckssang der liebste Sang!».

15'000 bis 25'000 männliche Kuckucke seien jährlich in der Schweiz anzutreffen, schreibt die Vogelwarte Sempach. Und nur sie, die männlichen Vögel, melden sich mit dem typischen Kuckucksruf, um ihr Revier abzugrenzen. Apropos Langlebigkeit: Zwölf Jahre und elf Monate betrug die maximale Lebensdauer eines freilebenden Kuckucks in Europa bisher.

28. Januar 2025 – yvonne.volken@luzern60plus.ch


Zur Person
Yvonne Volken, geboren 1956, war u. a. als Buchhändlerin, Journalistin, Kulturveranstalterin und Klassenassistentin tätig. Sie kam so mit ganz unterschiedlichen Lebenswelten in Kontakt. Seit ihrer Pensionierung sammelt sie Erfahrungen als betreuende Angehörige – und neuerdings als Grossmutter.