Kolumnist und Regisseur Buschi Luginbühl. Bild: Joseph Schmidiger

Erinnerung an einen «Meldekopf»

Dem Vergessen Einhalt gebieten
Ohne Erinnerung gibt es keine Kultur.

Ohne Erinnerung gäbe es keine Zivilisation, keine Gesellschaft,
keine Zukunft. (Elie Wiesel)

Von Buschi Luginbühl

«Ich bin nur ein einfacher Meldekopf.» Dies sagte Rudolf Roessler, dem meine Kolumne gewidmet ist. So wie Karl Bühlmann in seinen Kolumnen durch die Stadt flaniert, werde ich in meinen ein bisschen fabulieren, vor allem über besondere Menschen von hier, um dem Vergessen ein bisschen Einhalt zu gebieten. Vermutlich ist es das Privileg oder aber der Zwang des Alters, dass Erinnern immer mehr Teil unseres Lebens wird.

Vor 80 Jahren, am 26. August, feierte Frankreich die Befreiung von Paris. Es dauerte noch etliche Zeit, bis die Naziherrschaft im übrigen Europa endete. Wer dazu beigetragen hat, sind Rudolf Roessler und sein Freund Xaver Schnieper in Luzern. Das Leben Rudolf Roesslers war vielfältig: Es fehlt mir die Zeit und der Platz, hier darauf einzugehen.

Der Grund, der mich veranlasst hat, an Rudolf Roessler zu erinnern: Sein Leben und seine Verdienste sind ab Freitag, dem 6. September, in einem dreiteiligen Hörspiel auf SRF 1 nachzuhören. Der Historiker Peter Kamber ist auf Spurensuche gegangen und hat die «Aktivitäten der Gegenwehr gegen die Nazis» in einem Buch zusammengefasst. Dieses diente als Grundlage für mein Hörspiel.

Persönlich möchte ich anmerken: Es ist peinlich, dass ein so beispielhafter, wichtiger Mensch in Vergessenheit geraten ist. Da wünschte ich, dass die Verantwortlichen in die Pflicht genommen werden. Rudolf Roessler wohnte zuletzt in Kriens und ist auf dem dortigen Friedhof beigesetzt. Als es um Namenssuche für Plätze ging, habe ich dem damaligen Gemeinderat von Kriens geschrieben – keine Antwort. Vielleicht gibt es da ein Vorurteil, weil Roessler gezwungen war, nach dem Zusammenbruch des Geheimdiensts der Alliierten sein «Material» Russland zu überlassen – mehr dazu erfahren Sie im Hörspiel.

Das war eine Notlösung, um Hitler aufzuhalten. Roessler war kein Spion, der Geheimnisse aus seinem Zuständigkeitsbereich oder ihm anderweitig anvertraute Geheimnisse weitergab oder fremde Geheimnisse auskundschaftete oder ausspähte. Er war Beschaffer, Sammler und Sichter von Nachrichten und gleichzeitig deren Auswerter, er war ein begnadeter Analytiker.

Zwei Aussagen vor Gericht erklären die Beweggründe Roesslers für sein Tun: «Ich habe die Unmenschlichkeit des Krieges, 1916 und 1917, selbst kennengelernt und die Methoden, mit denen damals und dann wieder von 1933 an die Massen für die Zwecke einer machtgierigen Schicht missbraucht und für einen erbarmungslosen Krieg reif gemacht wurden, haben mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen», erklärte Rudolf Roessler 1953 in seinem Schlusswort vor Gericht in Luzern. Und die zweite Aussage: «Ich tat dies aus gewissenhafter Entscheidung, als niemands Beauftragter, unabhängig von irgendwelcher Partei, Gruppe oder sogenannter Ideologie, einzig, weil ich es als das moralisch Richtige ansah.»

Es ist wichtig, diesen ausserordentlichen Menschen dem Vergessen zu entreissen.

Nebenbei: Er durfte auf die Hilfe von Architekt Arnold Stöckli, von der Theaterkoryphäe Oskar Eberle und den Juristen Hans Segesser von Brunegg und Bernhard Mayr von Baldegg zählen sowie von Josef Stocker und Henriette Racine, die mit ihm den Buchverlag «Vita Nova» gründeten.

In progressiven katholischen Luzerner Kreisen formte sich also der Widerstand gegen jede Diktatur.

28. August 2024 – buschi.luginbühl@luzern60plus.ch


Zur Person
Buschi Luginbühl, Jahrgang 1942, ist in Kriens geboren und aufgewachsen. Nach der Weiterbildung als Architekt tätig. 1978 beruflicher Neubeginn. Zweijährige Stage bei Schweizer Radio DRS, dann freischaffender Regisseur für Hörspiel & Satire. Schauspielausbildung, Engagements im In- und Ausland. 30 Jahre zusammen mit Franziska Kohlund Leiter der freien Theatertruppe IL SOGGETTO (u. a. mit Margrit Winter, Erwin Kohlund und Peter Brogle). Arbeitet bis heute als Regisseur und Bühnenbildner im In- und Ausland. Diverse Publikationen zum Theater. Er lebt in Luzern.