Krista Pfenniger ist eine der rund 30 Freiwilligen, die im «LernAtelier» an der Bundesstrasse 13 in Luzern Menschen aus verschiedenen Kulturen beim selbstständigen Lernen der deutschen Sprache unterstützen.

Eine Bereicherung für beide Seiten

Freiwillige, meist im Pensionsalter, unterstützen im «LernAtelier» Menschen aus verschieden Kulturen beim Deutschlernen.Von Monika Fischer (Text und Bilder)

Das «LernAtelier» ist keine Schule. Geflüchtete aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen können dort unter Anleitung einer Lehrperson und mit Unterstützung von Freiwilligen an drei Vormittagen pro Woche selbständig Deutsch lernen. Das unentgeltliche Angebot richtet sich an Menschen, die keine Sprachschule besuchen können.

Am Mittwochvormittag treffen nach neun Uhr Frauen und Männer verschiedener Kulturen ein. Sie kommen mehrheitlich aus der Stadt und der Agglomeration. Sie setzen sich an einen der grossen Tische, markiert nach dem Niveau von Lerngruppen zwischen A1 bis B2. Nachdem sie ihre Unterlagen ausgepackt haben, beginnen sie selbständig zu arbeiten. Auf dem Sofa in der Ecke warten Freiwillige, meist Frauen und Männer im Pensionsalter. Sie setzen sich an einen der Tische, begleiten und unterstützen die Lernenden.

Auch spielerisch lernen
Eine davon ist Krista Pfenninger, Luzern, die sich schon an ihrem früheren Wohnort Wauwil in der Begleitgruppe Asyl engagiert hatte. Sie sagt: «Wenn ich an einen der Tische trete, fragt immer jemanden, ob ich helfen könne. Ich begleite sie bei ihrem Problem, bis sie selber weiterkommen, und gehe weiter. Manchmal nehme ich zwei, drei Personen zusammen, um etwas zu erklären. Es sind immer so viele, die Hilfe brauchen. Regelmässig stellen wir auch Gesprächsgruppen zusammen, um die mündliche Ausdrucksfähigkeit zu fördern.»

An diesem Vormittag buchstabieren die Teilnehmenden zuerst ihre Namen und informieren, woher sie kommen: «Ich komme aus Eritrea, aus dem Kongo, aus Sri Lanka, aus Angola, aus Guinea.» Krista Pfenninger regt an, sich gegenseitig Fragen zu stellen, konjugiert einzelne Verben und erklärt nebenbei die Sprachregeln. Gegen Ende macht sie ein Sprachspiel, das Gedächtnis und Merkfähigkeit fördert und viel Spass macht. «Wir lachen sehr viel, ist es doch wichtig, dass die Menschen für einen Moment ihre Sorgen loslassen können.»

Eine sinnvolle Aufgabe
Krista engagierte sich zuerst an zwei, jetzt an einem Halbtag im «LernAtelier» und sagt: «Wir haben riesig Glück, in der Schweiz leben können, wo es uns so gut geht. Ich geniesse die Kontakte mit den Menschen aus verschiedenen Kulturen, sehe ich doch, dass meine Unterstützung etwas bringt, indem die Selbständigkeit beim Lernen gefördert wird. Zudem erfahre ich viel Dankbarkeit. Für mich ist es gut eingesetzte Zeit, die Sinn macht und beide Seiten bereichert.»

Ähnlich erfährt es Regula Knüsel, die seit vier Jahren zweimal in der Woche mit einer festen Gruppe auf dem Niveau A2 arbeitet. Es berührt sie, mit Menschen aus drei Kontinenten, verschiedenen Sprachen und Religionen in einem kleinen Raum mit grosser Herzlichkeit arbeiten zu können. In einem weiteren Zimmer übt Reza Hosseini mit fortgeschrittenen Gruppen B1 und B2 Grammatik. Er kann diese gut erklären, da er selber als Migrant Deutsch gelernt hat.

Wertvolle Digitalisierung 
An einem Tisch sitzt die Lehrerin Kirsten Schmidiger, die für den pädagogischen Bereich zuständige Fachperson. Von einer jungen dunkelhäutigen Frau nimmt sie das Anmeldeformular entgegen und gibt ihr das passende Lernmaterial. Auf Wunsch eines Freiwilligen holt sie die Unterlagen aus einem grossen Schrank. Dort sind alle Lernmaterialien übersichtlich eingeordnet. Zwischentest überprüfen jeweils den Lernfortschritt. Bei Bedarf werden zusätzliche Unterlagen bereitgestellt, um Lernlücken zu schliessen.

Kirsten Schmidiger ist Ansprechperson für die Freiwilligen und für die Lernenden. Sie weiss, welche Lernenden regelmässig kommen: «Es sind alles Menschen, die hochmotiviert sind, selbst wenn sie wenig Chancen auf Asyl haben.» Von den multikulturellen Besucherinnen und Besuchern kann sie viel lernen. Angesichts der schwierigen Einzelschicksale wird ihr ihre privilegierte Situation in der Schweiz sehr bewusst.

Als aktuell grösste Herausforderung bezeichnet sie die Digitalisierung. «Alle haben ein Handy und müssen lernen, sich niederschwellig in der digitalen Welt auszukennen und online die Sprachplattformen oder die sehr guten Gratis-Apps in fast allen Sprachen zu nutzen.» Auch die Freiwilligen lernen, diese digitalen Hilfen anzuwenden. Um Freiwillige in ihrem Engagement zu unterstützen, finden regelmässig Weiterbildungen statt.

Initiantin und Projektleiterin Ursula Flury zeigt den Schrank, in dem die Unterlagen zum Selberlernen und zur Selbstkontrolle für Tests übersichtlich eingeordnet sind.

Ein geschützter Ort mit Tagesstruktur
Mitten im bunten Geschehen achtet Ursula Flury darauf, wer schon länger auf Unterstützung wartet und weist ihnen einen Freiwilligen zu. Oder sie zieht sich für ein Gespräch zurück, um eine Lernende in einer Krisensituation zu beraten. Sie hat das «LernAtelier» zusammen mit Yaël Bornstein im September 2018 gegründet und aufgebaut. Herausgewachsen ist es aus dem Begegnungstreff «HelloWelcome», um besonders motivierten Geflüchteten zusätzlich ein qualitativ optimales Angebot zum Deutschlernen anzubieten. Gemäss Ursula Flury sind viele der Teilnehmenden durch Fluchterfahrung und wegen unsicherer Zukunft in einem schlechten psychischen Zustand und deshalb besonders dankbar für einen geschützten Ort. «Das Lernen in Gruppen an drei Vormittagen pro Woche, der regelmässige Austausch mit Freiwilligen sowie ein gemeinsames Lernziel können dazu beitragen, sowohl die psychische wie die physische Stabilität zu fördern.»

Andere Migranten möchten neben dem Besuch einer Sprachschule ihr Wissen im Hinblick auf einen Sprachtest oder eine Berufslehre vertiefen. Dazu gehört die 38-jährige Marwa. In ihrer Heimat Afghanistan hatte sie Agronomie studiert, konnte jedoch als Frau ihren Beruf nicht ausüben. Im «LernAtelier», teilweise auch in Sprachschulen, hat sie Deutsch bis Niveau B2 gelernt und möchte nun eine Ausbildung zur Milchtechnologin beginnen. Im Hinblick auf den dazu nötigen Stellwerk-Test übt sie im «LernAtelier».

Die dreifache Mutter Marwa hofft, dass sie die Stellwerk-Prüfung schafft und eine Lehre beginnen kann.

Ursula Flury berichtet von der anhaltenden Nachfrage besonders auch von Frauen, die keine Schule besuchen konnten. Sie lernen im «LernAtelier» nicht nur lesen und schreiben, sondern auch alltagspraktische Sachen wie zum Beispiel eine Uhr ablesen zu können.

Pro Vormittag besuchen zurzeit ungefähr 40 Lernende das LernAtelier. Nach wie vor ist die Nachfrage gross. Darum gibt es Überlegungen, die Öffnungszeiten zu erweitern.   

Ohne Freiwillige liefe nichts
Trägerschaft des «LernAtelier» ist der gleichnamige Verein mit Präsidentin Ursula Flury. Der Verein finanziert sich über private Stiftungen sowie Zuwendungen von Kirchen und Einzelpersonen. Das Projekt basiert jedoch vorwiegend auf Freiwilligenarbeit. Die über 30 Freiwilligen tragen entscheidend zum Erfolg des Projektes bei. Auch die Projektleitung, die Administration, das Fundraising und die Öffentlichkeitsarbeit werden unentgeltlich geleistet. Einzig die angestellten Lehrpersonen erhalten einen Lohn, engagieren sich jedoch weit über das bezahlte Pensum hinaus. «Das Ganze hat jedoch jetzt ein Ausmass erreicht, das nach einer Professionalisierung einzelner Tätigkeiten verlangt. Dies soll den vielen motivierten Geflüchteten weiterhin einen Ort zum Spracherwerb anbieten, einen geschützten Ort, wo sie willkommen sind», zeigt Ursula Flury auf.

Inzwischen ist es elf Uhr geworden. Die ersten Frauen verlassen still den Raum, während andere bis 12 Uhr konzentriert weiterarbeiten.

Weitere Infos auf der Website

27. März 2025 – monika.fischer@luzern60plus.ch