Auch mit 70 noch Vollblutjournalist: Herbert Fischer.

Herbert Fischer: Ein Sturkopf im Medienzirkus

Man mag ihn oder man ärgert sich über ihn – gleichgültig lässt er niemanden, der ihn kennt: Herbert Fischer, stadtbekannter, stadtberüchtigter Luzerner Journalist mit einer beruflichen Biografie, die ihn durch einige Schweizer Städte und ihre national renommierten Medienhäuser geführt hat. Im Alter pflegt er die jüngste Medienform: lu-wahlen.ch, die Luzerner Meinungsplattform im Internet. Von Hanns Fuchs (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Ende Oktober ist er 70 geworden. Berufskollegen pflegen in diesem Alter ihre journalistischen Vorlieben in Form gelegentlicher altersweiser Kolumnen der Öffentlichkeit kundzutun, von alten (natürlich heroischen) Schreibtischabenteuern zu schwärmen oder sich still und leise den schöneren Dingen des Lebens zu widmen. Das alles liegt Herbert Fischer nicht so. Er war immer ein Mann der News, der Aktualität und des Zeitgeschehens. Das ist er geblieben, und das Feuer brennt in ihm ungelöscht weiter.

Von der «Krawallnacht» politisiert

Herbert Fischer wuchs behütet in einer sehr bürgerlichen Familie im Wesemlinquartier in der Stadt Luzern auf. Fischers waren von Triengen in die Stadt gezogen, als klein Herbert zwei Jahre alt war. In der Stadt gehörten sie damals zur politischen Mehrheit: Der Vater sei «liberal bis a Bach abe» gewesen und prägend für Vater Fischer seien das Militär und der Aktivdienst gewesen. Er war zunächst Oberschullehrer und baute nachher die erste Berufswahlklasse auf. 

Sohn Herbert geriet nicht ganz nach den elterlichen Wünschen. Er absolvierte ohne jede Begeisterung die Sekundarschule – «mit Ach und Krach», erinnert er sich. Für die Pfadi konnte sich Herbert schon eher erwärmen, vor allem weil sein Pfadiführer Guido Hammer ein guter Fotograf war und ihn in die Geheimnisse der Kamera «Welta Gucki» einführte und so für die Kunst des Fotografierens begeisterte. Fotograf war jetzt sein Wunschberuf – was allerdings auf keinerlei Begeisterung beim strengen Vater stiess. Fischer junior stieg dann – «der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe» – in eine kaufmännische Berufslehre ein. «Aber es war der blanke Horror. Im KV redeten in der Pause alle nur von Devisen- und Aktienkursen und Selbstbehalten in Versicherungspolicen.» Folgerichtig schmiss der junge, wohl schon damals aufmüpfige Mann die Lehre. Er begann für die vier Luzerner Tageszeitungen zu fotografieren und zu schreiben. Es war die «Nach-68er»-Zeit mit der «Luzerner Krawallnacht» vom 5. Januar 1969. Dieses Ereignis und seine Begleiterscheinungen politisierten Fischer und führten ihn schliesslich in die SP. Von nun an war er für Vater Fischer «der rote Schandfleck in unserer liberalen Familie».

Kaiseraugst und die Basler SP

Die «Roten» aber ermöglichten Fischers Ein- und Aufstieg im Wunschberuf, dem Journalismus. In Luzern gab es damals als eine von vier Tageszeitungen die kleine aber tapfere «Freie Innerschweiz», das Blatt der Sozialdemokraten. Dort konnte Fischer als Stellvertreter des Alleinredaktors Otto Schmidt einsteigen. Das war ein gutes Sprungbrett, aber keine Anstellung auf Dauer – die «Freie Innerschweiz», später noch kurz «Zentralschweizer AZ», ging 1972 ein. Fischer hatte allerdings bereits ein gutes Netz geknüpft. Nationalrat Helmut Hubacher, damals Sekretär des Basler Gewerkschaftsbundes und zuvor Chefredaktor der «Basler AZ», holte ihn als Redaktor zu diesem Blatt nach Basel und damit in einen Hauptort der schweizerischen Sozialdemokratie. Die beiden Basel waren aber auch ein Epizentrum der AKW-Gegner. 

Der junge Luzerner fand die Ereignisse rund um die Opposition des geplanten AKW Kaiseraugst sehr berichtenswert. Doch die Basler SP-Chefs fanden, die Anti-AKW-Bewegung verdienten in ihrer sozialdemokratischen Gazette «möglichst wenig Platz, nur so viel wie unbedingt sein muss». Herbert Fischer wäre nicht Herbert Fischer, wenn er das einfach «geschluckt» hätte, zumal «die SP-Gewaltigen» (O-Ton Fischer) auch bei anderen, aus ihrer Sicht heiklen Themen «immer wieder Befehle erteilten, wie darüber zu berichten sei». 

Er schaute sich nach neuen Horizonten um und fand sie beim «Blick», wo der Luzerner Karl Lüönd eben erst neuer Nachrichtenchef geworden war. Der verpflichtete Fischer fürs Inland-Ressort mit der Aussicht auf eine Korrespondentenstelle. «Doch dafür hätte ich die Autofahrprüfung machen müssen und das kam für mich nicht in Frage», erinnert sich Fischer. Er beugte sich auch nicht einem entsprechenden Ultimatum des Chefredaktors Fridolin Luchsinger und liess sich deswegen rausschmeissen. In den 1990er-Jahren allerdings schrieb er für den «Blick» grosse Serien. Eine 1993 über die Frage, was eigentlich «die 68er» 25 Jahre später beruflich und vor allem politisch genau machen. Diese Arbeit brachte ihm den renommierten Zürcher Journalistenpreis ein. 

1978 heuerte Fischer bei der «Tat» an, wo als Folge der Entlassung von Chefredaktor Roger Schawinki eine aufmüpfige Stimmung herrschte. Nach einem Streik der Redaktion wegen der Ernennung des neuen Chefredaktors Karl Vögeli gegen den Willen der Redaktion stellte der Detailgrosshändler die Zeitung ein – und Fischer stand zunächst auf der Strasse. Es folgten aber bald ein Volontariat beim Schweizer Fernsehen und weitere Tätigkeiten als freier Journalist und Pressefotograf. Bis zum «Tobler-Chlapf» bei den LNN im Oktober 1980. Fischer konnte die aufrührerische Empörung der Redaktion über die Entlassung des (autoritären und elitären) Chefredaktors nicht verstehen («die spielten Oktober-Revolution») und blieb der Zeitung für sieben Jahre treu – zuerst im Ressort Zug, dann in Luzern. 

Nach zehn Jahren als «Freier» (unter anderem für «BaZ», «LNN», «Brückenbauer» und «tv plus») ging Fischer wieder in Luzern vor Anker. Und das in einem ihm vertrauten Hafen: Er wurde als Redaktionsleiter von «Anzeiger» und «Luzerner Woche» verpflichtet, zwei Titeln der sozialdemokratisch geführten Unionsdruckerei an der Kellerstrasse. Als aber Verwaltungsratspräsident Kurt Furrer von ihm verlangte, einen Jubelartikel zu einem Tourismusprojekt gegen seinen Willen auf der ersten Seite zu platzieren und so in seinen Kompetenzbereich eingriff, weigerte sich Fischer – und kündigte.

Fotografierverbot als Kündigungsgrund

Fischers Sturheit – «die habe ich von meinem Vater geerbt» – schadeten seiner guten Vernetzung in der Journalistenszene nie. Der Luzerner Andreas Zgraggen, damals Chefredaktor der Berner Zeitung, holte Herbert Fischer 1999 ins Lokalressort nach Bern. Dort gefiel es Fischer «sehr gut», bloss: Er konnte nicht mehr selber fotografieren. Ein Grund für ihn, die Bundesstadt und ihre Zeitung wieder zu verlassen – «ohne neuen Vertrag», wie er anmerkt. Die nächste Station der Schweizer Reise des Vollblutjournalisten war Zug. Dani Brunner, ein sehr vermögender Landis&Gyr-Erbe und politischer Linksaussen, wollte Fischer als Chefredaktor der Zuger Presse engagieren. Um dieser Berufung zu folgen, stellte er allerdings Bedingungen. Die wichtigste: Weder Brunner als dessen Präsident, noch der Verwaltungsrat insgesamt oder einzelne seiner Mitglieder können sich ins Tagesgeschäft einmischen. Fischer erinnert sich: «Daran hielt sich Dani Brunner konsequent. Aber er war ständig in der Redaktion präsent». Das ging natürlich nicht zusammen mit Fischers unbändigem Unabhängigkeitswillen. 

In Fischer Zeit stieg die Auflage der «Zuger Presse» von 5100 Exemplaren ständig, bis auf 6300 bei seinem Abgang im März 2002. Dass er sich auch hier verabschiedete, hatte einen ebenso einfachen wie einleuchtenden Grund. Die Redaktion erntete lauter Komplimente für die Berichterstattung über das Attentat im Zuger Kantonsratssaal am 27. September 2001. Die Reaktionen Brunners aber beschränkten sich aufs pingelige Kritisieren läppischer Details, zum Beispiel, dass der Name des ermordeten FDP-Regierungsrates Peter Bossard falsch geschrieben sei. Fischer kündigte seinen Job zwar unmittelbar nach dem Attentat, übte seine Funktion während der sechsmonatigen Kündigungsfrist allerding pflichtschuldigst aus.

Das Attentat und die Folgen

Das Jahr in Zug wurde für Herbert Fischer allerdings auch persönlich zu einem Schicksalsjahr. Eigentlich wäre er an jenem 27. September 2001, wie schon mehrmals zuvor, selber auch als Berichterstatter im Kantonsrat gewesen. Weil aber eine Kollegin an diesem Nachmittag in Küssnacht beerdigt wurde, meldete er sich für diesen Tag von der Redaktion ab. Gegen elf Uhr an jenem Donnerstag erfuhr er aber, dass «etwas Schreckliches» passiert sei, weshalb er reflexartig seines Amtes als Chefredaktor waltete. «Unsere Redaktion lief zur Hochform auf, wir leisteten Unglaubliches, auch dank externer Hilfe.»

Nach «diesem unvorstellbaren Stress, auch während den nächsten Tagen und Wochen» fiel Fischer in ein tiefes emotionales Loch, das sich auch heute ab und zu wieder auftut. «Seither habe ich drei Probleme. Erstens das sogenannte Überlebensschuldsyndrom (weil ich selber nicht im Kantonsratssaal war), zweitens immer wieder auftretende posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) mit heftigen Erinnerungen an dieses fürchterliche Ereignis und drittens lässt mich auch 20 Jahre später die quälende Frage noch immer nicht los, ob sich das Attentat – auch durch die ‹Zuger Presse› – vielleicht hätte verhindern lassen». Friedrich Leibacher nämlich, der am 27. September 2001 das Blutbad anrichtete, hatte zuvor mehrmals Briefe an Redaktionen geschrieben und gegen die Behörden gezürnt. Auch die «Zuger Presse» bediente der Wutbürger Friedrich Leibacher, ernst genommen habe man diese Zeichen aber nicht. 

Fischers Konsequenz: Platz für die freie Meinung

Herbert Fischer zog mehrere Lehren aus der Zuger Tragödie. Unter anderen die: Medien, sagt er, müssten auch unbequeme Meinungen ernst nehmen, mit Kritikern auf Augenhöhe umgehen und zum Beispiel auch missliebige Leserbriefe veröffentlichen. Bei der «Luzerner Zeitung» sei das nicht der Fall, berichtet er aus eigener Erfahrung. Seine Antwort darauf, und auf andere Kritik an der «LZ», ist das eigene Web-Portal www.lu-wahlen.ch, «ein Podium für die freie, breite Meinungsbildung, eine Bühne, eine Arena für alle Meinungen». Fischer stellt auf der Plattform dazu ein unglaublich breites Artikelangebot zur Verfügung, in Form von Themen-Dossiers mit unzähligen Beiträgen aus Medien, sofern sie barrierefrei aufrufbar sind, und teils aus seiner eigenen Text-Werkstatt. Allein im «Dossier Corona» finden sich neben Links zu den Positionen von Bundesrat und Parteien, von Befürworter- und Gegner-Komitees weit über tausend Verweise auf «in Verbindung stehende Artikel». Die Corona-Thematik bietet laut Fischer eine breite Palette politischer und gesellschaftlicher Anknüpfungspunkte, von Föderalismus über Demokratie bis zu Ethik und Religionen. Nicht nur zu Corona, auch zu vielen andern relevanten Themen ist Fischers Internetarchiv lu-wahlen.ch schier unerschöpflich. 

Die Schwachstelle nur: Der Seite fehlt eine brauchbare Suchfunktion. Abhilfe sei in Sicht, sagt Herbert Fischer: «lu-wahlen.ch wird in den nächsten Monaten neu positioniert und erhält – unter anderem – endlich eine Suchmaschine.» Das Problem des Herausgebers allerdings ist nicht unerheblich: Fischer finanziert seine Plattform ausschliesslich aus Spenden, und zwar «nur von Geldgebern, die ich persönlich kenne und die sich verpflichten, keinen Einfluss auf den Inhalt nehmen zu wollen».

Herbert Fischer versteht sich auch hier als Sturkopf mit handwerklichen Prinzipien, die seiner Berufsethik genügen.

1. Dezember 2021 – hanns.fuchs@luzern60plus.ch