Mitglieder des Forums Luzern60plus liessen sich vom Arzt Frank Achermann über das selbstbestimmte Lebensende informieren.

Ein zutiefst menschliches Erlebnis

Frank Achermann, Exit-Konsiliararzt, vermittelte an der Mitgliederversammlung von Luzern60plus viel Wissen über das Sterben und den selbstbestimmten Tod. Von Monika Fischer (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

«Ich möchte mit meinem Einblick ins selbstbestimmte Lebensende einen Denkprozess auslösen und zur Meinungsbildung beitragen», sagte Frank Achermann, Konsiliararzt des Vereins Exit, an der Mitgliederversammlung von Luzern60plus vom 13. November 2023 im Stadthaus. Im Hinblick auf ein selbstbestimmtes Lebensende unterschied er zwischen Freitod und Suizid. Während der Suizid immer eine Gewaltanwendung in einer Notlage sei, stehe hinter dem Freitod ein freiwilliger Entscheid und ein aktives Abschiednehmen als Folge eines langen Prozesses. Es sei ein schönes, zutiefst menschliches Erlebnis.

Gemäss Achermann sind die in den 1940er- und 1950er-Jahren aufgewachsenen Menschen die erste Generation, die ihre Wünsche und Vorstellungen weitgehend selbstbestimmt umsetzen konnten. Hinter dem Freitod stehe ein freiwilliger Entscheid und ein aktives Abschiednehmen. Es sei ein Prozess, der Monate oder Jahre dauern könne und von einem Freitod-Begleiter unterstützt werde. Auf Wunsch führe dieser auch Gespräche mit Angehörigen. Dies ermögliche ein würdevolles Sterben im Beisein von Angehörigen, Freundinnen und Freunden und sei ein schöner Tod.

Im Gegensatz dazu sei ein Suizid immer eine Gewaltanwendung. Der betroffene Mensch sei in einer Notlage allein und gehe oft ohne Erklärung. Dies bedeute eine zusätzliche Belastung für die Angehörigen, da viele offene Fragen bleiben.

Neu gelten auch psychosoziale Faktoren
Auf die Frage, ob die Begleitung in den freiwilligen Tod für den Arzt nicht eine Belastung sei, lächelte der Mediziner. Es sei eine Belastung im positiven Sinn, hätten ihn doch die Lebenskonzepte der betroffenen Menschen tief beeindruckt. Als Konsiliararzt komme er dann zum Zug, wenn der Hausarzt des Sterbewilligen das Tod bringende Medikament nicht ausstellen wolle.


Frank Achermann

Dr. med. Frank Achermann hatte in der Luzerner Altstadt 35 Jahre eine Praxis für Diabetologie/Endokrinologie geführt. Seit seiner Pensionierung vor sieben Jahren ist er Konsiliararzt für den Verein Exit. Dieser hat zum Ziel, den Todeszeitpunkt selbstbestimmt und freiwillig wählen zu können. Als Konsiliararzt von Exit klärt er auf Auftrag ab, ob die Voraussetzungen für die Freitodbegleitung erfüllt sind. Weiter organisiert Achermann mit zehn Kolleginnen und Kollegen das «Café Med» Luzern jeweils am ersten Mittwoch des Monats «Melissa’s Kitchen».


Achermann erzählte von seinem Gespräch mit einer betagten Frau. Sie hatte wegen der schweren Krankheit ihres Mannes erfahren, was es heisst, schwer pflegebedürftig und völlig abhängig zu sein. Die zeitlebens aktive Frau hatte keine Kinder, keine Geschwister und Freunde mehr und meinte: «Ich habe niemanden mehr und keine Freude am Leben.» Deshalb entschied sie: «Jetzt will ich gehen.»

Der Referent zeigte auf, dass Exit als Grund für den Wunsch nach dem Freitod neben einer zum Tode führenden Krankheit auch psychosoziale Faktoren akzeptiert. «Exit versteht unter dem ‹Altersfreitod› den assistierten Suizid eines betagten Menschen, der nicht an einer tödlichen Krankheit leidet, aber wegen der Summe seiner Beschwerden und Leiden seine Lebensqualität als beeinträchtigt empfindet (…)», zitierte er die Definition.

Bedeutung der Patientenverfügung
Angesprochen auf die Bedeutung von Palliative Care zeigte Achermann auf, dass der Freitodbegleiter oder die Freitodbegleiterin im Gespräch auch auf diese Möglichkeiten hinweisen müsse. Persönlich sei er in dieser Frage zwiegespalten, weil die betroffenen Menschen in den letzten Tagen und Stunden ihres Lebens unter dem Einfluss von Morphium stünden und so nicht gleichermassen bewusst Abschied nehmen könnten wie beim Freitod. 

Der Arzt hob die Bedeutung der Patientenverfügung hervor. Diese sollte alle zwei Jahre geprüft und bei Bedarf abgeändert werden, damit sie klar und deutlich ist und den persönlichen Wünschen entspricht. Achermann stellte seine persönliche Patientenverfügung vor, in der seine Haltung festgehalten hat (zum Beispiel keine Reanimationsmassnahmen).

Mit viel Sorgfalt und Zeit
Der Referent bezeichnete die Freitodbegleitung als Hilfeleistung. Voraussetzungen seien die Urteils- und die Handlungsfähigkeit des Sterbewilligen, beurteilt durch den Haus- und den Konsiliararzt. Das heisse, die Person wisse, was sie tue, handle nicht im Affekt, habe einen dauerhaften, konstanten Sterbewunsch, sei autonom und werde nicht von Dritten beeinflusst und könne den Entscheid selber ausführen. Bei einer demenziellen Erkrankung sei der Freitod im Anfangsstadium dann möglich, wenn die betroffene Person klar wisse, was Sterben bedeutet, der diesbezügliche Wunsch dokumentiert ist und nachgewiesen werden kann. Es sei allerdings ein schwieriges Abwägen, das viel Sorgfalt verlange.

Voraussetzung für die Freitodbegleitung mit Exit sei die Mitgliedschaft im Verein. Die Wartezeit ab Anmeldung dauere in der Regel 90 Tage. Dann erhalte das Mitglied die nötigen Informationen und die gewünschte Unterstützung.

Vom Tiefschlaf in den Tod
Wenn nach einer sorgfältigen Abklärung und allenfalls zusätzlichen Gesprächen die Bedingungen gegeben seien, schreibe in der Regel der Hausarzt das Rezept für das Tod bringende Medikament Na-Pentobarbital. Wenn alles dokumentiert sei, könne der Termin mit der Freitodbegleitung vereinbart werden, wobei es jederzeit möglich sei, den Prozess zu stoppen.

Drei Minuten nach Einnahme des Medikaments falle die Person in Tiefschlaf, nach weiteren drei Minuten höre die Atmung auf. Da das Sterben mit Exit als «unnatürlicher Tod» gelte, müsse dieser durch Polizei, Amtsarzt und Staatsanwaltschaft untersucht werden. Wenn alles gut dokumentiert sei, laufe dies in der Regel problemlos ab.

Wie Achermann immer wieder erfährt, ist der selbstbestimmte Tod ohne Leiden im Beisein von Angehörigen und Freunden ein schönes, zutiefst menschliches Erlebnis, ein Akt der Menschlichkeit. Seine Ausführungen schloss er mit dem Hinweis, das Wichtigste im Angesicht des Todes sei die Freude am Leben.

24. November 2023 – monika.fischer@luzern60plus.ch