Susanne Kippenberger: «Schenken Sie nichts, worüber nur Sie sich freuen würden. Es geht um den andern.» Bild: Elena Steil
«Ein Geschenk ist immer ein Ausdruck von Gefühlen»
Die Berliner Autorin Susanne Kippenberger (64) erklärt, warum das Schenken eine komplexe Form der Kommunikation ist – und wie auch Männer diese besondere Sprache lernen können.
Interview Anja Opitz, Berliner Zeitung
Warum schenken wir?
Susanne Kippenberger: Der Mensch braucht Bindungen zu anderen Menschen. Und beim Schenken geht es genau darum: Bindungen schaffen, Bindungen verstärken. Eine These ist, dass der Begriff Geschenk von einschenken kommt: Wenn früher fremde Menschen vor der Tür standen, bekamen sie erst einmal etwas zu trinken. Dadurch hatte man eine gewisse Basis hergestellt, der andere war nicht mehr so fremd oder gar feindlich.
Sie verstehen Schenken als eine Form der Kommunikation. Wie meinen Sie das?
Man drückt mit einem Geschenk aus, welchen Wert ein anderer Mensch für einen hat. Nicht in Geld, sondern in Form von Gedanken, die man sich um ihn macht, durch Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit, die man für ihn in der Wahl eines Geschenkes aufbringt.
Warum sprechen manche Menschen die Sprache des Schenkens und andere nicht?
Schenken ist einerseits eine gewisse Begabung, weil es von der Fähigkeit zu Empathie abhängt. Andererseits hängt es aber auch von der Erziehung ab: Wer als Kind nicht vorgelebt bekommt, dass Teilen Freude macht, der muss es erst lernen. Das ist mühsamer. Aber wie bei allen Sprachen macht Übung auch hier den Meister.
Wieso sprechen Frauen diese Sprache tendenziell besser?
Weil sie jahrhundertelang die emotionale Arbeit und die Bindungsarbeit in Beziehungen übernommen haben und das oft auch heute noch tun. Es wird Zeit, dass Männer sich stärker daran beteiligen. Die Wahl freudebringender Geschenke ist Teil dieser Bindungsarbeit.
Gleichzeitig reagieren Frauen aber auch sensibler beim Thema Geschenke, oder?
Sie nehmen es meist wichtiger, ja. Geschenke waren traditionell ihre Aufgabe – wenn sie darin nicht anerkannt werden, macht sie das verletzlich. Gleichzeitig wissen sie, was ein Geschenk ausdrücken sollte und sind deshalb eher enttäuscht, wenn der Partner total daneben liegt.
Haben Sie Tipps für Männer, die sich schwertun?
Schenken Sie nichts, worüber nur Sie sich freuen würden – es geht um den anderen. Wenn Ihnen für Ihre Frau nichts einfällt, telefonieren Sie doch mal mit ihrer besten Freundin oder verabreden sich mit ihr zum Shoppen. Sie hat bestimmt gute Tipps. Und denken Sie nicht nur an Dinge, sondern auch an Erlebnisse und gemeinsame Zeit als Geschenk. Ein Wellness-Gutschein, ein Restaurantbesuch, ein Konzert, eine kleine Reise – das ist für viele Frauen mehr wert als Gegenstände.
Worauf muss man prinzipiell achten, damit ein Geschenk gut ankommt?
Zum Schenken gehören viel Empathie und Fantasie. Man muss sich gut eindenken und einfühlen in den anderen. Und im Idealfall auch ein bisschen Zeit. Wenn jemand mal beiläufig einen Kommentar fallen lässt, am besten gleich notieren. Vielleicht findet man etwas, das genau dazu passt.
Überraschung, Erwartung, Glück, Enttäuschung – warum reagieren wir so emotional auf Geschenke?
Weil schenken so persönlich ist und es dabei immer um eine Form von Liebe geht. Man steckt Liebe in die Wahl des Geschenks, in die Verpackung, in die Übergabe – ein Geschenk ist immer ein Ausdruck von den Gefühlen, die man für einen Menschen hat. Das kann einerseits sehr glücklich machen, ist andererseits aber auch brisant, besonders in engen Beziehungen: Wenn man das Gefühl hat, der andere sieht mich nicht und versteht mich nicht und schenkt mir etwas, das überhaupt nicht zu mir passt, kann das verletzend sein.
Hat ein Geldgeschenk für den Teenager-Neffen genauso viel Wert wie ein gleichwertiges Geschenk, das ich persönlich ausgesucht habe?
Früher fand ich es einfallslos und unpersönlich, Geld zu verschenken. Aber inzwischen denke ich gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Geld ist etwas, das sie nicht haben, damit können sie sich einen Wunsch erfüllen. Und damit kann man im Zweifel auch die Bindung verstärken, weil sie sich darüber freuen.
Wenn die Mama fragt, was ich mir wünsche, darf ich dann ganz konkrete Dinge «bestellen»?
Ich finde, Wunschlisten sollten so offen sein, dass sie dem anderen noch die Möglichkeit geben, kreativ zu werden. Wünschen ist das eine – aber es sollte keine konkrete Forderung sein. Es macht einfach keinen Spass, wenn man diese eine bestimmte Sache kaufen soll.
Wie sollte man reagieren, wenn man ein gefühlt unpassendes Geschenk bekommt?
Das hängt von der Beziehung ab. Wenn man sich nicht so nah steht, kann man es lächelnd entgegennehmen und bei nächster Gelegenheit weiterschenken. Ist die Beziehung enger und die Enttäuschung entsprechend grösser, dann sollte man schon etwas sagen.
Muss ich als Beschenkter automatisch dankbar sein?
Das klingt so, als ob Dankbarkeit eine lästige Pflicht sei. Dabei ist Dankbarkeit etwas sehr Schönes. Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, dass Dankbarkeit positive Gefühle hervorruft und glücklich macht – warum also nicht dankbar sein für ein Geschenk? Es ist immer eine schöne Geste, wenn uns jemand eine Freude machen möchte.
Bin ich zum Gegengeschenk verpflichtet?
Nein. Schenken ist keine Verpflichtung, es ist immer etwas Freiwilliges. Man sollte nicht unter Druck schenken.
Schenken hat mit Grosszügigkeit zu tun. Inwiefern ist das eine lohnende Eigenschaft?
Man sagt, geizige Menschen hätten ein kleines Herz. Wer knausrig ist mit Gefühlen, Worten und auch mit Geschenken, wird wenig Bindungen aufbauen können und am Ende einsam sein. Dann lieber etwas geben. Und dabei daran denken, dass die besten Geschenke noch nicht mal Geld kosten müssen.
Teil 1: Schenken schafft Vertrauen
Teil 3: «Ältere Menschen bevorzugen sinnvolle Produkte»
30. November 2023 – eva.holz@luzern60plus.ch
Diese dreiteilige Serie ist zuerst im Magazin «active&live» erschienen.