Moritz M. Daum, Professor für Entwicklungspsychologie. Bild: zvg
«Freunde nehmen sich Zeit füreinander»
Was ist Freundschaft aus wissenschaftlicher Sicht? Moritz M. Daum (50), Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich, zeigt auf, wie komplex das Thema ist und wie man neue Freundschaften knüpfen kann.
Interview Eva Holz
Wie lautet die wissenschaftliche Definition von Freundschaft?
Moritz M. Daum: Es gibt verschiedene Ansätze. Der Psychologe und Freundschaftsforscher Brett Laursen betont etwa den Mechanismus der Ähnlichkeit. Nach ihm hat der Mensch Mechanismen entwickelt, um Freunde von Feinden zu unterscheiden. Dabei sollen bereits Säuglinge ähnliche Personen bevorzugen. Auf Erwachsene bezogen heisst dies: Wenn wir Menschen treffen, die ähnliche Interessen und Werte haben wie wir selbst, schafft das die Grundlage für gemeinsamen Gesprächsstoff und gemeinsame Erfahrungen. Man ist auf einer «ähnlichen Wellenlänge», was schneller zu einer tieferen Freundschaft führen kann.
Gibt es zwischen Bekanntschaft und Freundschaft eine Schnittmenge?
Bekanntschaften sind in der Regel eher oberflächlich, Freundschaften gehen bekanntlich in die Tiefe und dauern eine längere Zeit an. Aus den Übergängen, die oftmals fliessend sind, ergibt sich die Schnittmenge. Es kann also eine Entwicklung aus dem einen in das andere erfolgen, in beide Richtungen. Bekanntschaften können sich zu Freundschaften vertiefen, und umgekehrt, Freundschaften zu Bekanntschaften «abkühlen».
Nicht bei allen getraute man sich, morgens um drei zu klingeln, weil gerade die grosse Krise ausgebrochen ist. Was macht die «echte, tiefe» Freundschaft aus?
Echte Freunde sind füreinander da, auch in schlechten Zeiten. Sie nehmen sich Zeit füreinander, hören einander zu und geben sich gegenseitig Rückhalt. Dies alles einzuhalten, ist eine substanzielle Investition, bei der man altruistisch auch einmal hohe Kosten auf sich nimmt, ohne dabei unmittelbare persönliche Vorteile zu erwarten. Jeder, der schon einmal Rückenschmerzen hatte, nachdem er einem Freund beim Umzug geholfen hat, weiss das. Möglicherweise ist aber genau die Frage, ob man bei einer Person um drei Uhr morgens klingeln dürfte, der Lackmustest.
Es gibt auch langjährige freundschaftliche Beziehungen, die von Konflikten geprägt sind. Gleichwohl hält man aneinander fest. Wann sollte man damit «aufräumen»?
Es gibt hier keine für alle Situationen passende Lösung. Ähnlich wie bei der Diagnose von psychischen Erkrankungen ist ein wichtiges Kriterium, ob und wie sehr man unter einer solchen Beziehung leidet. Wenn die negativen Aspekte zu gross werden, wenn man das Gefühl hat, nur noch in die Freundschaft zu investieren und die Gegenseitigkeit verloren geht, kann man ein Ende der Freundschaft in Betracht ziehen. Wird eine Freundschaft tatsächlich beendet, ist es wichtig, dabei respektvoll vorzugehen, die Gründe zu beschreiben und sich auch darauf einzustellen, dass das Ende der Freundschaft und die angegebenen Gründe nicht akzeptiert werden.
Allgemein herrscht die Meinung, Frauen würden Freundschaften anders leben als Männer. Wenn ja, warum ist das so?
Grundsätzlich zeigt die Forschung, dass Männer in ihren Freundschaften eher zu gemeinsamen Aktivitäten neigen, während Frauen den emotionalen Austausch und das Gespräch in den Vordergrund stellen. Ja, es gibt Unterschiede zwischen den Geschlechtern, diese haben biologische und soziale Wurzeln. Aber die Gemeinsamkeiten sind oft viel grösser als die Unterschiede. Bei einem so komplexen Thema wie Freundschaft und Kommunikation spielen individuelle Faktoren eine viel grössere Rolle, zum Beispiel, wie die Personen aufgewachsen sind, ob sie ermutigt wurden, über ihre Emotionen zu sprechen oder nicht, ob ein Mensch empathisch ist, ob die sich unterhaltenden Personen gemeinsame Lebenserfahrungen haben und Herausforderungen teilen.
Nicht allen fällt es gleich leicht, Kontakte zu knüpfen. Was raten Sie älteren Menschen, die auf der Suche nach neuen Freundschaften sind?
Je nachdem, ob jemand offener oder zurückhaltender ist, fällt es mehr oder weniger leicht, Kontakte zu knüpfen. Im Alter kann es zudem schwieriger werden, weil die eigene Mobilität oftmals geringer ist. Gleichzeitig werden in diesem Lebensabschnitt Freundschaften wichtiger. Entscheidend ist dabei aber nicht deren Anzahl, sondern vielmehr, ob eine Beziehung emotional und unterstützend ist. Der wichtigste Tipp ist wohl, dass man sich frühzeitig Aktivitäten sucht, die einem Spass machen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, auf Menschen mit ähnlichen Interessen zu treffen. Das kann analog in Kursen oder Workshops sein, aber auch online via Netzwerk-Seiten, in denen man gemeinsame Interessen pflegt.
Teil 1: Ohne Freundschaft läuft nichts
Teil 3: Das verstehen wir unter Freundschaft
27. Februar 2024 – eva.holz@luzern60plus.ch
Diese dreiteilige Serie ist zuerst im Magazin «active&live» erschienen.