Er lebt heute zurückgezogen: Urs Liechti. Doch ins Theater geht er immer noch regelmässig.

Die ulkigen Verse des Landschrybers

Gleich fünf Mal nacheinander besuchte er vor Jahren die Zauberflöte und Don Giovanni im Luzerner Theater – so begeistert war er von den Inszenierungen. Bekannt aber wurde Urs Liechti als Landschryber in der Blütezeit des Gnagi-Essens. Jetzt ist es um den originellen Verseschmied ruhig geworden. Wie verbringt der 57-Jährige seine Zeit?

Von Albert Schwarzenbach (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Neun Kinder zählte die Familie Liechti auf dem Bauernhof in Malters nahe der damaligen Gemeinde Littau. Urs war der Jüngste. Ein Unterschied von 15 Jahren zum Ältesten. Seine berufliche Aufgabe fand er bei der Post. «Ich träumte davon, als Postbeamter auf dem Land den Kunden Geld und Pakete nach Hause zu bringen.» Als geschätzte Person im dörflichen Leben.

Bei der Post wanderte er von einer Abteilung zur andern und lernte das Unternehmen vom Briefversand bis zur Bahnpost kennen. 1986 bewarb er sich das erste und auch letzte Mal und wurde als Beamter angestellt, um in der Postfachanlage bei der Universität und im Innendienst in der Zustellung seine Sporen abzuverdienen. In der Gewerkschaft fand er sein Betätigungsfeld und stieg innerhalb von 17 Jahren vom Protokollführer zum Präsidenten auf. Dass seine erste Rede bei einer nationalen Delegiertenversammlung so grossen Anklang finden würde, hätte er nie gedacht.

Politische Heimat
Der Weg in die Politik schien geebnet zu sein. Er entschied sich für die CSP («Die CVP kam für mich als Reformierten nicht in Frage») und konnte in der Partei sein soziales Engagement ausleben. Dort traf er auch auf den Blumenhändler Ruedi Bürgi, der später in seinem Leben eine grosse Rolle spielen sollte. Der populäre Operettenliebhaber sass für die CVP im Stadtparlament, überwarf sich aber dann mit einigen Fraktionsmitgliedern und suchte eine neue politische Heimat, die er in der CSP fand. Mit Folgen: Bei den nächsten Wahlen erhielt er mehr Stimmen als die Amtsinhaberin, die abgewählt wurde.

Keine Freude an Klamauk
Dieser Ruedi Bürgi wurde der Ziehvater von Urs Liechti. Er wollte den Nicht-Fäsnächtler für eine Rolle beim Gnagi-Essen gewinnen, dem jährlichen Treffen der Gnagi-Brüder bei Schweinsgnagi, Kartoffeln und Sauerkraut. Denn der Landschryber Peter Estermann war im Amt verstorben. Mit dem Klamauk wolle er nichts zu tun haben, beschied der Pöstler. Bis er in einer schlaflosen Nacht bei Liebeskummer seine Gnagi-Rede schrieb. Und die Vierzeiler reimten sich gar wunderlich, so dass er während acht Jahren zu den beliebtesten Akteuren des Gnagi-Essens gehörte.

Seine Verse mundeten der fasnächtlichen Gesellschaft fast gleich gut wie das Gnagi. Er nahm die lokale Prominenz auf die Schippe. Besonders hatte es ihm die damalige Stadträtin Ursula Stämmer angetan, die als Polizeidirektorin viel Stoff hergab. Er hatte so Freude an der Sozialdemokratin, dass er vor und nach der Fasnacht auf offener Strasse über sie rezitierte. Mit dem Tod des Gnagi-Vaters Ruedi Bürgi wurde alles anders. Eine Nachfolge musste her. Klammheilich wollten die Gnagi-Brüder Urs Liechti mit Akklamation aufs Schild heben. Aber oha – diesem Klamauk wolle er nicht vorstehen, sagte er wie schon in früheren Zeiten, und erklärte gleich den Rücktritt aus diesem fasnächtlichen Kreis.

Müde geworden
Und seither ist es um Urs Liechti ruhig geworden. Zwar veröffentlichte er einige seiner Verse im «Knallfrosch», aber sonst schreibt er für die Schublade. Der Single, der Geistesblitze immer noch in Worte verwandeln kann, lebt zurückgezogen: «Ich bin müde geworden.» Das Theater aber besucht er immer noch regelmässig, mit Passion liest er Bücher von Friedrich Dürrenmatt bis zu Hiob von Josef Roth und trifft sich mit alten Freunden, die immer weniger zahlreich werden. Computer hat er keinen.

Aber immer wieder wandern seine Gedanken an die Zeit seiner Auftritte zurück. Als er sogar beim LFK-Abend auftreten durfte und spontanen Applaus und Zugaberufe erntete. «Das hätte ich mir nie erträumt.» So gleichgültig ist dem bekennenden Nichtfasnächtler die Fasnacht doch nicht geworden.

4. September 2022 – albert.schwarzenbach@luzern60plus.ch