Wie wollen wir wohnen im Alter - die Serie von Luzern60+ (7)
Sensoren melden Sturz und heisse Kochplatte
Anna Limacher lebt allein in ihrer Wohnung. Sie ist 80-jährig und seit drei Jahren verwitwet. Auf dem Weg zur Küche stürzt sie und bleibt auf dem Boden liegen. Nach fünf Minuten meldet sich eine Stimme. „Hallo Anna, alles in Ordnung?“ Das ist Lisa, die unsichtbare Betreuerin. Sie wurde dank des Sturzsensors in Annas Jacke alarmiert und kann nun Hilfe organisieren: Krankenauto losschicken, die Angehörigen informieren, die Türe für die anrückenden Pfleger elektronisch öffnen.
Anna ist eine Puppe und ihre Wohnung ist das iHomeLab an der Hochschule Luzern – Architektur und Technik in Horw. Rolf Kistler, der uns Anna vordemonstriert hat, ist einer von 18 Informatikern und Elektroingenieuren, die seit Jahren in Horw am intelligenten Gebäude herum tüfteln. Im europäischen Forschungs- und Entwicklungsprogramm Ambient Assisted Living (AAL) werden innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die die Lebensqualität älterer Menschen verbessern und ihre Autonomie im persönlichen Lebensumfeld erhalten. Allein der Bund zahlt pro Jahr bis zu vier Millionen Euro für die Beteiligung von Schweizer Partnern am AAL-Projekt. In Deutschland hat das Bundesforschungsministerium solche Projekte mit 45 Millionen Euro gefördert. Schöne neue Welt im Kreis von Computern und Robotern?
Die Menschen nicht ersetzen
Rolf Kistler winkt ab. „Technik – und sei sie auch noch so raffiniert - kann die Menschen nicht ersetzen und das wollen wir auch nicht“, sagt der Elektroingenieur. Dennoch stelle sich die Frage, wie weit durch intelligente Gebäudetechnik – die diskret im Hintergrund arbeitet - älteren Personen in absehbarer Zukunft ermöglicht werden könne, dank Hightech länger in der eigenen Wohnung zu leben. Heute verbringen 80-Jährige bis zu 80 Prozent ihrer Zeit in den eigenen Räumen zu Hause – bis sie nicht mehr so sicher auf den Beinen sind. Oder vergesslich werden und Hilfe benötigen. Doch in der Pflege droht der Notstand. „Bis ins Jahr 2020 fehlen 20 000 Fachpersonen, und bei der Spitex drohen die Kosten aus dem Ruder zu laufen“, gibt Kistler zu bedenken. Es sei deshalb sinnvoll, neue Technologien zu erforschen und zu erproben – zur Entlastung der Angehörigen und des Pflegepersonals. Und auch aus Kostengründen. Der Nutzen dieser neuen Assistenzsysteme ist derzeit allerdings kaum zu beziffern - sozial und ökonomisch. Dass AAL die Selbstständigkeit fördern, eine Heimeinweisung verzögern, die Leistungsfähigkeit stabilisieren oder einfach die Pflegekosten senken könne, sei noch nicht ausreichend belegt, konstatiert der deutsche Altersforscher Hans-Werner Wahl. Noch fehle es an soliden Langzeitstudien.
Heikler Eingriff in die Privatsphäre
Wie muss man sich dieses „intelligente Haus“ denn überhaupt vorstellen? Denkbar sind druckempfindliche Teppiche im Bad, um einen Sturz beim Aussteigen aus der Badewanne anzuzeigen. Sensoren, welche die Temperatur messen, eine überhitze Kochplatte oder leere Kühlschränke melden. Verkabelte Westen, die bei einem Herzinfarkt automatisch den Notarzt rufen. Computerspiele, die nach dem Schlaganfall zu Fitnessübungen animieren, Flachbildschirme im Badezimmer, die an die Medikamenteneinnahme erinnern. Ein GPS, das zeigt, wo die Schlüssel liegen, eine Beleuchtung, die nachts den Weg in die Toilette dank dem Bewegungsmelder automatisch einschaltet, ein Feuchtigkeitsmelder in der Dusche, der anzeigt, ob man den hygienischen Pflichten auch nachkommt. Denkbar ist fast alles, doch nützt es auch? „Ingenieure entwickeln tolle Sachen, aber haben oft wenig Ahnung von den Bedürfnissen alter Menschen“, konstatierte die Telematikprofessorin Birgit Wilkes in der „Zeit“.
Auch Rolf Kistler neigt nicht zur Euphorie. Noch fehle der Durchbruch auf dem Markt, noch seien viele dieser Geräte und Systeme zu kompliziert. Und die Verkabelung eines Hauses mit Kosten von rund 20 000 Franken sei noch relativ teuer. Aber die Nachfrage nach solchen Systemen steigt und so überlegen sich heute bereits Immobilienfirmen oder Wohnbaugenossenschaften, was diese Entwicklung für sie bedeuten könnte. „Ich versuche mir immer vorzustellen, ob meine Mutter das jetzt brauchen könnte oder gar ich selbst in 30 Jahren“ sagt Kistler. „Denn wenn es den älteren Menschen keinen unmittelbaren Nutzen bringt, hilft es gar nichts.“ Um die Akzeptanz zu verbessern, brauche es einfache Bedieneroberflächen, grosse Icons und eine klare Handhabung – und vor müsse es ein eindeutiger Nutzen für die ältere Person sofort ersichtlich sein.
Noch gebe es viel Skepsis bei den potenziellen Nutzern, räumt Rolf Kistler ein. Denn die neuen Technologien können ein heikler Eingriff in die Privatsphäre sein. Videokameras in der Wohnung würden deshalb kaum akzeptiert. Doch bei dementen Personen, so Kistler, könne eine Kamera im Notfall natürlich durchaus nützlich sein – falls die Einwilligung des Patienten vorliege. Doch wer will sich im Schlaf überwachsen lassen? Wer seine persönliche Daten von Sensoren an eine Zentrale weiterleiten lassen? „Die Akzeptanz steigt, wenn ich im Gegenzeug dafür zwei Jahre länger in meiner Wohnung bleiben kann“, glaubt Rolf Kistler. Und Lisa, die unsichtbare Begleiterin, kann auch ganz harmlose Dinge tun. Zum Beispiel sagen, wer draussen vor der Türe steht – vorausgesetzt, es ist kein Unbekannter.
Beat Bühlmann – 23. Januar 2013
Die iHomeLab der Hochschule Luzern – Technik & Architektur wurde Ende November 2008 in Horw eröffnet. Das Forschungslabor für Gebäudeintelligenz, das sich auch mit Energieeffizienz befasst, beschäftigt 18 Forschende. Die Ausstellung im iHomeLab kann auf Anmeldung besucht werden. www.ihome.lab.ch