Andrea Keller. Foto Claudia Herzog
„Der Nachruf ist ein tolles Schifflein“
«Hallo, Tod!» geht vom 27. bis zum 29. Mai 2021 in Zürich als Festival über die Bühne. Ein reichhaltiges Programm wird sich auf unbeschwerte Weise mit dem Unausweichlichen befassen. Dazu gehören zwei Nachruf-Schreibkurse. Die Workshop-Leiterinnen Hildegard Keller und Andrea Keller (letztere gehört auch zum Festival-OK) erzählen im Gespräch mit Eva Holz, warum sie dem Tod gern Hallo sagen und warum man mit der persönlichen Geschichte nicht zurückhalten soll.
Warum ausgerechnet ein Festival über den Tod?
Andrea Keller: Der Tod betrifft uns – alle! Das verbindet auch. Also ergibt es doch Sinn, uns dieser Gewissheit gemeinschaftlich anzunehmen. Und das nicht erst auf oder am Sterbebett, sondern mitten im Leben. Mit «Hallo, Tod!» laden wir dazu ein, den Tod mit Kreativität und Konversationen zu erforschen und dabei das Leben zu feiern. Das Festival ist dabei eine spannende Form, mit der auch in Leipzig experimentiert wird, in New York, in North Yorkshire … Jetzt ist Zürich an der Reihe.
Was genau erwartet die Besucherinnen und die Besucher an den drei Tagen? Gewünscht ist auch ein Mitwirken der Öffentlichkeit. Wie geht das konkret vor sich?
Andrea Keller: Das Spannende ist: Es steht noch nicht fest, was alles geboten wird. Wir setzen auf die Teilhabe der Bevölkerung, laden also zum Mitmachen ein, zur Eingabe und Umsetzung eigener Programmpunkte. Über die Möglichkeiten informieren wir beim Kick-off am 24. September im „Karl der Grosse“ in Zürich und auf unserer Webseite. Da findet man auch Angebote, die schon im Vorfeld zum Festival realisiert werden. Zum Beispiel die beiden Nachruf-Schreibkurse.
Hildegard Keller. Foto: Ayse Yavas
Welches ist der besondere Reiz, unbekannten Menschen Support beim eigenen Lebenslauf zu geben?
Hildegard Keller: Ich schöpfe Freude aus dem Schreiben. Christof Burkard, mein Ko-Leiter der Schreibwerkstatt und mein Ko-Maulheld, schöpft Lust aus dem Erzählen und dem Kochen. Wir verbinden beides. Vom eigenen Leben erzählen zu können, das gibt einfach Kraft und Saft. Es macht den Sinn, die Fülle, das Funkelnde des Daseins bewusst. Schreibend üben wir, das ins Wort zu bringen, was im Lauf unseres Schreibkurses ins Bewusstsein kommen will. Zwischen den Kurstagen begleite ich die individuelle Arbeit als Coach.
Andrea Keller: Ich und Tanja Kummer, die den zweiten Kurs mit mir leitet, finden es spannend, Menschen zu ermutigen, die Federführung für ihr Leben zu übernehmen.
Hildegard Keller, Sie haben bereits vor einem Jahr einen solchen Workshop durchgeführt. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Hildegard Keller: Wir sind glücklich, dass wir die Form gefunden haben. Der Nachruf ist ein tolles Schifflein. Der Kurs war ausgebucht und die Teilnehmer*innen zufrieden. Eine schrieb: «Bin soooo hungrig auf selbstbestimmtes Leben. Der Kurs mit euch war ein super Auftakt!». Was wollen wir mehr.
Die wichtigsten drei Punkte, die in einem Nachruf vorkommen sollten. Und was ist Tabu?
Andrea Keller: Jene, die auch im Leben am wichtigsten sind. Vor ein paar Monaten habe ich meine 100-jährige Grossmutter genau darum gebeten: Nenne mir drei Dinge, die dein Leben geprägt haben. Bei ihr kam’s wie aus der Kanone geschossen: Garten, Familie, Glaube. Würden die in ihrem Nachruf nicht vorkommen, wäre das kein Text, der ihr gerecht wird. Und was Tabu ist? Für mich sollte ein Nachruf keine bittere Abrechnung mit anderen sein, sondern eine Würdigung des Erlebten.
Hildegard Keller: Eigenlob finde ich literarisch völlig uninteressant. Alles andere ist individuell. Das Schönste finde ich, dass man etwas für’s Leben lernt, wenn man sich mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzt. Humor und Flughöhe helfen beim Erzählen über das eigene Leben. Christof Burkard und ich, «Die Maulhelden», nähren gern die Lebenslust.
Was interessiert Sie beide ganz persönlich am Tod?
Andrea Keller: Am Tod interessiert mich das Leben. Klingt paradox. Ist es nicht.
Hildegard Keller: Mich interessieren alle Formen von Leben, unabhängig von den irdischen Bedingungen, unter denen ein individuelles Leben beginnt und endet. Als Mittelalterforscherin, Biografin und Autorin bin ich so oft in anderen Zeiten unterwegs, dass der grenzenlose Dialog ganz natürlich geworden ist. Im Tod stellt sich heraus, ob wir lebend gewesen sind. Auch dieser Satz von Hannah Arendt wird mich und Christof in der Schreibwerkstatt leiten.
Infos zum Festival:
Das Festival «Hallo, Tod!» wird von der Kulturbande (Patrick Bolle, Andrea Keller, Paolo Monaco) ins Leben gerufen und findet vom 27. – 29. Mai 2021 im Zentrum Karl der Grosse mitten in Zürich statt. www.hallo-tod.com
Biografisches:
Andrea Keller (39) ist Mitgründerin/Co-Kuratorin von «Hallo, Tod!», Kulturschaffende, Journalistin, Autorin (Guten Tag, haben Sie mein Glück gefunden?, Rowohlt) sowie angehende Schreibpädagogin. 2009 hat sie eine Schreibwerkstatt für Armutsbetroffene ins Leben gerufen, seit 2014 leitet sie, meist in Co-Leitung mit der Schriftstellerin Tanja Kummer, Kurse im Kreativen und Biografischen Schreiben.
Hildegard Keller (59) ist Autorin, Kulturunternehmerin und Literaturprofessorin. Sie ist bekannt aus dem Literaturclub SRF dem Bachmannpreis ORF/3sat. Gemeinsam mit Christof Burkard schreibt, kocht und zeichnet sich durch die Weltliteratur, gibt die «Edition Maulhelden» heraus und bietet Stadttouren an. Im Frühling 2021 erscheint ihr erster Roman («Was wir scheinen», Eichborn).
Schreibwerkstatt 1 mit Hildegard Keller und Christof Burkard
ENDLICH MEIN LEBEN. SCHREIB DEINEN EIGENEN NACHRUF
Freitag, 6. November 2020, 18–21.00 Uhr
Samstag, 14. November 2020, 14–17.00 Uhr
Samstag, 28. November 2020, 14–17.00 Uhr
Samstag, 5. Dezember 2020, 14–17.00 Uhr
Kurskosten: Fr. 350.– (mit Kultur-Legi 310.–)
Mind. 12 Teilnehmende, max. 18 Teilnehmende
Zentrum Karl der Grosse | Kirchgasse 14 | 8001 Zürich
Reservationen per Mail an info@maulhelden.ch gegen Rechnung. Anmeldeschluss 20. Oktober 2020
Schreibwerkstatt 2 mit Andrea Keller und Tanja Kummer
DAS LETZTE WORT VORAUS. SCHREIB DEINEN EIGENEN NACHRUF
Donnerstag, 11. März 2021, 18.00 – 21.00
Samstag, 20. März 2021, 10.00 – 17.00
Dienstag, 30. März 2021, 18.00 – 21.00
Kurskosten: 250.- (mit Kultur-Legi 180.-)
Mind. 5 Teilnehmende, max. 12 Personen
Zentrum Karl der Grosse | Kirchgasse 14 | 8001 Zürich
Reservationen an Karl der Grosse, Bezahlung am ersten Kurstag. Anmeldeschluss 20. Februar 2020
16.08.2020 - eva.holz@textbueroholz.ch