Eine lebende Bibliothek: Willi Bühler.

«Zu meinen Jobs gekommen wie die Jungfrau zu ihrem Kind»

Willi Bühler ist einer der unkonventionellsten und fantasievollsten Köpfe der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre in Luzern. Und der Religionswissenschaftler, frühere Fernsehjournalist, Gymnasiallehrer und bischöfliche Medienbeauftragte ist es auch heute noch.Von Hedy Bühlmann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Willi Bühler? Der Name sagt mir was. Ist das nicht der ehemalige Schüler der Kanti Alpenquai, der mitten im Winter mit wehendem Pelzmantel und vor Kälte bläulich angelaufenen nackten Füssen lässig über den Pausenplatz schlenderte? So, als ob Temperaturen unter Null ihm gar nichts anhaben könnten.

Dieses Bild hat sich in meinem Kopf festgesetzt, vor über 50 Jahren. Sein Stirnband und sein flatterndes Haar erinnerten mich an Winnetou, eines meiner fiktiven Heldenvorbilder, das sich für Gerechtigkeit und Minderheiten stark machte. Damals raunte man in den Gängen der Betonschule am Alpenquai, dass Willi aus disziplinarischen Gründen von der Schule verwiesen wurde. Die Wahrheit lag anderswo. Dies wirkte sich zwar auf Willi Bühlers Karriereplanung aus, aber seinem kreativen Denkerhirn tat es definitiv keinen Abbruch.

Geistiges Feuerwerk
Von dieser Karriere erzählt Willi in seinem Zuhause in Luzern, das er mit seiner Lebenspartnerin teilt. Er sei durchs Arbeitsleben gepilgert und zu seinen Jobs gekommen wie die Jungfrau zu ihrem Kind, sagt ausgerechnet der Religionswissenschaftler, der «als Ungläubiger katholische Theologie in Luzern und Tübingen» studiert hat.

Doch der Reihe nach. Der junge Mann verliess die Schule, machte ein Praktikum bei den «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN, eine der drei damaligen Tageszeitungen), eignete sich in einem nächsten Schritt das Sennen-Handwerk auf dem Plantahof in Landquart an und verbrachte ein paar Sommer auf der Alp als Hirte und Käser. Politisch engagierte er sich damals für mehr Freiraum und das nach wie vor dringliche Thema von bezahlbarem Wohnraum. Bei der Hausbesetzung des «Einhorn» vor 44 Jahren kam Willi zwischen die Fronten. Als Alpkäser kandidierte er auf der Liste der Progressiven Organisationen Schweiz (POCH) für einen Sitz im Luzerner Parlament.

Seine Originalität als Schüler und Zeitgenosse war legendär, seine von universalem Wissen berstende Eloquenz ist nach wie vor beneidenswert. Eine lebende Bibliothek, in deren automatisierter Schaltzentrale Gedanken wie Strom fliessen und Impulse und intellektuelle Anregungen beim Gegenüber auslösen. Das geistige Feuerwerk dehnt sich zu einem immensen Strom von philosophischen und fantasievollen Erkenntnissen aus, anwendbar im Hier und Jetzt. Es gelingt ihm immer wieder, die Macht seiner Gedanken im Gespräch zu bündeln und dem Gegenüber neue Impulse zu vermitteln. Durch seinen assoziativen Sprechstil wird die Autorin in das Universum der Religionswissenschaft eingeführt, mit Bezügen und Querverweisen zu brennenden aktuellen Fragen.

Willis Talent als Journalist und Religionswissenschaftler besteht darin, dem Publikum neue Welten zu eröffnen, Komplexität zu reduzieren und Aussagen mittels Sprache, bewegter Bilder und Ton so auf den Punkt zu bringen, dass sie einem berühren und faszinieren.

Der ungläubige Theologe
Wie ist er damals auf die Idee gekommen, den Basler Bischof um die Zulassung für das Theologiestudium anzufragen? Als 24-Jähriger hat Willi Bühler realisiert, dass er gar keinen Beruf hat. Seine diesbezüglichen Sorgen verringerten sich abrupt, als er hörte, dass ein akuter Priestermangel herrsche und dass die Chancen zum Theologiestudium «sur dossier» zugelassen zu werden, intakt seien. Also reichte er Ende der 1970er-Jahre beim römisch-katholischen Bistum Basel sein Dossier ein. Die Zulassung hatte er erhalten, die Priesterkarriere stand ihm damit theoretisch offen.

Diesen Karriereweg habe er sich gleich doppelt verbaut, meint er augenzwinkernd. Weil er sich als ungläubigen Theologiestudenten verstand und er Unterschriften für den kirchenkritischen Theologen und Professor Hans Küng an der theologischen Fakultät Luzern sammelte. Mit dieser Aktion protestierten 100 Studierende und 14 Professoren 1979 gegen den Entzug der Lehrerlaubnis von Hans Küng durch den Papst selbst. Ein eigener innerkirchlicher Verweis wegen Blasphemie – in einem veröffentlichten Text verglich er das Kirchenpersonal mit Micky-Maus-Figuren – hielt ihn ebenfalls nicht von seinem Studienziel ab.

Zugang zur Öffentlichkeit ebnen
Denn mit oder ohne entsprechende Papiere und Leistungsnachweisen: Willi Bühlers Faszination für Religionen hatte bei weitem ausgereicht, das Theologie-Studium in Tübingen (D) mit dem Master abzuschliessen. Für ihn sind «Religionen der Beweis für die Vorstellungskraft der Menschen, dem Leben und der Welt einen Sinn zu geben. Insofern sind Religionen Teil der Kultur wie Literatur und Kunst. Als 14-Jähriger hatte ich einen Hausaltar mit Büchern zu unterschiedlichen Religionen».

Nach dem Studienabschluss hat es den ungläubigen Theologen 1984 als Journalisten in die Studios des Schweizer Fernsehens nach Zürich Leutschenbach verschlagen. Dort war er 24 Jahre lang als Redaktor und Filmrealisator tätig. Sein Anliegen sei gewesen, Minderheiten den Zugang zur Öffentlichkeit zu ebnen, sie aus ihrer Unsichtbarkeit und öffentlichen Nicht-Existenz zu «befreien» und dadurch Vorurteile abzubauen. Bühler erwähnt das damalige «Quer»-Format, das zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurde: «In diesem Gefäss konnten wir Themen wie ‹Selbstmord› oder ‹Objekt Sexualität› aufarbeiten.» Die Sendungen hätten immer funktioniert, wenn die porträtierten Menschen in ihrer Realität authentisch und echt gewesen seien, sie in ihrer Wesenheit ernst genommen und respektiert wurden von der Equipe.

Neugierde schaffen
Für das letzte Drittel seiner beruflichen Karriere kehrte Willi Bühler an die Kantonsschule Alpenquai Luzern zurück, wo er als Gymnasiallehrer für bekenntnisneutrale Religionskunde und Ethik lehrte. Aus dieser Phase resultiert Bühlers Mitarbeit am ausgezeichneten «Sachbuch Religionen», eine Entdeckungsreise für alle, die neugierig sind auf die farbige und sinnstiftende Welt der Religionen.

Parallel dazu ist er während vier Jahren in der Funktion des bischöflichen Beauftragten für Radio und Fernsehen beim Katholischen Mediendienst Zürich tätig. Aus dieser Zeit zieht er das Fazit, «dass der Niedergang einer einstmals stolzen Konfession teilweise selbstverschuldet ist und kaum aufzuhalten ist, wenn die Kirche nicht bereit ist, ihr symbolisches Kapital künftig offensiver einzusetzen». (Tafelsilber auf den Tisch!, Schweizerische Kirchenzeitung)

Seit Willi Bühler pensioniert ist, lehrt er regelmässig zum sinnstiftenden Kapital der Weltreligionen an Volkshochschulen und an der Seniorenuniversität Luzern. Folgende aktuelle mehrteilige Referate hält Willi Bühler in den kommenden Wochen in Kriens, Luzern und Zürich:

12. März 2025 – hedy.buehlmann@luzern60plus.ch