Meinrad Buholzer. Bild: Joseph Schmidiger
Der Lärm der Welt
Laubbläser, Feuerwerk, Rasenmäher: Die Welt wird zunehmend lauter. Ob sie am Lärm dereinst zugrunde gehen wird? Kolumnist Meinrad Buholzer trauert den Zeiten nach, als alles weniger hochtourig lief.Von Meinrad Buholzer
Offenbar ist der Bundesrat auf einem Ohr taub. Oder gar auf beiden. Bekanntlich lehnt er die Initiative «Für eine Einschränkung von Feuerwerk» ab. Das ist sein Recht. Ziemlich unbedarft ist jedoch die Begründung: Feinstaubemissionen und Lärm seien «vergleichsweise gering». Ich weiss nicht, wo die Bundesräte Silvester verbringen oder wie sie am 1. August abgeschirmt werden, aber die Feuerwerkerei beschränkt sich nicht auf diese Tage. Die Mobilmachung beginnt schon vorher, geknallt wird ganztags, und schliesslich muss man dann nachher auch noch den üppigen Vorrat loswerden, der eingekauft wurde.
Ein weiterer Kalauer des Bundesrates: Das Feuerwerk könne «bei Tieren Reaktionen auslösen». Reaktionen auslösen? Im Ernst? Was für eine schmalbrüstige Beamtenseele kommt auf diese Formulierung? Wenn wir uns auf dieser Argumentationsebene unterhalten wollen, können wir auch den Wölfen zugestehen, dass sie bei Schafen «Reaktionen auslösen». Und basta! Schluss mit dem Abknallen von Wölfen! Es gäbe in der Bundesverwaltung Fachleute, die die Regierung über die Auswirkungen von Feuerwerk auf Tiere ins Bild setzen könnten.
Ein weiteres Obrigkeitsargument: Der Feuerwerklärm sei zeitlich begrenzt. Aber beim Lärm wäre – womit, je nach Interessenlage, gerne auch Behörden argumentieren – eine ganzheitliche Betrachtung angezeigt. Denn es bleibt ja nicht beim Feuerwerk, sondern: Das Feuerwerk kommt zum ohnehin schon hohen Lärmpegel hinzu.
Da wäre mal unsere Luftwaffe, die sich seit Putins Angriff auf die Ukraine im Aufwind wähnt und – gefühlt – besonders gerne mit dem Soundtrack des Krieges über dicht besiedeltes Gebiet donnert. Da wäre ferner der Verkehr zu Land, zu Luft und zu Wasser.
Auch das gemeine Volk mischt kräftig mit. Vielleicht sterbe das Universum den Lärm-, nicht den Wärme- oder Erstickungstod, mutmasste der Schriftsteller Walter Vogt schon 1981: «Alle mähen noch einmal ihren Rasen, mit Wut und Verbissenheit gegen die ganze Schöpfung. Und zum Teil mit aufheulenden Motormähern (…). Am Himmel drehen Flugamateure ihre Runden (…). Je mehr man von Lärmschäden spricht, desto lärmiger wird jede Verrichtung.»
Idyllische Zeiten, als bloss ein Rasenmäher seine Runden drehte. Heute wird der Privathaushalt systematisch aufgerüstet. Ganz im Sinne des Hornbach-Slogans «Es gibt immer was zu tun» betätigt sich jeder und (merklich weniger intensiv) jede mit der Optimierung der eigenen Liegenschaft. Da wird geblasen, gesogen, geharkt, gesägt, gebohrt, geschraubt, geschliffen, gebohnert, poliert was das Zeug hält. Immer und überall möglichst hochtourig. Und neuerdings, scheint es, ist offenbar auch das Steineschleifen ein Hobby des Privatiers geworden. Von den omnipräsenten Events und Partys wollen wir gar nicht erst anfangen …
Vor dreissig Jahren klagte Peter Handke (in «Mein Jahr in der Niemandsbucht»): Kaum ein Tag «ohne den Lärm, welcher ausser sich selbst nichts sonst gelten liess». Zeiten, an denen «der eine gesichtslose Nachbar durch die sperrangeloffenen Fenster und Türen sein Umfeld tagelang mit allen nur möglichen Wahnsinnsarien beschallte (...), ballerte der neben ihm, mit einem Luftgewehr? (…), nimmermüde auf die Herden der Wildtauben in nicht einmal seinem Gras, und probierte der unsichtbare dritte ums Eck eine seiner sich stetig vermehrenden Höllenmaschinen aus, indem er mit der Neuanschaffung der Woche den gar nicht alten Apfelbaum in seinem Sechstelgarten (…) zermöserte». Und weiter: «Jeder ist so sehr in seinen eigenen Krach versunken, dass er den des andern nicht einmal wahrnimmt.» (Dagegen sind Rollkoffer die reinste Musik.)
Wer unter diesen Umständen die mit jedem Jahr exponentiell zunehmende Feuerwerksknallerei als Bagatelle abtut, der schwebt irgendwo im geräuschlosen Luftraum. Oder lebt in einer isolierten, garantiert lärmfreien gated community.
Ein Tipp: Man höre mal dem rhythmischen Geräusch einer Handsäge, eines Rechens zu – und vergleichen Sie es mit dem Aufheulen einer Kettensäge oder eines Laubbläsers. Dann merkt man, wo das Problem liegt.
17. Januar 2025 – meinrad.buholzer@luzern60plus.ch
Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten (LNN). 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten – der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.