„Es ist ein Privileg, den Steinhof übernehmen zu können.“
Sie ist Pflegefachfrau, hat in einem Zürcher Pflegeheim die Hauswirtschaft geleitet und ist aktuell auf der städtischen Sozialdirektion verantwortlich für Finanzen und Controlling. Andrea Denzlein, die künftige Leiterin des Pflegeheims Steinhof, beantwortet unsere Fragen.
Sie haben schon in jungen Jahren ein Praktikum in einem Pflegeheim gemacht, in Oberfranken, wo sie die Jugendjahre verbracht haben. Hat es irgendeinen Impuls gegeben für diese Arbeit?
Andrea Denzlein: Der Impuls kam aus der Familie. Von meinen Urgrosseltern stammen 15 Pflegefachfrauen ab. Es war nahe liegend und mein Wunsch von Klein auf, dass auch ich Krankenschwester werde. Nach dem Praktikum im Heim kam dann die Ausbildung zur Pflegefachfrau im Spital in der Akutpflege.
Wo haben sie dann gearbeitet?
Zweieinhalb Jahre in einem Akutspital im Bereich Notfall und im Operationssaal. Anschliessend habe ich in der Schweiz (Seminar Sankt Chrischona bei Basel) eine theologische Ausbildung absolviert.
Was zieht sie in das private Pflegeheim Steinhof?
Der Gedanke zur Übernahme einer Heimleitung hat mich immer wieder beschäftigt. Dass es jetzt im Steinhof geschieht ist besonders schön. Ich kenne das Haus aus meiner Tätigkeit im Vorstand des Vereins Steinhof, die ich während drei Jahren bis im April 2015 „von Amtes wegen“ als Vertreterin der Sozialdirektion der Stadt ausgeübt habe. Ich wusste, dass der jetzige Heimleiter, Paul Otte, etwas früher in die Pension gehen wollte. Und ich spürte, dass diese Arbeit mich interessierte. Nach einer eingehenden persönlichen Standortbestimmung habe ich mich auf die Ausschreibung der Stelle hin für die Aufgabe beworben.
Und jetzt sind sie gewählt worden. Die Aufgabe wird eine Herausforderung sein.
Das weiss ich sehr gut. Ich nehme sie aber gerne an. Sie bedeutet so etwas wie die „Krönung“ meiner beruflichen Karriere. Ich habe den nötigen Respekt vor der Aufgabe, aber ich freue mich sehr darauf.
Gab es noch andere Zwischenstationen bis zu ihrer jetzigen Aufgabe in der Sozialdirektion der Stadt Luzern?
Ich habe während drei Jahren als Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin in einem Pflegeheim in der Nähe von Zürich gearbeitet. Dort habe ich gemerkt, dass mich die ökonomische Seite auch interessiert und sie vor Allem enorm wichtig ist. Danach arbeitete ich vier Jahre im Schweizerischen Verband Volksdienst in Zürich, der von Frauen gegründet wurde. Während dieser Zeit habe ich berufsbegleitend Betriebswirtschaft studiert. Anschliessend bewarb ich mich für eine Stelle in der Klinik St. Anna in Luzern, wo ich ebenfalls im Controlling arbeitete. Der Bezug zu sozialen Themen war also immer da. Zwischen 2007 und 2012 wagte ich einen Wechsel in die Industrie. Während fünf Jahren arbeitete ich als Betriebs- und Gruppencontrollerin bei der Firma Schurter in Luzern. Das war sehr spannend und äusserst lehrreich. In dieser Phase spürte ich, dass ich mich entscheiden musste: Eine Aufgabe im Bereich Finanzen in der Wirtschaft oder eine Aufgabe im Sozialbereich. Ich habe mich für Letzteres entschieden.
In der städtischen Sozialdirektion waren sie verantwortlich für Finanzen und Controlling, weit weg von der Pflegeaufgabe.
Die Erfahrungen, die ich in den letzten über vier Jahren sammeln konnte, sind enorm wertvoll und ich konnte mir eine gute Übersicht im Sozialbereich verschaffen. Dem Bereich Pflegefinanzierung habe ich mich besonders gerne gewidmet. Die Aufgabe im Steinhof ist somit für mich nun gewissermassen eine „Rückkehr zum Anfang“.
In der Sozialdirektion waren Sie Mitglied in einer Arbeitsgruppe, welche die Auslagerung der Heime in die private Aktiengesellschaft vorbereitet hat. Sind Sie immer noch überzeugt von diesem Schritt?
Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Pflegefinanzierung sind die Heime gleichwertige Leistungserbringer geworden. Mit der Umwandlung der städtischen Pflegeheime in eine Aktiengesellschaft sind alle Leistungserbringer in das gleiche Verhältnis zu Stadt als Leistungseinkäufer gesetzt worden. Es war ein logischer Schritt.
Was ist für sie wichtig in der Funktion als Heimleiterin?
Ich verstehe die Langzeitpflege nicht nur als Pflegeaufgabe. Es geht darum, für die Menschen, die in einer Institution leben, eine Form von zu Hause, von Heimat zu schaffen. Ich denke, dass im Steinhof gute Voraussetzungen da sind, um dieser Zielsetzung nahe zu kommen. Das Pflegeheim hat einen guten Ruf. Es ist ein Privileg, diese Leitungsaufgabe übernehmen zu können.
Thema Autonomie der Bewohner und Bewohnerinnen? Es kommt eine andere Generation von alten Menschen ins Heim als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Sie sind eigenständig, haben vielleicht lange alleine gelebt und haben Mühe mit vorgegebenen Tagesstrukturen. Wie begegnen sie ihren Wünschen?
Ich sehe diese Entwicklung. Sie äussert sich oft auch im Wunsch nach einem Einzelzimmer. Obwohl für bestimmte Menschen auch ein Zweibettzimmer sinnvoll sein kann, um so der Vereinsamung und dem Rückzug etwas entgegenzusetzen. Es wird spannend sein, den verschiedenen Wünschen und Anspruchsgruppen gerecht zu werden. Auch die Vorstellung der jungen Generation ist heute anders und stellt Institutionen vor neue Herausforderungen. Der Steinhof ist ein Ausbildungsbetrieb für mehrere Berufsgruppen.
Im Kontakt mit Heimbewohnern höre ich oft vom Tagesfahrplan, der Mühe macht. Das frühe Nachtessen um 17 Uhr zum Beispiel. Warum nicht um 18 Uhr? Was steht dem konkret entgegen?
Hier kann ich die Situation noch nicht konkret beurteilen, ich habe ja noch keinen Einblick. Man wird Möglichkeiten zur Flexibilität suchen müssen. Dabei stellt sich immer die Frage, wie es sich organisieren und letztlich finanzieren lässt. Es ist für mich aber zu früh, hier etwas zu versprechen.
Wie begegnen sie dem Sterbewunsch von Menschen, die nicht mehr leiden wollen und keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen? Wo stehen sie persönlich in diesen Fragen?
Vom christlichen Hintergrund her bin ich überzeugt davon, dass ein Leben zu Ende gelebt werden sollte. Aber ich respektiere jeden Menschen, der eine andere Meinung vertritt. Man wird dann einen Weg suchen müssen, der für alle Seiten stimmt. Das Wichtigste ist das Gespräch. Und die Frage nach den Gründen für den Sterbewunsch. Im Steinhof ist der begleitete Suizid nicht möglich. Ich denke, dass es unsere Aufgabe ist, den Menschen zum Leben zu ermuntern. Über die mögliche erlebte Hilflosigkeit im Heimalltag darf nicht das Gefühl von Wertlosigkeit aufkommen.
Interview René Regenass