Elisabeth Rudolf im Gemeinschaftsgarten im Eichhofpark.
«Auch im Alter neue Ideen pflanzen»
Sie hat sich, vierzig Jahre ist es her, in der Basisgruppe an der Baselstrasse engagiert: für Sentitreff und Quartierladen, später für das interkulturelle Streichorchester der BaBeL Strings. Nun will Elisabeth Rudolf (71) den Gemeinschaftsgarten im Eichhofpark aus seinem Dornröschenschlaf wecken.Von Beat Bühlmann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)
Zuerst machen wir ein paar Schritte durch den verwilderten Gemeinschaftsgarten im Eichhofpark. Die Kartoffeln sind gepflanzt, die Kräuterecke ist gejätet, in den Hochbeeten wächst der Salat. Und das hohe Gras wird zum Tag der Nachbarschaft demnächst gemäht. Elisabeth Rudolf macht keine grossen Worte. Aber man glaubt ihr ohne Zögern, dass es ihr gelingen wird, diesen verwunschenen Gartenfleck aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Sie will hier, auf diesen 100 Quadratmetern, wieder Leben blühen lassen, als kleine Oase für nachbarschaftliche Begegnungen.
Keine Bedarfsanalyse
Vor ein paar Wochen hat sie mir eine Mail geschrieben: «Gerne würde ich mit Ihnen diese Projektidee besprechen und erwägen, welche Schritte zur Realisierung am ehesten zielführend wären, sodass der Garten schon in diesem Frühling realisiert werden könnte.» So haben wir uns kennengelernt. Sie hat eine Idee gehabt, redet mit ein paar Leuten, legt Hand an. Keine Bedarfsanalyse. Keine Meilensteine. Keine Finanzpläne. Nicht fragen, ob es geht, sondern einfach anfangen. Inzwischen hat sie die Statuten des bisherigen Vereins Gemeinschaftsgarten Luzern aufgefrischt, den Vorstand erneuert, bei einem Risotto-Essen die Leiterin von Viva Eichhof Luzern kontaktiert (und für ihre Idee gewonnen). «Auch im Alter will ich neue Ideen pflanzen», sagt sie. Das «Konzept» des Gemeinschaftsgartens habe wie von selbst funktioniert, freut sie sich. «Menschen mit oder ohne Rollator bleiben stehen, schauen, rätseln ob das ein Kohlrabi ist und kommen mit uns ins Gespräch.»
Viel Lebendiges erlebt
Elisabeth Rudolf ist eine alleinstehende Frau von 71 Jahren. Sie wohnt seit gut einem Jahr am Rand des Eichhofparks, in Sichtweite zu ihrem verwunschenen Garten. Es ist eine Zwei-Zimmer-Wohnung von Viva Eichhof. Klein und behaglich. Ein Notentständer steht in der Ecke, an den Wänden farbige, etwas mystische Bilder. Elisabeth Rudolf spielt Violoncello (im Orchester Kriens-Horw), malt und schreibt Tagebuch und Gedichte. «Im Aufbruch wohnen» heisst das Buch mit ihren Gedichten und Bildern, das sie mir mit auf den Weg gibt. Zu Beginn, so gesteht sie, habe sie sich ein wenig an die Frauen und Männer gewöhnen müssen, die mit ihren Rollatoren in der Nachbarschaft vorbeifuhren. Sie, die mit dem Velo unterwegs ist. «Ich bin noch etwas jung für das Wohnen mit Dienstleistungen», sagt sie, «doch vielleicht ist es klug, hier beim Betagtenzentrum älter zu werden.»
Ausschlaggebend war die günstige Monatsmiete von 950 Franken. Denn sie lebt seit jeher ein Leben am Existenzminium. Aufgewachsen in Münchenbuchsee, arbeitete sie wenige Jahre als Primarlehrerin im Bernbiet und absolvierte ein Psychologiestudium in Fribourg. Wesentlicher als Karriere und Verdienst waren ihr immer, mitten in der Welt der nicht privilegierten Menschen zu leben. Auf der Basis einer christlichen Grundhaltung, geprägt von Franz von Assisi, wollte sie sich für ein besseres Leben der Benachteiligten einsetzen. Prägend waren für sie vor allem das Engagement in der Jugendarbeit und in einer Basisgruppe an der Baselstrasse in Luzern (1977 bis 1993).
Sie wohnte, wie der Arbeiterpriester Josef Moser, in einem Mietshaus an der Baselstrasse 45, also in einem Quartier, wo nicht optimale Lebensbedingungen herrschen, wie sie sagt. Sie leistete Hilfsarbeit in einer Psychiatrischen Klinik, half beim Aufbau des Sentitreffs und eines Quartierladens und gründete vor zehn Jahren mit anderen das interkulturelle Streichorchester BaBeL Strings, das sie heute noch präsidiert. «Ich habe viel Lebendiges erlebt», sagt Elisabeth Rudolf, «aber zuweilen auch viel gelitten.» Vor allem der Abgang beim Haus der Gastfreundschaft in einem ehemaligen Kloster, das sie aufgebaut und geleitet hatte, hinterliess schmerzhafte Spuren.
Kampf und Kontemplation
So kontaktfreudig, so lebensbezogen einem Elisabeth Rudolf begegnet: zu ihr gehört auch ein «einsiedlerischer, frommer Zug», wie sie selber sagt. Früher hat sie sich zuweilen für ein paar Tage in eine Höhle zurückgezogen, auf der Suche nach dem zutiefst Tragenden – dem Geheimnis des Lebens. Sie spricht über die unglaubliche Stille, die sie kürzlich bei einem Aufenthalt im mittelalterlichen Romainmôtier erfahren hat. «Es war so still, dass ich den Vogelschlag hörte.» «Allein sein» und «einsam sein» sind für sie zwei unterschiedliche Befindlichkeiten. Die Stille im Alleinsein sei erfüllt, klinge, nähre die Seele. Die Einsamkeit hingegen sei eine Leere, die alles zudeckt, grau und ohne Farbe. Sie selber kennt beides. Sie hat darüber im Film «Einsamkeit hat viele Gesichter» auch öffentlich geredet. Einsamkeit könne leidvoll sein, sagt sie im Film von Romana Lanfranconi, sie selber sei dann manchmal wie getrieben. Es sei aber wichtig, auch über das Schwierige, über die Einsamkeit zu reden. Das könne ein erster Schritt aus der Isolation sein. Sie beteiligt sich nach Filmvorführungen an Podiumsgesprächen und berichtet von ihren Erfahrungen, wie kürzlich in Chur und demnächst in Landquart vor über hundert Personen. «Da finden zuweilen einige im Publikum den Mut, selber von ihrer Einsamkeit zu sprechen.»
Das Leben der Elisabeth Rudolf bewegt sich zwischen Kampf und Kontemplation. Sie hat sich in jungen Jahren entschieden, keine Familie zu gründen und stattdessen das Versprechen abgelegt, zölibatär zu leben – ohne in ein Kloster einzutreten. Denn der Bezug zur Welt ist ihr wichtig. Das Mögliche aus dem Moment machen, so lautet ihre Lebensdevise – wie im Begegnungsgarten im Eichhofpark, wo das Leben im Kleinen spielt. Das soll ein Naturgarten bleiben, nicht perfekt herausgepützelt und mit Events überladen. «Wir werden uns nicht stressen lassen, es soll auch uns hier wohl sein.» Ob das für Elisabeth Rudolf, die es nicht lassen kann, das letzte Projekt ist? Sie, die vielerorts gewohnt hat, scheint hier angekommen zu sein. «In dieser Wohnung lebe und sterbe ich.»
17. Mai 2022 – beat.buehlmann@luzern60plus.ch
Am Tag der Nachbarschaft, am Freitag, 20. Mai 2022, sind die Initiantinnen ab 15.30 Uhr im Gemeinschaftsgarten im Eichhofpark hinter dem Betagtenzentrum Viva Eichhof anwesend. Interesse am Gemeinschaftsgarten? Gerne dürfen Sie sich bei Elisabeth Rudolf melden. Telefon 041 240 25 37.
Der Film: www.einsamkeit-gesichter.ch