Zur Person
Antonia Jann, seit 2001 Geschäftsführerin der Age Stiftung, hat in Zürich Pädagogik und Publizistik studiert. Später folgte ein Soziologiestudium an der Universität Wien. Die Mutter von zwei Kindern präsidiert seit 2012 zudem die SwissFoundations.
„Die Bedürfnisse sind das Mass für die geeignete Wohnform“
Antonia Jann, Sie befassen sich beruflich schon lange mit Altersfragen. Früher mit Alter und Migration, seit über zehn Jahren als Geschäftsführerin der Age Stiftung mit dem Wohnen im Alter. Was ist für Sie das Interessante daran?
Ich habe Pädagogik studiert, zu der das Fach Entwicklungspsychologie gehört, aber da ist beim Alter von 25 Jahren Schluss. Mich hat interessiert, wie es danach weitergeh und so bin ich irgendwann beim Thema Alter gelandet. Alter ist ein gesellschaftliches Thema, das relativ neu ist. Es gibt keine Rezepte, man muss vieles neu entwickeln, zum Beispiel im Bereich Wohnen im Alter.
Verschiedene neuere Wohnformen im Alter werden in letzter Zeit breit diskutiert. Hat dies mit den ins Alter kommenden Babyboomern zu tun, die auf Selbstbestimmung und Individualität bestehen und andere Vorstellungen haben, als im Alter ins Heim zu gehen?
Die Babyboomer regen diese Diskussion sicher mit an. Es gibt aber auch wirtschaftliche Interessen: Zum Wohnen im Alter ist ein Markt entstanden. Früher war dies ein reines Versorgungsthema, eine Aufgabe der öffentlichen Hand. Es gab nur ein Entweder-oder: Entweder ich bleibe in der eigenen (Miet-)Wohnung, solange es geht, oder dann muss ich ins Heim. Die Alternativen dazu sind vielfältiger geworden. Trotzdem bleibt das Heim als Zufluchtsort im Notfall wichtig. Pflegeinstitutionen wird es immer brauchen, zumal solche mit speziellen Angeboten für demenzerkrankte Menschen, von denen es immer mehr geben wird.
Hausgemeinschaften für Menschen 50+; Mehrgenerationenhäuser; Wohnen wie gewohnt, falls nötig mit Betreuerinnen aus Osteuropa; Altersresidenzen mit Rundumservice – solche und andere Wohnformen scheinen im Trend und werden auch angeboten. Was funktioniert, und was wünscht sich die Mehrheit der Älteren?
Die meisten Älteren bleiben am liebsten so lange als möglich in der gewohnten Wohnung, das zeigen viele Studien. Die Diskussion über unterschiedliche Wohnformen ist dennoch wichtig – damit das Angebot erweitert wird, und damit sich die Menschen rechtzeitig bewusst mit dem Thema befassen. Denn man kann nur denken, was man kennt, und man kann nur wählen, was es gibt. Die ältere Wohnbevölkerung ist sehr heterogen. Es existiert eine Vielfalt von Menschen, was Lebensstil, soziale Lage, Bildung, Werte, ihre wirtschaftlichen und gesundheitlichen Möglichkeiten und ihre Handlungskompetenz betrifft. Deshalb sehe ich keinen Königsweg, sondern viele unterschiedliche Wege, um die vielfältigen Bedürfnisse abzudecken und eine individuell passende Wohnform zu finden. Beim Wohnen geht es nicht nur um die gebaute – zum Beispiel hindernisfreie – Wohnung, sondern auch um soziale Aspekte und die Möglichkeit, aktiv zu bleiben. Je besser das Wohnumfeld, umso eher kann man körperliche Schwierigkeiten bewältigen.
In der ganz normalen Wohnung alt werden zu können, wünschen sich also die meisten. Früher oder später werden sie dort aber auf ambulante Unterstützung angewiesen sein. Seien es Spitex- oder andere Leistungen, auch solche von Freiwilligen.
Ambulant vor stationär ist eine sinnvolle Maxime. Heute existiert vielerorts ein ambulantes Hilfesystem mit zahlreichen Serviceleistungen. Aber es ist nicht immer einfach, sich im Dschungel des Angebots zurechtzufinden. Ausserdem muss man sich bewusst sein, dass Dienstleistungen nicht ohne Kostenfolgen sind. Angehörige und Freiwillige können die professionellen Dienste zwar ergänzen, jedoch in der Regel nicht ersetzen. Angehörige und Freiwillige sind heute schon eine wichtige Ressource, mit der sorgfältig umgegangen werden muss.
Zum guten Wohnen gehört auch das Wohnumfeld. Was braucht es, damit alte Menschen sich nicht nur in der Wohnung, sondern auch darum herum wohl fühlen?
Die Stadt- und Quartierentwicklung muss auch die Bedürfnisse alter Menschen berücksichtigen. Es ist wichtig, dass es im nahen Umfeld die Infrastruktur gibt, die im Alltag benötigt wird. Ich denke an den öffentlichen Verkehr, an Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, den Coiffeur, die Bankfiliale. Ein Musterquartier zum Altwerden hat auch ein Zentrum, wo man sich ohne Konsumzwang treffen und Kontakte pflegen kann. Es sind manchmal Kleinigkeiten, die es alten Menschen erleichtern, mobil zu bleiben: Das nahe Bänklein, die leicht erreichbare öffentliche Toilette. Übrigens beweist „Die nette Toilette“, die es in vielen deutschen Städten gibt, dass ein dichtes Angebot ohne grossen Investitionsaufwand möglich ist.
Die Mehrgenerationensiedlung, wo gezielt Platz für Familien mit Kindern und für Ältere ist: Diese Wohnform wird zum Beispiel in Luzern von einer Wohnbaugenossenschaft geplant. Was braucht es, damit die Generationen voneinander profitieren können?
Eine altersmässige Durchmischung ist bestimmt positiv. Damit das Miteinander funktioniert, braucht es eine gute Nachbarschaftskultur. Und die entsteht nicht immer von selbst, sondern muss manchmal mit kleinen Anstössen – z.B. durch einen Hausverwalter, einen Abwart oder eine Gemeinwesenarbeitern – gefördert werden. Es braucht Innen- und Aussenräume, in denen Begegnungen möglich sind. Wenn man will, dass alte Menschen an geeigneten Orten wohnen, ist es auch wichtig, dass sie auf dem Wohnungsmarkt nicht diskriminiert werden. Hier ist möglicherweise die Gemeinde gefordert.
Wie kann eine solche Unterstützung durch die Stadt aussehen?
Es wäre zum Beispiel denkbar, dass die Kommunen geeignete Wohnungen mieten und diese Betagten mit wenig eigenen Ressourcen untervermieten. Denn ältere alleinlebende Menschen sind in der Konkurrenz um gute, bezahlbare Wohnungen nicht die attraktivsten Mieter, erst recht, wenn noch finanzielle oder gesundheitliche Einschränkungen vorliegen. Es sollten Ansprechpersonen da sein, die bei Bedarf Unterstützung vermitteln, Konflikte lösen. So könnten Vermieter entlastet werden. Eine Stadt kann eine solche Aufgabe auch an einen Verein delegieren, wie es Zürich mit dem Verein Domicil tut, der Wohnungen für Personen in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen vermittelt.
Wie möchten Sie selber einmal wohnen, wenn Sie alt sind?
Ich möchte vor allem meine Flexibilität behalten, damit ich dereinst mit der Wohnsituation, in der ich drin bin oder die ich dann benötige, gut umgehen kann. Ich bin optimistisch, dass mir das gelingt.
Die Fragen stellte Marietherese Schwegler - 27. August 2012
Age Stiftung im Selbstportrait
„Die Age Stiftung fördert gutes Wohnen im Alter. Und da gutes Wohnen je nach Lebensumständen und je nach Person etwas anderes bedeuten kann, unterstützt die Age Stiftung die Breite der Wohnformen. Wir möchten mit unseren Beiträgen mithelfen, dass ältere Menschen die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen interessanten Wohnformen auswählen zu können. Darum unterstützen wir Wohnprojekte, Betreuungs- oder Dienstleistungsmodelle, welche neuartige Komponenten aufweisen und beispielhaft wirken können. Denn die Age Stiftung möchte nicht nur helfen, guten Wohnraum zu schaffen, sondern ist auch bemüht, die Entwicklung in diesem Bereich zu unterstützen. Die Stiftung wurde im Jahr 2000 gegründet, ihr Wirkungsgebiet beschränkt sich auf die deutschsprachige Schweiz.“
Mehr: www.age-stiftung.ch
Teil 2 ist ab Mitte September zu lesen:
Was braucht es, damit ich im Alter in meiner Wohnung bleiben kann?