BildGeschichte 08/2017
Kindheit unterm Dach
Von Leslie Schnyder
Bis 1965 war ich ein Einzelkind, erst dann wurde meine Schwester geboren. Ich war bereits sechs Jahre alt. Und als sie auf der Welt war, zogen wir nach Kriens in ein Haus, ab dann sind es andere Erinnerungen und andere Geschichten.
Auf dem Bild war ich aber noch jünger, wohl so vier Jahre alt? Ich hatte das grosse Glück, mit meinen Eltern in einer Dachwohnung am Weinmarkt zu wohnen.
Mein erster „Fernseher“ war das Hotel des Balances, sah ich doch von meinem Kinderzimmer aus direkt zu den Hotelzimmern hinüber. Ich konnte wunderbar beobachten, wie jemand ins Zimmer kam, sich umzog, dann eventuell ins Bad wechselte. Dort konnte ich wegen der geriffelten Fenster nichts erkennen, ich wartete aber gespannt, bis die Person wieder zurück ins Zimmer kam, und versuchte zu erahnen, wie lange es dauert, bis das Licht ausging. Ein harmloses Vergnügen für ein schlafloses Kind.
Ich habe keine Ahnung, ob ich oft schlaflos war, viel besser erinnere ich mich an die Nähe des Mühlenplatzes, zu dem ich mit meiner Mutter oft ging, Enten füttern. Auch an Fasnacht erinnere ich mich und daran, dass ich immer ein Cowgirl sein wollte, längst, bevor mich der mädchenübliche Pferdewahnsinn packte. An Namen erinnere ich mich, an Pöldi Häfliger ganz sicher, Max Baumann kam vielleicht erst später dazu. Ich liebte es, mich zu verkleiden und mochte die schrägen Töne der Guuggemusigen.
Sechziger Jahre und Weinmarkt, für mich ist das ein bunter Reigen an zusammenhanglosen Erinnerungen: Eiback in der Bäckerei, der erste „richtige“ Fernseher dann, den die Lieferanten bis unters Dach tragen mussten. 50er Jahre Möbel, die Geburt meiner Schwester, eine Hausgeburt, Abwaschen mit meiner Mutter. In meiner Erinnerung hatte die Dachwohnung etwas sehr Beschützendes, etwas Inniges auch, in der Dreisamkeit mit meinen Eltern.
Ein bisschen spüre ich noch immer die Dachwohnung in mir. Sie gab und gibt mir den Mut, hinaus zu gehen in die Welt und Abenteuer zu bestehen.
Leslie Schnyder, Luzern, 1959 geboren, Veranstalterin vom Literaturfest Luzern und Beauftragte für Leseförderung des Kantons Luzern – und kein Cowgirl!