BildGeschichte 04/2017
Was bleibt.
Von Katharina Lanfranconi
Ein Bild. Arg vergilbt und nicht ganz scharf, mit einer Polaroidkamera aufgenommen.
Und eine Geschichte.
Von weitem schon erklang schmissige Musik. Blech herrschte vor. Meine Freundin Gret und ich hatten uns im dichten Gedränge und bei brütender Hitze von der Menge in die Arena schieben lassen. Ihrer Idee, einen Stierkampf hautnah mitzuerleben, hatte ich schliesslich nachgegeben.
Festlich gekleidete Spanier und Spanierinnen nahmen aufgeregt diskutierend unter Trompetengeschmetter ihre Tribünenplätze ein und blickten mit stolz gereckten Köpfen in die Runde. Das Fussvolk versuchte sich indessen schwitzend auf den Stehplätzen zu ordnen. Eine stechende August-Sonne versengte unsere hutlosen Köpfe in der vordersten Reihe, in die es uns verschlagen hatte. Das Surren von Grets Polaroidkamera ging bald in einem grandiosen Lärm unter, als der Matador auf Zehenspitzen tänzelnd samt Gefolge in die Arena tänzelte.
Weitere Details erspare ich ihnen... bestimmt waren sie einmal in Spanien oder sie haben Hemingway gelesen oder sie sahen irgendwann einmal einen Film über das Leben von Picasso? Kurz und gut. Der Todestanz zwischen Tier und Matador näherte sich seinem vorhersehbaren Ende, als unter Hurragebrüll und einem entsetzten Schrei aus Grets Mund etwas durch die staubgeschwängerte Luft auf uns zuflog und auf meinem Rucksack zu liegen kam. Seit das erste Blut geflossen war, hatte ich mir diesen nämlich mit beiden Händen zitternd vor die Brust gehalten. Auf Kinnhöhe vor mir lag jetzt ein blutiges Stück Fell.
Es war ohne Zweifel ein abgetrenntes Ohr des unglücklichen Stiers. Jetzt schrie auch ich, Rucksack und Wasserflasche fielen zu Boden und ich verlor das Bewusstsein.
Wenig später, Kopfschmerzen stachen wie Dornen von hinten in meine Augäpfel, fand ich mich in einem dämmerigen Zelt wieder. Das zweite. was ich sah, war eine stämmige Frau im Overall mit aufgenähtem Rotkreuzemblem. Geschäftig schwirrte sie umher und legte mir, offensichtlich erfreut über den Notfall, eine tropfende Kühlkompresse auf die Stirn. Danach pumpte sie energisch die Blutdruckmanschette auf, die meinen rechten Oberarm drängend umschloss. Gret war verschwunden.
Dann sah ich ihn. Er sass in der Zeltecke auf einem Sessel, der unter dem muskulösen Körper wie ein Kinderstühlchen wirkte. Die Schenkel leicht angewinkelt in der knallengen, und ich konnte es nicht ausblenden, von Blutspritzern überzogenen weissen Hose lehnte er an der Zeltwand und musterte mich lächelnd. Rotgoldene Tressen glänzten oszillierend an seiner kurzen Torerojacke. Ich war geblendet.
Mein Mund klappte auf, ich wollte etwas sagen, einen Augenblick überlegend, ob Französisch oder besser Englisch angebracht wäre, als ich am unteren Ende des Schragens, auf dem ich noch immer lag, das blutige Ohr des Stiers entdeckte und sogleich wieder in Ohnmacht fiel.
Was weiter geschah? Glücklicherweise erinnere ich mich nur ungenau. Was im Nachhinein in solchen Fällen entschieden als Vorteil zu werten ist.
Auf jeden Fall wurde mir am selben Abend in einem Wagen spanischer Herkunft, an meiner Seite der frisch geduschte Matador, der während der Fahrt zum Flughafen die ganze Zeit zärtlich meine Hand hielt bewusst, was geschehen sein musste.
Die getrübte Erinnerung an einen geschmacklosen Bungalow in bukolischer Landschaft tat ein weiteres. Hatte nicht sogar eine blondgelockte Puppe in spanischer Tracht auf dem spitzenbedeckten Doppelbett gelegen?
Später im Flieger überkam mich trotz der nun dumpfen Kopfschmerzen, zweifellos hatte ich einen Hitzschlag überstanden, ein wohliges Gefühl. Jenes Gefühl, das einen nur dann überkommt, nachdem man unerwarteten Versuchungen begegnet ist, und diesen nicht widerstanden hat.
Gewiss, liebe LeserInnen, so hätte es SEIN KÖNNEN, denn glauben sie mir, weit Schlimmeres ist mir schon zugestossen als eine Kurzromanze mit einem Tierquäler.
SO WAR ES ABER NICHT. Die verschwommene Aufnahme aus der Arena geriet nämlich beim Einzug eines ganz anderen Herzensbrechers in meinen Foto-Schuhkarton. Das Polaroidbild war auf einer seiner wilden Jugendreisen in Arles geschossen worden.
Lange vor meiner Zeit.
Diese hingegen dauert bis heute an und hat schon manchen Kampf überstanden. Und bei keinem davon, ich schwöre es, kam jemals auch nur ein einziges, von feinem Flaum überzogenes Ohrläppchen zu schaden.
Katharina Lanfranconi (1948) widmet sich seit 30 Jahren Lyrik und Prosatexten. 2016 erhielt sie für ihr literarisches Schaffen den Anerkennungspreis der Stadt Luzern. Ihre letzte Publikation „ich schrieb etwas kleines“ erschien letztes Jahr im Wolfbach Verlag.
Alle Rechte bei der Autorin.