Delia aus Siebenbürgen ist Betreuerin auf Zeit
Von Hans Beat Achermann (Text und Bild)
Der Abschied naht: Delia Demeter kehrt ein paar Tage nach unserem Gespräch aus einer Luzerner Vorortsgemeinde wieder zurück in ihr 400 Einwohner zählendes Bauerndorf im rumänischen Siebenbürgen, wo ihre Verwandten leben und die Bewohnerinnen und Bewohner zur ungarischen Minderheit gehören. 28 Stunden Fahrt im Minibus. „Wir werden beim Abschied schon ein bisschen briegge“, sagen Herr und Frau S. übereinstimmend. In den vergangenen drei Monaten führte Delia als Mitarbeiterin der Caritas Schweiz den Haushalt des 94jährigen Walter S. und seiner 86jährige Frau Annelies und unterstützte sie bei alltäglichen Verrichtungen wie Körperpflege, Einkauf und Botengängen. Auch Delia wird die beiden vermissen, hat sie die beiden betagten Leute doch richtig lieb gewonnen, auch wenn man sich siezt, wie das in den Richtlinien vorgesehen ist.
Bis vor ein paar Monaten bewältigte das Ehepaar S. den Haushalt selber. Zunehmende Altersbeschwerden zwangen sie, nach einer Lösung zu suchen. „Ich bin ein wenig halbbatzig geworden“, scherzt Walter S. Die Hausärztin „pushte“ sie, dringend nach einer Lösung zu suchen. „Wir wollten nicht ins Altersheim, wir sind uns gewohnt, unsere eigenen Zimmer zu haben.“ Wie so viele ältere Menschen möchten die beiden solange wie möglich in ihren gewohnten vier Wänden bleiben, in ihrem 1976 erbauten Einfamilienhaus am Dorfrand. Unterstützt wurden Herr und Frau S. bei der Lösungssuche durch den Sohn und die Tochter, die beide auch schon über 60 sind. Bei einem Gespräch mit Freunden wurden sie auf das Caritas-Care-Programm aufmerksam gemacht.
Fast ein Familienmitglied
Delia Demeter ist eine von rund 120 rumänischen oder slowakischen Betreuerinnen, die durch Caritas vermittelt werden. Ihr Einsatz bei Herrn und Frau S. ist bereits ihr sechster in der Schweiz, aber zum ersten Mal ist sie bei einem Paar und zum ersten Mal auf dem Land. „Fast eine Familie“ seien sie geworden, sagt Walter S. „Wir haben nie gestritten“, bekräftigen beide lachend. Aber gelernt haben alle drei etwas. Delia weiss inzwischen, was „bödelet“ heisst, wenn sie nämlich nur einen Zentimeter Wein im Glas haben möchte, und auch Härdöpfel spricht sie fast akzentfrei. Und sie hat gelernt zu jassen, sogar gut zu jassen, sie hat Fondue gekocht und Rösti und sie kann ein Birchermüesli zubereiten. Für Herr und Frau S. war es interessant, eine 38jährige Frau in ihrem Haushalt zu haben, die ihre Enkelin sein könnte und aus einem fremden Land stammt. Mehrmals betonen alle drei die wunderbare gemeinsame Zeit.
Sorgfältige Vorbereitung
Walter und Annelies liebten immer die Selbstständigkeit, beruflich und privat, und sie hatten in ihrem Gewerbebetrieb auch früher schon Angestellte, im Haus und im Geschäft: „Das hat es uns sicher erleichtert, jetzt auch mit einer fremden Person zusammenzuleben und Haus und Haushalt zu teilen und uns anzupassen.“ Ein wenig anpassen musste sich natürlich auch Delia. Doch die Caritas bereitet ihre Betreuerinnen bereits in Rumänien und der Slowakei sorgfältig auf ihre Einsätze vor – sprachlich und in Bezug auf die spezifisch schweizerischen Gepflogenheiten. „Bis jetzt hatte ich immer Glück bei meinen Einsätzen“, sagt Delia. Die Schweiz sei ihr zur zweiten Heimat geworden. Das zeigt sich auch in der folgenden Anekdote: Die ehemalige Wandergruppe von Herr und Frau S, jetzt noch 20 Personen, trifft sich regelmässig zu einem Essen in der Dorfbeiz. Beim letzten Mal durfte auch Delia mitgehen – und die Frau aus Siebenbürgen wurde freundlich aufgenommen und interessiert befragt über ihr Herkunftsland und die Erfahrungen in der zweiten Heimat. Ihre jetzt schon guten Deutschkenntnisse erweitert Delia jede Woche in zwei Stunden Unterricht. Dort trifft sie auch ihre Kolleginnen und kann so Erfahrungen austauschen.
Prestigezuwachs zuhause
Caritas Schweiz bietet zusammen mit der rumänischen und der slowakischen Caritas seit 2011 unter dem Namen Caritas Care Betreuungsprogramme in der Schweiz an. Zurzeit werden rund 40 Personen in der ganzen Schweiz in diesem Programm betreut, wie Projektleiter Beat Vogel sagt. „Im Pool sind etwa 120 Personen, ein Dutzend davon Männer.“ Viele ältere Frauen würden es schätzen, von einem Mann betreut zu werden, zudem vermittle ihnen ein Mann im Haus ein Sicherheitsgefühl.
Natürlich könne es passieren, dass es mal nicht klappe zwischen den zu Betreuenden und der Betreuerin oder dem Betreuer. Aber das komme höchstens ein bis zweimal pro Jahr vor, sagt Beat Vogel. Vier Einsatzleiterinnen sind Mittlerinnen und manchmal auch Vermittlerinnen zwischen den Parteien. Sie melden sich alle zwei Wochen am Arbeitsplatz, sie führen ein Abschlussgespräch und begleiten den Übergang von einer Betreuerin zur nächsten. Beim Ehepaar S. wird nun für die nächsten drei Monate Aranka Baricz die Betreuungs- und Haushaltarbeiten übernehmen. Pflegeaufgaben dürfen übrigens nicht wahrgenommen werden – dafür wird mit der Spitex zusammengearbeitet.
Wie Delia sind auch alle andern Frauen von den Caritas-Partnerorganisationen in ihren Herkunftsländern ausgewählt und zugeteilt worden. Delia arbeitet in Rumänien als Spitexschwester. „Die Rechtssicherheit in Rumänien und die Arbeitsbedingungen sind natürlich nicht zu vergleichen“, sagt Beat Vogel. Auch auf Delia warten nach ihrer Rückkehr wieder strengere Arbeitstage als in der Schweiz. „Doch die Betreuerinnen, die als Pendlerinnen zurückkehren, geniessen einen Prestigezuwachs.“ Mit dem Modell, dass die Frauen jeweils nach drei Monaten in ihre Heimat zurückkehren und dort ihre Arbeit wieder aufnehmen, könne auch der erschreckenden Abwanderung entgegengewirkt werden. So bleibe der Lebensmittelpunkt der Betreuerinnen ihre Heimat. Delia wohnt im selben Haus mit ihren Eltern im Dorf Gâleçti, wo man ungarisch spricht.
Ohne Spendengelder finanziert
6200 Franken kostet die Betreuung monatlich im Minimum – bei einer oder zwei Personen. Dazu kommen Kost und Logis für die Betreuerin. Caritas regelt alle Versicherungsfragen. Von den Betreuungskosten, die Herr und Frau S. bezahlen, gehen jeden Monat 350 Franken für Projekte und Bildung in die lokale rumänische Caritas-Organisation (was einem dortigen Monatslohn entspricht), davon erhalten die örtlichen Caritas-Teams monatlich 100 Franken zur freien Verwendung. „Fair Care Migration“ nennt Caritas dieses Projekt. Die Betreuerinnen und Betreuer sind hier nach Schweizer Arbeitsrecht angestellt, bekommen einen fairen Lohn und bleiben in ihrer Heimat integriert. Etwa 2500 Franken werden monatlich auf das Konto der Betreuerin in Rumänien ausbezahlt. „Wir sind uns bewusst, dass sich viele Menschen diesen Aufwand nicht leisten können“, sagt Beat Vogel. Caritas kann für dieses Projekt keine Spendengelder aufwenden, deshalb bezahlen die Kunden den gesamten Aufwand. Die Betreuerinnen bezahlen keine Vermittlungsgebühren, müssen aber noch die Reisekosten selber bezahlen. Die Caritas-Betreuerinnen leisten keinen Rund-um-die-Uhr-Einsatz. Die Wochenarbeitszeit beträgt 45 Stunden sowie. Bereitschaftsdienst in der Nacht. Und die Betreuerinnen haben Anrecht auf täglich acht Stunden Freizeit und anderthalb Tage frei pro Woche. „Wir wissen, dass es Dumping-Angebote gibt und die Betagtenbetreuung ein Wachstumsmarkt ist. Schätzungsweise jeden Monat erscheint ein neuer Anbieter.“
Gibt es eigentlich auch Kritik an dieser Betreuungsform? Beat Vogel bestätigt, „dass es aus gewerkschaftlichen, feministisch-theologischen Kreisen, aber auch von Berufsverbänden der Pflege immer wieder grundsätzliche Vorbehalte gebe. Diese bezögen sich nicht auf das Caritas-Modell, sondern auf die Tatsache, dass hier wieder eine veraltete Arbeitsform der Haushälterin eingeführt werde, dass aus Osteuropa Arbeitskräfte abgezogen und pflegerische Ansprüche nicht immer eingehalten würden. Beat Vogel ist vom Caritas-Modell überzeugt, das faire Bedingungen für alle biete. Gerne würde er das Angebot ausweiten auf bis zu 100 Betreuungsplätze. „Obwohl Caritas von einem guten Ruf profitiert und hohe Qualitätsanforderungen stellt und diese auch laufend überprüft, ist es nicht einfach, zu expandieren“, stellt Beat Vogel fest. Doch die vielen positiven Erfahrungen würden sich herumsprechen. So gebe es bereits „eigentliche Nester“, wo sich die Betreuungsplätze häuften.
Das nächste Mal gibt’s Szegediner Gulasch
Delia Demeter freut sich, bald wieder zuhause zu sein bei ihrer Familie, wieder ungarisch sprechen zu können, aber sie freut sich auch bereits auf den 17. September. Dann wird sie erneut die Arbeit in Haus und Garten von Herrn und Frau S. aufnehmen, wieder die Nachbarn begrüssen, Toni, den pensionierten Polizisten, und Jakob, den Bauern. Im Gepäck wird sie echten ungarischen Paprika dabei haben, um ein Szegediner Gulasch zu kochen. Und sie wird wieder mit Frau S. am Arm zur Dorfcoiffeuse spazieren und in den Volg einkaufen gehen – dannzumal mit dem Velo, das Herr S. für sie gekauft hat. Und viel später einmal möchte Delia mit dem in der Schweiz verdienten Geld in Siebenbürgen ein eigenes kleines Haus bauen.
Alle Informationen zum Caritas-Betreuungsangebot unter www.caritas.ch/ingutenhaenden